Kurzfilmtage Oberhausen: Der Film steckt im Anzug
Wenn das Kino überall ist, braucht es noch Film? „Memories can’t wait – Film without Film“, ein Sonderprogramm der Kurzfilmtage Oberhausen.
Das Kinematografische besetzt weit über den Kinosaal hinaus die Räume des Gesellschaftlichen. Die gesamte Lebenswelt hat inzwischen eine dem Kino oder Fernsehen ähnliche mediale Form angenommen. Etwa, wenn wir mittels audiovisueller Empfangs- und Steuerungsgeräte unser Handeln über Entfernungen hinweg koordinieren oder wenn wir durch ständig mitgeführte Sendefunktionen selbst zu Instrumenten der Bewegungsaufzeichnung werden.
Diese Entwicklung an den Grundlagen und Ästhetiken des Kinos zu reflektieren, haben sich die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen vorgenommen: in ihrem nunmehr 60. Jahrgang unter dem bezeichnenden Titel „Memories can’t wait – Film without Film“.
Als Gastkurator hierfür beauftragt, hatte der finnische Künstler Mika Taanila sowohl VertreterInnen des historischen Expanded Cinema wie auch jüngere KünstlerInnen zur Reflexion des Kinos ohne Film eingeladen. Unter den Älteren war es vor allem William Raban, der das Thema lakonisch auf den Punkt brachte.
Als Wiederaufführung seines „Taking Measure“ (1973) verkürzte er in der Oberhausener Lichtburg einen Filmstreifen auf das Entfernungsmaß zwischen Vorführgerät und Leinwand, so dass für die Projektion und ein damit gezeigtes Zählwerk nur Sekunden übrig blieben, bevor das leere Licht des ohne Film laufenden Projektors die Leinwand füllte.
Illuminierte Gitter
Ebenfalls auf das Projektionsprinzip zielte Tony Hills raumgreifendes Schattenspiel „Point Source“, bei dem er mittels Handlampe Korb- und Gitterwerke illuminierte. Valie Export ließ in „Abstract Film No. 2“ (1967/2014) Flüssigkeit über Spiegel rinnen und lenkte darauf den Lichtstrahl, dessen Reflexion dann die Leinwand erreichte.
Dagegen setzten die jüngeren KünstlerInnen eher an der Peripherie des Projektionsstrahls an. So kam „Stations of Light: Installation for Two Movie Theaters, One Audience, and Musician“ von Sandra Gibson und Luis Recoder erst zur Wirkung, als das Publikum im Gefolge des Musikers den Kinosaal verließ und in einen anderen überwechselte, wie bei einer Prozession, in gemeinsamer Stille.
Ganz ohne Filmapparatur bezog sich Joseph Dabernig auf einen Randaspekt. Er trug das Groß- und Kleingedruckte historischer Eintrittskarten vor, wobei den Steuer-, Registrier- oder Telexnummern nicht weniger Gewicht zukam als den eigentlichen Veranstaltungshinweisen. Dass diese sich auf Fußballpartien statt auf Filme bezogen, unterstrich die Entgrenzung des Kinosaals, zumal der Künstler, gefragt, warum er seine Performance als Film verstehe, spitzfindig auf seinen Straßenanzug verwies. Der diente ihm in einem früheren Film als Kostüm.
Dem Revolverobjektiv treu
Die so ironisch reflektierte Deterritorialisierung des kinematografischen Raums lässt sich zurückbeziehen auf die Dramaturgien der Filme selbst; umso mehr wenn, wie in Oberhausen, dokumentarische und fiktionale Absichten aufeinandertreffen, ebenso wie digitale und analoge Herstellungsweisen. Überzeugend hält Robert Beavers dem Revolverobjektiv der traditionellen 16-mm-Kamera die Treue. Bei laufendem Betrieb wechselt er deren auf eine Drehscheibe verteilten Objektive hin und her. Die so aufgenommenen räumlichen Unschärfen untersucht er am Montagetisch nach geeigneten Schnittstellen.
Dabei gelingt ihm der unprätentiöse Blick auf eine Privatheit, die von FreundInnen, NachbarInnen gleichermaßen wie vom Filmenden selbst bewohnt zu sein scheint („Listening to the Space in my Room“, 2013).
Anders „Now eat my script“ der Libanesin Mounira al Solh. Auch ihr Film setzt vor dem eigenen Haus an. Die Sicht auf ein dort geparktes, vollbeladenes syrisches Auto verknüpft die Regisseurin allerdings mit den traumatischen Fluchterfahrungen von Familienangehörigen sowie mit Selbstreflexionen über das Drehbuchschreiben. Der digitale Kamerablick geht von der Wagenladung über auf ein vor klinischem Weiß zerlegtes Opferlamm; der Film steigert sich zur stillen wie auch obszönen Allegorie auf die existenzielle Bedrohung des privaten Raums.
Abwechslungsreich spürten die in Oberhausen präsentierten Filme der Verunsicherung räumlicher Gewissheiten nach. Mitunter belegten dies bereits Titel wie etwa der von Sasha Pirker bei Georges Perec entlehnte „Es gibt Bilder, weil es Wände gibt – Ein Prolog“. Dass der in diesem Film porträtierte Künstler Christian Ruschitzka stets die gesamte Materialität eines Gebäudes für seine skulpturalen Ziegelwerke demontiert, vermag indes nicht nur die Transformation des Räumlichen versinnbildlichen, sondern überdies gleichnishaft eine Wiederkehr des Kinematografischen versprechen.
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