Kommentar Wahl in Syrien: Propaganda auf Erfolgskurs
Scheinbar neutral berichten die Medien über die anstehende Präsidentschaftswahl. Das ist zynisch, denn im Krieg kann es keine Wahl geben.
I m Bürgerkriegsland Syrien tritt Machthaber Baschar al-Assad bei der Präsidentschaftswahl im Juni für eine Wiederwahl an. Damit gibt es bisher insgesamt sieben Kandidaten, auch wenn allgemein davon ausgegangen wird, dass die anderen Bewerber gegen Assad keine Chance haben werden.“ So läuft es über die Ticker – alles neutral berichtet, oder? Falsch.
Dass der Sieger schon feststeht, ist zwar richtig, wird aber indirekt mit den Gegenkandidaten begründet. Doch Assad wird die Wahlen gewinnen, weil es keine Wahlen sind – und die Gegenkandidaten keine Gegner.
In einem laufenden Krieg findet keine Wahl statt. Krieg und Wahlen, das ist ein unversöhnlicher Gegensatz: Warum übergehen die Agenturen diese Binsenweisheit?
Assad führt Krieg in Syrien, gegen Zivilisten genauso wie gegen bewaffnete Rebellen. Einen Krieg, den er trotz seiner militärischen Überlegenheit noch immer nicht gewonnen hat. Stattdessen ist es ihm mithilfe seiner Luftwaffe und den berüchtigten Fassbomben gelungen, 60 Prozent des Landes zu zerstören.
150.000 Menschen sind getötet worden, etwa 9 Millionen sind auf der Flucht. Sie alle werden am 3. Juni nicht wählen gehen. Und viele andere auch nicht: Assads Bomben fallen jeden Tag. Weil die Lage so gefährlich ist, gibt es längst keine internationalen Journalisten mehr im Land, auch keine Beobachter. Was also tun? Man wird das vom Propagandaministerium in Damaskus festgelegte „Ergebnis“ verkünden.
Diese sicher oft unreflektierte Scheinneutralität stimmt die internationale Öffentlichkeit Nachrichtenschnipsel für Nachrichtenschnipsel auf „Wahlen“ in Syrien ein und also darauf, dass Assad das geringe Übel sei. Immerhin haben die Islamisten und auch die demokratischen Rebellen keine „Wahl“ abgehalten. Zynischer geht es kaum.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mindestlohn feiert 10-jähriges Jubiläum
Deutschland doch nicht untergegangen