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Kommentar Waffenstillstand der PKKSternstunde für die Türkei

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Erdogan und Öcalan haben es durchgezogen: Die PKK verkündet den Waffenstillstand. Über 40.000 Tote hat der Konflikt gefordert.

D er erste, entscheidende Schritt ist getan. Anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes Newroz hat der inhaftierte Chef der PKK, Abdullah Öcalan, feierlich den bewaffneten Kampf für beendet erklärt. Das ist erheblich mehr als bisherige Phasen des Waffenstillstands. Die Kämpfer der PKK sollen sich aus der Türkei zurückziehen, der bewaffnete Kampf durch den demokratischen, politischen Meinungsstreit abgelöst werden.

Schon der Weg bis hierhin war schwierig. Es hat nicht viel gefehlt und die historische Erklärung Öcalans wäre bereits im Vorfeld verhindert worden. Drei Morde an PKK Funktionärinnen in Paris sollten Öcalan einschüchtern, die Durchstecherei eines Gespächsprotokolls mit Öcalan den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan kompromittieren.

Noch am Mittwochmorgen explodierten Bomben vor dem Justizministerium und der Parteizentrale der AKP. Trotzdem haben Öcalan und Erdogan sich bislang nicht von Friedensprozess abbringen lassen und Öcalan hat nun verkündet, worauf die Regierung und Millionen Menschen gehofft haben.

Bild: taz
Jürgen Gottschlich

ist Türkei-Korrespondent der taz.

Es ist ein historischer Moment für die Kurden der Türkei. Sie haben jetzt eine Stimme, die Regierung ist bereit mit den „Terroristen“ von gestern zu reden. Wird Öcalans Aufruf befolgt, wird es auch eine historische Zäsur für die Türkei insgesamt. Zunächst würden 30 Jahre blutiger Bürgerkrieg beendet, der mehr als 40.000 Tote gefordert hat und bislang das größte Hindernis auf dem Weg zu einer wirklich demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft war.

Letztlich geht es darum, die Diskriminierung der kurdischen Minderheit und anderer ethnischen und religiösen Minderheiten im Land endgültig zu überwinden und das in einer neuen Verfassung festzuschreiben.

Doch auch wenn heute in Diyarbakir, der heimlichen Hauptstadt der Kurden, ausgelassen gefeiert wurde, es ist noch ein langer Weg zum Frieden und Rückschläge sind vorprogrammiert. Jetzt muss sich zeigen, ob der Einfluss Öcalans nach 12 Jahren im Gefängnis noch groß genug ist, um wirklich alle PKK Kämpfer zum Rückzug zu bewegen. Dann wird sich herausstellen, ob die Mehrheit der türkischen Gesellschaft tatsächlich bereit ist, die Kurden als gleichberechtigt zu akzeptieren und das auch in der Verfassung zu verankern.

Die Wunden auf beiden Seiten sind tief, gegenseitiges Vertrauen gibt es kaum. Es wird jetzt darauf ankommen, Zug um Zug wechselseitig Vereinbarungen zu erfüllen, um Vertrauen zu schaffen. Die erste Etappe des Friedensprozesses soll bis Ende August abgeschlossen sein. Erst wenn die kommenden Monate friedlich verlaufen werden, kann es zu echten substantiellen Verständigungen kommen.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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10 Kommentare

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  • E
    eksom

    Aus Eigeninteresse und Eigennutz gibt es eben einige Staaten die einiges andres sehen können und wollen, und manches nicht. Das ist nunmal so.

    Die Top 5 der Waffenexporteure der Welt brauchen immer wieder neue naive Gruppierungen (vor allem Minderheiten) in bestimmten Ländern, die sich regelmäßig untereinander oder den Staat bekämpfen, damit die Waffengeschäfte weiterhin gut laufen.

    Siehe Ex-Jugoslawien! Wenn man die Kurden in der Türkei nicht vor den westlichen Karren eingespannt hätte, wären es eben die Aleviten gewesen, und wenn es auch die nicht gegeben hätte, eben die Tscherkessen. Oder die "mit eine zu langen Nase, oder mit/ohne Tuch...."!

    Zum Glück gibt es Internet und fast alle können das Spielchen der westlichen Ländern eigentlich nur um die Rohstoffe und Ausbeutung der Drittländer live mitverfolgen. Aber die Zeiten sind zumindest in einigen Ländern vorbei, in dem Meschen alleine wegen Ihres äußerst einfach oder manchmal auch versehentlich mit Hilfe Ihrer Verfassungsschützer umgebracht werden, und angeblich einige 10 Jahre lang nichts gesehen haben wollen? Oder doch nicht?

    Es gibt doch ein Sprich Wort: "Kehre erst den Dreck vor eigne Türe, bevor...

  • F
    FredinTirolo

    Liebe® "von eksom"..

    Es bringt wenig die Taten der einen und der anderen Seite aufzurechnen und ich will gar nicht wissen was der türkische Staat an Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten alles geliefert hat (Beispiel : Haft für ein paar kurdische Worte, systematische Folter, Menschenrechtsverletzungen..). Da es auf der Welt wohl keinen ethnisch homogenen Staat gibt (nehm ich mal an) werden hoffentlich auch jene türkischen Nationalisten, die nichtmal die "Größe" haben den Massenmord an den Armeniern (ebenfalls Frauen und Kinder inklusive) als schlimmen "Fehler" zu bezeichnen, mit einer -zumindest- Autonomielösung für Kurden leben können. Der Vergleich mit den Salafisten hinkt jedenfalls gewaltig. Alles Gute zum Newroz an alle ..Türken, Kurden, Armenier..

  • L
    lupusb

    Warum macht Erdogan das mit? Der gute Mann will seine Präsidialverrfassung 2014 durchbringen. Dazu braucht er mindestens Ruhe an der Kurdenfront, eigentlich aber die Stimmen der BDP. Beiden, Kurden und AKP wollen eine Verfassungsänderung. Das ganze wird also ein Kuhhandel zuungusten der türkischen Demokratie. Mit den nicht zu unterschätzenden positiven Nebeneffekt einer Beruhigung der Lage in Kurdistan alerdings.

  • L
    lowandorder

    lost in translstion? 2.0

     

     

    In der Hoffnung, daß die Scharfmacher auf beiden Seiten

    auch weiter das Nachsehen haben werden, ist wahrlich

    schon jetzt Grund zum Staunen.

     

    Spontan fällt mir dazu das Interview mit Kurator Vasif Kortun

    über die Kunst im Zeitalter der Nachöffentlichkeit,

    die Furcht vor einer Islamisierung und das gute Brot in Istanbul ein.

    Der darin beschworene Geist der Erneuerung und des politisch-inhaltlichen Wandels

    allein, kann eine gelingende Entwicklung garantieren.

  • VT
    Vasco Tabasco

    @ Eksom:Ich bin Deutscher ohne Migrationshintergrund und mir ist egal wo ein Mensch herkommt.Allerdings ziert meinen Oberarm eine Tätowierung mit anarchistischer Symbolik,Probleme hatte ich deswegen nur mit Leuten die sich als "Bozkurt" bezeichnen.Oder deutschen Rechtsradikalen!Denk mal drüber nach!

  • PA
    Peter A. Weber

    Der Kommentator eksom macht es sich ein wenig zu einfach. Denn wir alle wissen nur zu gut, daß jedes Regime seine Gegner als Terroristen beschimpft, gleichgültig ob ihr Widerstand im Interesse der Bevölkerung ist und vom internationalen Recht abgesegnet wird oder nicht. Wenn man mich fragt, welche Art von Terrorismus weltweit den größten Schaden anrichtet - der Staatsterrorismus oder der außerstaatliche - ich würde eher zum ersteren tendieren. Damit will ich die Gräueltaten der PKK nicht verteidigen, aber wahrscheinlich hat die türkische Armee mehr zivile Opfer als die PKK auf dem Gewissen.

     

    Ebenfalls dürfte es zum Allgemeinwissen gehören, daß jeder bewaffneten Konflikt, der länger andauert, verroht und sich dabei beide Seiten schuldig machen, selbst wenn die eine Seite eine berechtigte Ausgangslage besaß. Das ist die zwanghafte Kriegslogik, die irgendwann keinen Unterschied mehr zwischen gut und böse erkennen läßt.

     

    Allerdings zeigen die historischen Beispiele, daß viele Freiheitskämpfe nur deshalb erfolgreich waren (z. B. gäbe es eine unabhängige Republik Irland nicht ohne die IRA), weil die Widerstandskämpfer (vom ihren staatlichen Kontrahenten natürlich Terroristen genannt) Waffengewalt angewandt haben. Dies spricht nicht für die menschliche Rasse, ist aber Tatsache.

     

    Genau so verhält es sich auch mit der PKK und dem türkischen Staat, der den Kurden niemals freiwillig Zugeständnisse eingeräumt hätte, wenn die PKK nicht ein entsprechendes militärisches Potenzial besessen hätte. Ghandi und Indien sind dabei eher die Ausnahme.

  • B
    Beobachter

    Die Sehnsucht nach Freiheit für ein Volk kann nicht mit Menschenhandel, Schutzgeld oder Drogenhandel gestillt werden, sondern mit Individuen, die Bereit sind, Opfer zu bringen. Das hat die Menscheitsgeschichte gezeigt.

     

    Inwieweit die Opfererbringung von welchem Staat/EU etc. wie bezeichnet werden, richtet sich ausschließlich nach dessen wirtschaftlichen Interessen.

     

    Nur diejenigen, die nicht bereit sind oder können, nach der Wahrheit zu suchen, nehmen diese Beurteilungen als Maßstab.

  • L
    lowandorder

    In der Hoffnung, daß die Scharfmacher auf beiden Seiten

    auch weiter das Nachsehen haben werden, ist wahrlich

    schon jetzt Grund zum Staunen.

     

    Spontan fällt mir dazu das Interview mit Kurator Vasif Kortun

    über die Kunst im Zeitalter der Nachöffentlichkeit,

    die Furcht vor einer Islamisierung und das gute Brot in Istanbul ein.

    Der darin beschworene Geist der Erneuerung und des politisch-inhaltlichen Wandels

    allein, kann eine gelingende Entwicklung garantieren.

  • H
    hallo

    Die PKK gilt nur deswegen als eine Terrororganisation, weil die USA das so wollen. Und wenn die Definition der EU und USA maßgeblich ist, warum sind dann die Hamas bzw. die Hisbollah aus türkischer Sicht keine Terroristen, sondern hochwillkommene Gesprächspartner, wiewohl sie von den USA und der EU als Terrororganisationen eingestuft werden? Der Bundesverfassungsschutzbericht stellt fest:"Die PKK ist weiterhin in den USA gemäß dem „Foreign Narcotics Kingpin Designation Act“ (Gesetz zur Kennzeichnung ausländischer Drogenhändler) als eine in den Drogenschmuggel involvierte Organisation gelistet. In Deutschland liegen jedoch keine

    Hinweise dafür vor, dass Organisationsstrukturen der PKK direkt in den Drogenhandel verwickelt sind."

    Ich frag mich, wenn die PKK derart stark wie behauptet in der Drogenhandel verwickelt ist, warum finden dann sich keine Hinweise darauf? Aber seit den NSU-Morden wissen wir, dass der Verfassungsschutz marxistisch-leninistisch unterwandert ist, vermutlich hängt es damit zusammen.

  • E
    eksom

    Die PKK ist eine Terrororganisation nach dem EU-Recht und damit keine Arbeiter-, und auch keine demokratische Partei. Die hat Babys-, Kinder und Frauen auch kurdische jahrzehntelang getötet!).

    Sie finanziert sich über Waffenschmuggel. Menschenhandel, Schutzgelderpressung und Drogenhandel.

    Ihr Budget liegt so ca. bei 5 Mrd. im Jahr.

    Also bitte nicht eine Terrororganisation und desses Führer schönreden und demokratisch darstellen.

    Sonst müsster Ihr bald auch die SALAFISTEN gleichbehandeln.