Kommentar Schwangerenvorsorge: Babyfernsehen ist erwünscht
Die Krankenkassen umgarnen schwangere Frauen mit nicht notwendigen Vorsorgeangeboten. Denn die Mütter sind für die Kassen „gute Risiken“.
D er medizinische Fortschritt hat Schwangerschaft und Geburt verändert. Dank präziser Ultraschalluntersuchungen etwa ist es möglich, Erkrankungen und Fehlbildungen bei Ungeborenen bereits im Mutterleib zu diagnostizieren und – zumindest teilweise – dort auch erfolgreich zu behandeln. Viele Kinder, die noch vor 50 Jahren keine Überlebenschance gehabt hätten, werden heutzutage geboren – oft mit der Aussicht auf ein nicht vorbelastetes Leben.
Das Problem beginnt wie überall in der Medizin dort, wo mit der – sinnvollen und berechtigten – Vorsorge Schindluder getrieben wird. Wo also Untersuchungen mit dem erkennbar einzigen Nutzen durchgeführt werden, dass sich mit der Unsicherheit werdender Mütter ein prima Geschäft machen lässt und dass die damit einhergehende, zunehmende Pathologisierung von Schwangerschaften geradezu zwangsläufig immer neue Angebote und Nachfragen schaffen wird.
Diese Kritik einzig an die Adresse der Frauenärzte zu richten, griffe indes zu kurz. Es sind insbesondere Krankenkassen, die junge Frauen mit zusätzlichen Vorsorgeangeboten umgarnen, die weit über die Regelvorsorge aus dem gesetzlichen Leistungskatalog hinausgehen und dennoch erstattet werden.
Denn für die Kassen lohnt sich die Kostenübernahme dieser unnötigen Maßnahmen doppelt: Zum einen steigern junge Frauen die Attraktivität der jeweiligen Kasse in der Außenwahrnehmung – also im Wettbewerb mit den anderen Versicherungen. Zum anderen zählen junge Frauen im Kassenjargon zu den „guten Risiken“, was so viel heißt, dass sie gemeinhin kaum krank sind.
Solange der Wettbewerb zwischen den Kassen politisch erwünscht ist, ist dieses Verhalten nur systemkonform. Babyfernsehen auf Kosten der Solidargemeinschaft – man kann sich darüber zu Recht fürchterlich aufregen. Die Fehlanreize freilich verantworten Ärzte wie Kassen wie Politiker gleichermaßen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut