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Kommentar PortugalKurzfristig ist das neue langfristig

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Ist die europäische Krisenstrategie erfolgreich? Portugal ist der ideale Testkandidat. Bislang ist das Ergebnis ein Desaster: Sparen funktioniert nicht.

D ie Eurozone ist erneut an einem Wendepunkt, und ausgerechnet Portugal steht dafür als Symbol. Bisher hat das Krisenland nicht viel Aufmerksamkeit erhalten – gerade weil es so brav war. Brav wurde jede Sparvorgabe von IWF und EU umgesetzt, brav haben Regierung und Opposition zusammengearbeitet. Brav hat die Verwaltung funktioniert und die Steuern eingetrieben. Manchmal störten zwar Demonstrationen das Bild, blieben aber folgenlos.

Portugal ist also der ideale Kandidat für einen Test, ob die europäische Krisenstrategie funktionieren kann. Das Ergebnis ist desaströs. Die Wirtschaft schrumpft, die Arbeitslosigkeit steigt, die Defizite werden größer statt kleiner. Die Situation ist ausweglos, wie der einzige Ausweg zeigt, den die portugiesische Regierung sieht: Sie will bei jedem Arbeitnehmer umgerechnet einen weiteren Monatslohn streichen, indem sie Steuern und Abgaben erhöht.

Die Folgen sind abzusehen: Die Wirtschaft wird erneut schrumpfen, und die Armut wird noch größer. Aber die portugiesische Regierung hat ja Recht, dass ihr keine Alternative bleibt. Sie muss ausführen, was IWF und EU diktieren.

taz
Ulrike Herrmann

ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz.

Portugal ist wehrlos, aber diese Ohnmacht ist eine Macht, die die portugiesische Regierung nutzt. Indem sie die Sparvorgaben einhält, zeigt sie, dass der Sparkurs nicht funktioniert. Darauf werden IWF und EU bald reagieren müssen, wenn sie sich nicht völlig diskreditieren wollen.

Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble scheint zu ahnen, dass eine Wende in der Eurokrise unvermeidlich ist. Also erzählt er davon, dass man die Macht des Währungskommissars ausbauen könnte. Bei diesem „Masterplan“ verwechselt Schäuble jedoch kurzfristig mit langfristig. Kurzfristig wird er Portugal unterstützen müssen – auch wenn dies Milliarden kostet.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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4 Kommentare

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  • M
    malo

    Bisher hat GRIECHENLAND viel Aufmerksamkeit erhalten – gerade weil es so frech war. Frech wurde keine Sparvorgabe von IWF und EU umgesetzt,frech haben Regierung und Opposition zusammengearbeitet. Frech hat die Verwaltung nicht funktioniert und die Steuern nicht eingetrieben.

    GRIECHENLAND ist also der ideale Kandidat für einen Test, ob die europäische Krisenstrategie funktionieren kann. Das Ergebnis ist desaströs. Die Wirtschaft schrumpft, die Arbeitslosigkeit steigt, die Defizite werden größer statt kleiner

  • A
    anke

    Glauben Sie eigentlich wirklich, dass Portugals Ohnmacht eine Macht ist, Frau Herrmann? Ich denke, Lenin hat sich geirrt. Wissen ist gar nicht Macht. Wissen ist Ohnmacht. Aber keine Angst: Die Leute, die Portugal regieren, leidet vermutlich nicht. Sie geben einfach alle drei Affen zugleich. Genau wie ihre Peiniger.

     

    Sicher, Portugal kann zeigen, dass der Sparkurs nicht funktioniert, den IWF und EU diktieren. Aber mal ganz ehrlich: Wen soll diese Erkenntnis stören? Diejenigen etwa, die verantwortlich zeichnen dafür? Himmel! Die hatten längst Gelegenheit, sich auch um die negativen Folgen ihres Tuns zu kümmern. Sie haben es bewusst nicht getan. Vermutlich, weil sie viel mehr Angst, als vor dem Ruin der Institutionen, die sie vertreten, vor der eigenen Demontage haben. In dem "Haifischbecken", in dem sie arbeiten, würden sie sich schließlich allein dadurch schon "völlig diskreditieren", dass sie eingestehen, zu irgend einem Zeitpunkt nicht perfekt gewesen zu sein. Solch ein Eingeständnis käme mindestens einem Antrag auf Vorruhestand gleich, wenn nicht einem Selbstmord.

     

    Den IWF gibt es so wenig wie es die EU gibt. Die Institutionen selber können sich also nicht wehren gegen die, die sie in Panik gegen die Wand fahren. Der Widerstand müssten aus der zweiten und dritten Reihe der da Beschäftigten kommen. Die aber sind allesamt handverlesen. Und zwar von denen, die das Sagen haben. Die potentiellen Nachrücker sind ihren Chefs vermutlich viel zu ähnlich, als dass sie größere Korrekturen am Prinzip vornehmen könnten. Das werden am Ende wohl wieder die tun müssen, die zwar überhaupt keine Ahnung haben, dafür aber auch gar keine Chance, Augen, Ohren und Mund zuzumachen. Auf irgendwelche Etikette werden die dann wohl eher nicht achten.

     

    Hätten wir noch ein Gottesgnadenkönigtum und keine falsch verstandene Demokratie, wäre die Chance auf einen Paradigmenwechsel auch nicht leiner, denke ich. Dann nämlich würde mindestens einer von zehn oder fünfzehn legitimen Erben überhaupt nicht nach seinem Erzeuger schlagen. Die Natur produziert nur selten Säugetier-Klone. Und nur der Mensch tut es wirklich zweckgerichtet in die nächste Generation hinein.

  • AW
    Alles wie geplant

    Liebe Frau Herrmann,

    IWF und EU haben sich schon lange völlig diskreditiert.

     

    Daß es Wirkung zeigt, wenn die Portugiesen in ein paar Monaten sagen : "Schaut her, wir haben uns umgebracht, und das ist Eure Schuld!" ist völlig naiv.

     

     

    Im Gegenteil:

    So ist es gedacht, und die anderen EU-Länder sollen genauso enteignet und entmündigt werden.

     

    Schäuble hat dies heute wieder klar gefordert:

    Die EU-Staaten sollen ihr Haushaltsrecht an einen EU-Komissar abtreten. Ob dies gewollt ist, wird genauso wenig gefragt werden wie nach dem ESM, dem EFSF, dem Euro, etc. etc.

    Das Grundgesetz ist faktisch aufgehoben.

    Und demokratisch gibt es kaum noch Einfluß, dies zu verhindern.

     

    In Griechenland und Spanien wird das Volk bereits in großem Umfang niedergeknüppelt.

     

    Portugal wird weiter ausgenommen, die Bürger zahlen und zahlen, während die Banken die EU-"Fördergelder" einsacken.

     

     

     

    Erst wenn alles Staatseigentum privatisiert ist, werden die Banken und Konzerne "Ihre" Staaten wieder ans Laufen bringen, und dann vollständig zu ihren Bedingungen.

     

    Die Orwellsche EU-Diktatur ist in Windeseile dabei, sich zu manifestieren.

  • T
    thbode

    Stimmt. Bei Griechenland lassen Merkel und Schäuble wahrscheinlich durchblicken dass die eben nicht brav genug waren, beim Einnehmen der Medizin, wenn der Kollaps naht. Und eine Mehrheit hier im Land glaubt es vielleicht auch.

    Das muss man sich mal richtig genüsslich vor Augen halten:

    Man lässt Tausende ins Gras beißen, kühlen Blicks und mit scheinheiligen Mitleidsbekundungen, und dann funktioniert der Plan noch nicht mal. Nein, diese ungerechten Menschenopfer haben den Moloch Markt nicht zufrieden gestellt.

    Was heisst das? Merkel & Co. haben weder Menschlichkeit noch Wirtschaftskompetenz vorzuweisen.

    Portugal, da muss man perverserweise hoffen dass die Regierung ihr Volk weiter brav als Versuchskaninchen bluten lässt, - bis unabweislich ist dass es da auch nicht funktioniert.