piwik no script img

Kommentar Organspende-SkandalHandlungsunfähigkeit? Pah!

Die juristische Sachlage ist vertrackt. Eine Gesetzesreform gegen Betrügereien bei Organstransplantationen ist längst überfällig.

E rst erklären die Staatsanwaltschaften München und Regensburg im Transplantationsskandal ihre Handlungsunfähigkeit: Aufgrund einer „Strafbarkeitslücke“ könnten sie die manipulierenden Ärzte strafrechtlich vermutlich nicht belangen.

Denn wie solle man nachweisen, dass ein Patient X genau und nur deswegen sterben musste, weil andernorts ein Patient Y dank gefälschter Laborwerte schneller ein Organ erhielt, als ihm eigentlich zustand? Eben. Das Strafrecht aber verlangt diese Kausalität, wenn es um Tötungsdelikte geht. So weit, so logisch. Und was passiert einen Tag später?

Da gelingt es der Staatsanwaltschaft Braunschweig, einen Haftbefehl zu erwirken und einen dringend tatverdächtigen Arzt, der jahrelang an der Uniklinik Göttingen mit einem bemerkenswerten Ausmaß krimineller Energie Patientenakten gefälscht hatte, in U-Haft zu stecken. Handlungsunfähigkeit? Pah.

Gefälschte Patientenakten

Und dann ist dieser verdächtige Arzt auch noch derselbe Arzt, gegen den zufälligerweise auch die Staatsanwaltschaft Regensburg ermittelt. Weil er, bevor er nach Göttingen ging, in – richtig! – Regensburg mit einem bemerkenswerten Ausmaß krimineller Energie Patientenakten gefälscht hatte. Messen mit zweierlei Maß? Blindheit der Justiz vor den Göttern in weiß?

Bestätigen sich hier wieder einmal die Vorurteile gegen die bayerischen Strafverfolgungsbehörden? Falsch. Ausnahmsweise ist den Bayern – zum jetzigen Erkenntnisstand jedenfalls - kein Vorwurf zu machen. Zur Ahndung von Taten wie den jetzt vorliegenden fehlen schlicht Paragrafen. Der Schachzug der Kollegen aus Braunschweig indes ist klug, überraschend und mutig – und vor allem: ein gewagtes juristisches Experiment.

Bild: Wolfgang Borrs
HEIKE HAARHOFF

ist gesundheitspolitische Redakteurin der taz.

Die Braunschweiger verfolgen den Straftatbestand des vollendeten Totschlags – weil nicht nachweisbar – nicht weiter. Stattdessen konstruieren sie nun einen versuchten Totschlag. Der ist selbst dann strafbar, wenn es keine Toten gibt. Ein Beispiel: Wenn einer mit einer Waffe in eine Menschenmenge zielt, die Kugel aber nicht trifft, dann ist das versuchter Totschlag.

Oder wenn er versucht, jemanden zu erschießen, aber die Waffe klemmt. Es geht also darum, dass jemand mit dem Wissen handelt, dass Menschen zu Tode kommen könnten und dies billigend in Kauf nimmt. Selbst kritische Juristen und Gutachter, die sich seit langem intensiv mit den Sauereien an den diversen Transplantationskliniken beschäftigen und nichts lieber täten, als verantwortliche Ärzte ins Gefängnis zu stecken, haben Zweifel, ob die Initiative der Braunschweiger Strafverfolger am Ende nicht nach hinten losgehen könnte.

Denn es könnte einen Unterschied machen, ob einer auf Menschen zielt, aber nicht trifft. Oder ob er ihm völlig unbekannte Patienten auf der Warteliste potentiell gefährdete, verstreut über sieben europäische Staaten und im Nachhinein vermutlich nicht mehr zu identifizieren, indem er andere – ebenfalls kranke – Patienten bevorzugte und ihnen durch Daten-Manipulation schneller zu einem Organ verhalf.

Akute Fluchtgefahr

Den Braunschweiger Staatsanwälten aber blieb nichts anderes übrig, als diesen juristischen Versuch zumindest zu wagen, und zwar jetzt, unangekündigt und überraschend, und obwohl die Anklageschrift noch gar nicht fertig ist: Es bestand akute Fluchtgefahr.

Und welchen Aufschrei hätte es wohl gegeben, wenn der beschuldigte Arzt sich einfach abgesetzt hätte? Auch deswegen verdient das Vorgehen der Braunschweiger Staatsanwaltschaft Respekt.

Das alles darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der Gesetzgeber handeln muss: Gebraucht wird ein Gesetz, das den Gefährdungstatbestand unter Strafe stellt. Diese Einsicht hat sich bereits parteiübergreifend bei vielen Politikern durchgesetzt. Selbst die Regierung hat sich unlängst bereit erklärt, zu prüfen, ob die Gesetzeslage verschärft werden sollte. Insofern besteht tatsächlich so etwas wie Hoffnung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Heike Haarhoff
Redakteurin im Inlands- und im Rechercheressort
Heike Haarhoff beschäftigt sich mit Gesundheitspolitik und Medizinthemen. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Kinderheim bei Paris ab 1989 Studium der Journalistik und Politikwissenschaften an den Universitäten Dortmund und Marseille, Volontariat beim Hellweger Anzeiger in Unna. Praktika bei dpa, AFP, Westfälische Rundschau, Neue Rhein Zeitung, Lyon Figaro, Radio Monte Carlo, Midi Libre. Bei der taz ab 1995 Redakteurin für Stadtentwicklung in Hamburg, 1998 Landeskorrespondentin für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und von 1999 bis 2010 politische Reporterin. Rechercheaufenthalte in Chile (IJP) und den USA (John McCloy Fellowship), als Stipendiatin der Fazit-Stiftung neun Monate Schülerin der Fondation Journalistes en Europe (Paris). Ausgezeichnet mit dem Journalistenpreis der Bundesarchitektenkammer (2001), dem Frans-Vink-Preis für Journalismus in Europa (2002) und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse (2013). Derzeit Teilnehmerin am Journalistenkolleg "Tauchgänge in die Wissenschaft" der Robert Bosch Stiftung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
Heike Haarhoff
Redakteurin im Inlands- und im Rechercheressort
Heike Haarhoff beschäftigt sich mit Gesundheitspolitik und Medizinthemen. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Kinderheim bei Paris ab 1989 Studium der Journalistik und Politikwissenschaften an den Universitäten Dortmund und Marseille, Volontariat beim Hellweger Anzeiger in Unna. Praktika bei dpa, AFP, Westfälische Rundschau, Neue Rhein Zeitung, Lyon Figaro, Radio Monte Carlo, Midi Libre. Bei der taz ab 1995 Redakteurin für Stadtentwicklung in Hamburg, 1998 Landeskorrespondentin für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und von 1999 bis 2010 politische Reporterin. Rechercheaufenthalte in Chile (IJP) und den USA (John McCloy Fellowship), als Stipendiatin der Fazit-Stiftung neun Monate Schülerin der Fondation Journalistes en Europe (Paris). Ausgezeichnet mit dem Journalistenpreis der Bundesarchitektenkammer (2001), dem Frans-Vink-Preis für Journalismus in Europa (2002) und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse (2013). Derzeit Teilnehmerin am Journalistenkolleg "Tauchgänge in die Wissenschaft" der Robert Bosch Stiftung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • I
    ion

    Sorry, aber soweit Sie ja selbst schreiben, sind die Anlässe der staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen den betreffenden Arzt durch die Staatsanwaltschaft Regensburg (Bayern), resp. die Staatsanwaltschaft Braunschweig (Niedersachsen) die Gleichen – insofern gilt dann wohl:

    "Bestätigen sich hier wieder einmal die Vorurteile gegen die bayerischen Strafverfolgungsbehörden?" R i c h t i g .

    Denn auch die Bayern hätten ...., wollten aber offensichtlich nicht;

    Und ich halte es weder für einen Zufall, dass die entsprechenden Gesetze (noch) ‘fehlen’, noch, dass die Bundesregierung das Organspende-, Transplantations-gesetz so novellierte, wie aktueller geschehen – eben ohne (derlei) juristisch formulierte Absicherungen gegen Ärzte (, Klinikleitungen) mit krimineller Energie.

  • P
    Peter

    Welchen Sinn würde es machen, wenn eine einzelne Person Patientenakten fälscht?

    Es ist schwer vorstellbar das der Arzt auf eigene Faust und alleine gehandelt hat.

    Persönlich würde ich eine krimminelles Netzwerk/Vereinigung vermuten.

    Denn wenn ein Patient plötzlich akut Krank, ein Organ erhalten muss, müsste auch der gesamte Behandlungsplan auf diese Situation eingestellt werden. Vermutlich auch die Medikamentierung.

     

    Die Uniklinik Göttingen scheint die Vita des eingestellten Arztes nicht beachtet, ebenso mit Uni Regensburg keinen Kontakt gehabt zu haben.

    Das gerade staatliche Einrichtungen im Rahmen der internen Diensthilfe nebst BZRG(Führungszeugnis) keine Zusammenarbeit haben, ist aus der Vergangenheit Renazifizierung aber auch in der Gegenwart mit falschen Ärzten z.B. Munzir A. bekannt.

    Einmal im halb/staatlichen Tätigkeit und schon den bundesweiten behördlichen Freifahrtschein? Althergebrachte Inhalte des Berufsbeamtentum, mit der Wirtschaft eng verbunden?

    Köln und die Offenlegung geheimer Unikooperationsverträge, CBG.

     

    Welche Einstellungskriterien werden für Oberärzte angelegt? Umsatz bestimmter Pharmariesen? Erinnert irgendwie an die illegalen Kinderversuche in Portugal, Bayergate.

     

    Mode und Methoden wiederholt sich auf anderen Ebenen.

    Zeitweise habe Chirurgen sich zum Nachteil der Berufsunfähigkeitsversicherung die Hand oder einen Finger abgehackt. Kasteiung der besonderen Art. Welche Bereiche sind es heute?

    Forschung und Umsatz?