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Kommentar Machtkampf in der TürkeiIslamistischer Bruderkrieg

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

In der Türkei geht das Gerangel um Macht weiter. Der Konflikt zwischen Erdogan und der Gülen-Gemeinde könnte die säkulare Bewegung stärken.

Wackelt der Präsidenten-Thron? Noch hat die One-Man-Show Erdogan gut lachen. Bild: reuters

D ie Türkei wird derzeit von einem Machtkampf erschüttert, wie sie ihn seit dem letzten Versuch der Militärs 2007, die AKP verbieten zu lassen, nicht mehr erlebt hat. Die Protagonisten sind jetzt aber nicht mehr Säkulare gegen Islamisten. Nein, jetzt kämpfen Islamisten gegeneinander.

Gegner von Ministerpräsident Erdogan ist die einflussreichste islamische Sekte der Türkei, die Gülen-Gemeinde, deren Guru Fethullah Gülen seit 1999 in den USA lebt. Über ein Jahrzehnt hat diese Bewegung den Aufstieg der AKP tatkräftig unterstützt, gemeinsam hat man etliche politische Gegner bekämpft, Gegner aus dem säkularen Spektrum des Landes ins Gefängnis gebracht. Jetzt frisst die islamische Revolution ihre Kinder.

Während sich AKP und Erdogan beklagen, Gülen würde immer mehr Macht in den Institutionen, vor allem in Justiz und Polizei beanspruchen, spricht die Gülen-Gemeinde von zunehmender autoritärer Gewalt vonseiten der Regierung und beklagt einen Mangel an Demokratie, den sie allerdings so lange in Ordnung fand, wie es noch gegen Linke, Gewerkschaften und die kemalistische Opposition ging.

Mit der gestrigen Welle von Verhaftungen AKP-naher Geschäftsleute wurde der Konflikt zwischen diesen rechten Kräften weiter verschärft. Der Konflikt zeigt vor allem das Fehlen einer echten demokratischen Alternative zur Ein-Mann-Show Erdogan.

Paradoxerweise wachsen mit diesem innerislamischen Konflikt aber die Chancen für die säkulare Bewegung. Ihre Kandidaten könnten bei den bevorstehenden Kommunalwahlen punkten. Und Erdogan könnte größere Schwierigkeiten bekommen, sich im kommenden August erneut zum Präsidenten wählen zu lassen. Die Zeiten, in denen die AKP mühelos jede Wahl gewinnen konnte, sind jedenfalls glücklicherweise vorbei.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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18 Kommentare

 / 
  • E
    Emil

    Wie der Unistreit in Münster zeigt, stehen auch uns Streitigkeiten über die Auslegung des Islams ins Haus. Aber der gehört ja zu Deutschland, wie wir von ganz oben gesagt bekamen.

    • M
      Münsteraner
      @Emil:

      Angesichts von ca. 4 Millionen Muslimen in Deutschland eine sicherlich zutreffende Aussage von Herrn Wulff.

       

      Ansonsten verfehlt ihr Kommentar das Thema - es geht in der Auseinandersetzung zwischen Erdogan und der Gülen-Bewegung nicht um theologische Auslegungsstreitigkeiten.

       

      Artikel gelesen?

  • T
    toyak

    Naja,

     

    die islamische Revolution frisst ihre Kinder?

    Islam und Revolution in einem Satz in Verbindung zu bringen, zeugt von mangelnder Sprachfähigkeit.

    Die Gülen-Bewegung wird tatkräftig vom Westen unterstützt. Der Guru, also Fetullah Gülen, lebt in den USA und predigt seine islamische Vorstellung. Sein Parole lautet, dem Volk dienen. Fragt sich schon, welches Volk, das in der Türkei oder das in den USA.

     

    Bei aller Kritik an Erdogan, die ich bis zum letzten Punkt unterschreiben würde, kommt mir die westliche Kritik zu heuchlerisch vor. Wenn man bei Zeit-Online Erdogan kritisiert hat, bekam man Redaktionsempfehlung. Kritisiert man aber die Haltung des Westens bei dem Bürgerkrieg in Syrien oder bei dem ewigen Nahost-Konflikt, so wird das Konto gesperrt ohne jegliche Begründung.

    Auch hier werden gern Kommentare nicht veröffentlicht.

     

    Irgendwann werden die nach westlicher Ansicht 2. Klasse Menschen erkennen, was im Westen so alles eingesetzt wird, um eigene Interessen durchzusetzen.

    Da wird ohne weiteres mit Terroristen-Organisationen kooperiert, die man woanders bekämpft und dabei die Morde an Zivilisten als Kollateralschäden nicht nur in Kauf nimmt.

     

    Herr Gottschlich,

     

    Ihre Kritik hat ihre Grundlage darin, dass Erdogan zu stark geworden ist, sodass der Westen ihn nicht mehr unter Kontrolle halten könnte. Ihnen gehen die Menschenrechte in der Türkei an A.... vorbei. Einzig und allein geht es um Schwächung von Erdogan.

    Meine Kritik an Erdogan soll die Situation der Menschenrecht in der Türkei verbessert aber nicht die Regierung so schwächen, dass der Westen seine Interessen auf den Rücken der Bevölkerung durchsetzt.

     

    Vergessen Sie nicht, dass das Verbrechen des Militärs bei dem letzten Putsch in der Türkei vom Westen toleriert wurde und die Täter als Staatsgäste empfangen wurden.

    Da hat es uns nicht gestört, dass hunderttausende die Türkei verlassen müssten.

  • Es scheint an der Zeit, dass "Auslandskorrespondenten" sich mehr vertiefen in die Gesellschaften, aus denen sie berichten... Wenn ich Kommentare wie "Der Konflikt zeigt vorallem das Fehlen einer echten demokratischen Alternative..." sehe, wird mir schwindlig! Oh je, Herr Gottschlich, hatten Sie damit gerechnet? Die Auswahl in der TR besteht jeweils zwischen Regen und Traufe, und mir ist der Regen namens Erdogan so lange lieb, wie er die losen Enden seines Landes zusammen hält, weil er wenigstens eine wie auch immer geartete Vorstellung von Demokratie hat. Neben der Generalität und Gülen-Belediye gibt es in der Türkei noch ganz andere Bünde, Seilschaften und radikale Interessengruppen, die wir alle sicherlich nicht in einer politischen Verantwortung sehen möchten. Es ist schon einigermaßen kontraproduktiv, wenn unter solchen Umständen die mitteleuropäischen Musterdemokraten immer wieder zaudernd auf Randthemen setzen, statt die türkische Reformation durch verstärkte internationale Zusammenarbeit zu fördern und so die Finsterlinge aus ihren Nischen zu treiben.

    • @UWB:

      Wie vertieft Sie sich mit der Gesellschaft in der Türkei beschäftigt haben, wird deutlich, wenn man Ihren Kommentar so mal überfliegt.

      Von Seilschaften und radikalen Interessengruppen zu sprechen, die möglicherweise möglicherweise und nochmal möglicherweise existieren, bedarf ja offenbar einer besonderen Fähigkeit.

      Es ist für Sie kontraproduktiv, die Tötungen und Folterungen der Demonstranten anzusprechen. Sonst werden ja die Geschäfte mit der Türkei Schaden nehmen.

      Ihr Demokratie-Verständnis lässt vieles zu wünschen übrig.

      Was meinen Sie mit Traufe?

      Einen Ministerpräsidenten, der die Gesellschaft spaltet, als Regen zu bezeichnen, ist ja wirklich die Spitze.

  • T
    Taner

    Hallo Herr Gottschlich. Ich habe da ein Problem mit den politischen Begrifflichkeiten. Könnten Sie mich bitte mal aufklären. Am Besten pro Tag ein Begriff. Wie wärs, wenn wir huete mit dem Begriff "islamist" anfangen? Was ist das? Ist das ein Begriff, den Leute wie Sie es sich ausgedacht haben, um eine bestimmte Gruppierung, wann immer es in den Kram passt, ins schlechte Licht zu rücken?

    Wie auch in diesem Artikel?

    Gibt es auch ein Paar Wörter in euren Schubläden wie z Bsp. Christist, Israelist?

    Ich kann mich meinem Vorredner anschliessen. Bitte aufpassen mit den Begriffen.

    • T
      Trotzkist
      @Taner:

      Hallo Taner,

       

      Islamisten sind Anhänger des islamischen Fundamentalismus, genannt Islamismus. Islamismus hat folgende Kennzeichen:

      - Absolutsetzung des Islam als Lebens- und Staatsordnung

      - Gottes- statt Volkssouveränität als Legitimationsbasis

      - der Wunsch nach ganzheitlicher Durchdringung und Steuerung der Gesellschaft

      - homogene und identitäre Sozialordnung im Namen des Islam

      - Frontstellung gegen den demokratischen Verfassungsstaat

      - Potential zu Fanatismus und Gewaltbereitschaft.

    • @Taner:

      @Taner

      Das Wort "Islamist" passt zu der Propaganda des Westens. Ich würde Erdogan als Hassprediger bezeichnen. Er unterscheidet sich von H. P. Friedlich (ehemaligem Innenminister) kaum.

      Erdogan hetzt seine Anhänger auf die Demonstranten, lügt und betrügt die Bevölkerung, feuert den Bürgerkrieg durch Lieferung von Waffen. Lässt die Terroristen über die Grenze zu Syrien passieren.

      • C
        Charly
        @toyak:

        Genau, Toyak hat die Wahrheit kurz und bündig ausgesprochen!

  • B
    Bilal

    Hallo Herr Gottschlich!

     

    Ich bin Moslem. Sie gehen mir mit diesem Artikel auf den Nerv. Ich fühle mich diskriminiert. Passen Sie auf, was sie schreiben. Ein Tipp: Informieren Sie sich doch mal bitte über das Land, von dem Sie angeblich der Fachmann sind.

    • @Bilal:

      Machen Sie sich keine Sorgen.

       

      Es kann zwar sein, dass Herr Gottschlich nicht besonders informiert ist und seine Kritik etwas andere Motivationsgrundlage hat, jedoch ist und bleibt Erdogan ein Ministerpräsident, der diktatorische Eigenschaften hat, die man doch täglich sehen kann. Seine Hetze und Lüge (mit Bierflaschen seien die Demonstranten von Gezi-Park in Moschen reingegangen) sind einmalig.

      Dessen Polizei schreckt nicht davor, Tränengasbomben in die Krankenhäuser zu feuern, dessen Polizei Demonstranten in den Kopf schieß und ermordet, dessen Polizei Demonstranten foltert.

  • Lieber Herr Gottschlich,

    Herr Erdogan war nie Präsident;

    wie sollte er sich also "im kommenden August ERNEUT zum Präsidenten wählen zu lassen"?

     

    Manche könnten auf die Idee kommen, dass die Türkei mittlerweile so demokratisch ist, dass sogar Ministersöhne angeklagt werden, was hervorragend ist!

     

    Andere kommen auf die Idee, das als Beweis für den korrupten Staat zu nehmen.

     

    Wieder andere sehen einen Kampf unter Islamisten.

     

    Usw, usw...

     

    Alles Interpretationssache oder sollt'ich sagen Türkisch-Kaffee-Leserei!?

    • @mr_comment:

      Wer aus der Reihe tanzt, verliert, würde ich sagen.

       

      Welche Macht die Polizei in der Türkei hat, dürfte jedem, der in der Türkei gelebt hat bzw. lebt bekannt sein.

      Ministersöhne verhaften ist lediglich ein Zeichen dafür, dass diese noch mehr Dreck am Stecken haben, also die Spitze des Eisberges.

       

      Die demokratische Seite des Türkischen Staates dürften die Demonstranten von Gezi am eigenen Leib und Leben erleben.

       

      Wenn die Polizei den Demonstrant auf offener Straße hinrichtet, ist das ja ziemlich demokratisch.

      Wenn Erdogan mit seinen 51 % kommt, ist ebenfalls demokratisch.

      Demokratie bedeutet Herrschaft der Mehrheit aber nicht Diktatur der Mehrheit. Das sollten Sie vllt wissen.

      • @toyak:

        Lieber Toyak,

         

        ich widerspreche Ihnen nicht, wenn hier die türkische Polizei kritisieren.

        Aber darum ging es hier in diesem Artikel nicht.

        Ich denke, dass meine Kritik über genau diesen Artikel angebracht ist.

         

        Ansonsten:

        - Was die türkische Polizei angeht, muss hier sicherlich reformiert werden.

        - Sie sind genau der Beweis meiner Kritik ("Andere kommen auf die Idee, das als Beweis für den korrupten Staat zu nehmen."), was ja absolut legitim ist. Man sollte hier nur etwas zurückhaltender sein; Kritik dann, wenn die Exekutive versuchen sollte, das Ganze zu verschleiern (was sicherlich der Fall sein sollte); dann freue ich mich auf Ihre Kritik.

        - was Gezi angeht: auch hier haben Sie eine einseitige Sicht; Sie sehen die "brutale" Polizei und sagen kein Wort über die Zerstörungswut der überwiegenden Mehrheit der Demonstranten; stellen Sie sich doch nur mal vor; wir beide organisieren eine unerlaubte Demonstration inmitten von Berlin mit unseren Landsleuten und bauen Barrikaden; der Verkehr kommt zum Stehen; was meinen Sie wie die deutsche Polizei vorgeht; viel Spass sag ich nur!

        - die Polizei hat niemanden auf offener Straße hingerichtet; seien Sie fair; ich habe x-mal das Video darüber gesehen; der Polizist hat in die Luft geschossen und nicht gezielt auf die Leute; die Leute waren dabei ihn zu lynchen! Dies sind Tatsachen, wie man auch zu den Demonstranten oder der Polizei gegenüber steht! Hier der Link http://www.youtube.com/watch?v=t2gE0dW33Ss

        - was die 50% angeht: wer Erdogan Diktator nennt, verunglimpft genau diese 50% und sagt aus, dass deren Stimmen nichts zählen! Richtig; 50% bedeutet nicht die Herrschaft über die Minderheit, aber auch nicht die Herrschaft der Minderheit über die Mehrheit.

        • T
          TURGI
          @mr_comment:

          @MR_COMMENT

           

          So einfach ist es nicht!

          Haben die bei der französchichen Revolution erlaubte Demonstration gehabt?

          Waren die Demos in Nordafrika "Arabischer Frühling" erlaubte Demonstrationen?

          Auch wenn es 50% der Wähler sind, was glauben sie wie viele davon leider nicht genügend gebildet, gekauft, getäuscht, usw. sind?

          Solange durchschnittlicher Bildungsniveau meiner Landsleute nicht erhöht ist, hat man solche Zustände aber das ist nicht Demokratie!

          • @TURGI:

            Lieber Turgi,

            bitte vergleichen Sie nicht Äpfel mit Birnen.

            Bei der französischen Revolution handelt es sich um das Zeitalter des Absolutismus, wo der Sonnenkönig absolut herrschte (L'etat; c'est moi! sagt alles aus)

            Beim arabaschin Frühling herrschten hauptsächlich von den westmächten geförderte und/oder gedultete Diktatoren.

            Beim Erdogan handelt es sich um ein vom Volk demokratisch gewählten Mann.

            Selbstverständlich akzeptieren Sie das nicht, weil Sie offensichtlich das türkische Volk für eine Wahl zu dumm, zu gutgläubig und korrupt halten.

            Was also schlagen Sie vor? Offenbar doch wieder Mal einen Putch der Militärs, ein Wahlverbot für das türkische Volk bis ein Ihnen genehmer Diktator glaubt, das türkische Volk ist endlich gebildet für die Demokratie; Und das ist dann echte Demokratie, wie Sie sich es vorstellen!?

            • @mr_comment:

              Jedem, der seine ihm Kraft Verfassung gegeben demokratischen Rechte ( u.A. sein Wahlrecht) gegen ein paar Kohlen oder ein Paket Nudeln verkauft, sollten diese Rechte wieder weggenommen werden.

              Und Verurteilte wie Erdogan, die gar nicht kandidieren dürften, sollten für das Kaufen von Stimmen sofort wieder dorthin befördert werden, wo sie hingehören:in den Knast, optimalerweise noch bevor sie das Volk ausgeraubt haben.

              • @einTürk:

                Das entscheiden nicht Sie, nicht ich, sondern die Wähler!