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Kommentar Lederer und das BabylonIllegitimer Maulkorb

Kommentar von Claudius Prößer

Der Kultursenator darf zwar kritisieren, aber Druck gegen eine unliebsame Veranstaltung ausüben darf er nicht. So klar ist der Fall Jebsen auch nicht.

Ist er zu weit gegangen? Foto: dpa

W as genau ist ein Verschwörungstheoretiker? Jemand, der denkt, dass Reptiloide uns regieren? Jemand, der Zweifel an der offiziellen Version von 9/11 äußert? Jemand, der behauptet, der NSU habe mit dem Verfassungsschutz unter einer Decke gesteckt? Das Feld der politischen Spekulation reicht von kompletten Fantastereien bis hin zu durchaus realistischen Neuinterpretationen vermeintlich offenkundiger Zusammenhänge.

Menschen pauschal zu etikettieren kann im Zweifel ein kommodes Mittel sein, Meinungen außerhalb des Mainstreams zu unterdrücken. Darunter können absurde und politisch gefährliche sein, aber auch solche, die nur eingeübte Erklärungsmuster gefährden.

Was Ken Jebsen für den linken Mainstream zum Verschwörungstheoretiker macht, ist unter anderem sein notorischer Antiamerikanismus: Er spinnt die Erzählung von den USA als skrupellosem imperialem Hegemon weiter, während sich Dutschkes Erben längst auf das gegenläufige Narrativ des großrussischen Aggressors eingegroovt haben. Gerade in Lederers Partei gibt es allerdings noch beträchtliche Sympathiereserven für Jebsens Thesen und die seiner Kronzeugen.

Allein das muss dem Senator suspekt sein. Allerdings hat er Jebsen und andere Teilnehmer der geplanten Veranstaltung des Antisemitismus bezichtigt – was selbstverständlich ein Dealbreaker wäre. So klar ist die Sachlage aber nicht. Zumindest hat bislang kein Gericht Jebsens ätzende Israelkritik als antisemitisch bewertet.

Druck ausgeübt?

Wie auch immer: Sollte es stimmen, dass der Kultursenator die Senatsförderung des Babylon-Filmprogramms als Druckmittel eingesetzt hat, um Betreiber Grossman zur Absage zu bewegen, wäre das ein starkes Stück, unabhängig davon, wie man zu Jebsen steht. Missliebige Meinungsäußerungen zu kritisieren steht dem Senat allemal zu, sie zu verhindern nicht – es sei denn, auf rechtlichem Wege. Ob BerlinerInnen einem Ken Jebsen applaudieren oder gegen ihn demonstrieren, sollen sie gefälligst selbst entscheiden können.

Wohlgemerkt: Lederer hat kein Hausrecht ausgeübt – was legitim gewesen wäre. Er hat (wenn die kolportierte Verschwörungstheorie zutrifft) einen Veranstalter über Umwege dazu gebracht, einen privaten Mietvertrag zu kündigen.

Und wo hört man eigentlich auf, wenn man einmal angefangen hat? Beim Jebsen-Liebling Daniele Ganser oder beim taz-Mitarbeiter Mathias Bröckers, der bekanntlich „verschwörungstheoretische“ Bücher schreibt und bei der Jebsen-Preisverleihung die Laudatio halten sollte. Noch mal: Gut finden muss das alles niemand. Aber ein Maulkorb vom Senat ist kein probates Mittel.

Warum Klaus Lederer richtig gehandelt hat, kommentiert Erik Peter

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Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.
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6 Kommentare

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  • Ken Jensen hat unrecht, wenn er über die Abhängigkeit der Autoren oder der Kommentare von der jeweiligen Chef-Redaktion phantasiert.

     

    Oder aber, die Taz ist eine Ausnahme und steht wirklich immernoch für Meinungsfreiheit. Das wäre toll und ich ließe dann gerne weiter, bis der nächste Syrienartikel oder nächste Aufforderung nach der deutschen Atombombe käme...

     

    Wie komme ich zu dieser steilen These? Na hier:

     

    "Wohlgemerkt: Lederer hat kein Hausrecht ausgeübt – was legitim gewesen wäre. Er hat (wenn die kolportierte Verschwörungstheorie zutrifft) einen Veranstalter über Umwege dazu gebracht, einen privaten Mietvertrag zu kündigen."

     

    Lese ich jetzt richtig und Sie, Herr Prösser, unterstellen der Taz das kolportieren einer Verschwörungstheorie? Diese war nämlich die einzige Quelle, die bisher den Sachverhalt des Telefonats an Herrn Grossman und der folgenden Absage im Detail darstellte.

     

    Ich finde es ja gut, dass der Inhalt der Artikel hier, scheins nicht auf Logik geprüft, online geht und, dass die Autoren wohl auch keine Konsequenzen fürchten müssen, da die Kohärenz der Sachverhalte wahrscheinlich auch für die Chef-Redaktion "etwas zu hoch" ist (siehe Syrienberichterstattung), aber:

     

    Sie, Herr Prösser, müssen dringend aufpassen, dass die Info nicht an Ihre Chef-Redaktion gelangt.

     

    Sonst sind Sie nämlich offiziell wegen Verleumdung am Pranger, Herr Prösser, und evtl. werden dann nochmal Anrufe intern getätigt und es kommt zu nicht rechtmäßiger Zensur.

     

    Aber dann bestünde ja sogar die Möglichkeit hier in dieser Gazette von diesen Vorfällen zu hören, da Sie ja unredigiert und zensiert hier schreiben dürfen...

     

    Es wäre alles so schön, ist aber eine Verschwörungstheorie (weil von mir und ich trage beim Schreiben stolz ein Alucap :)

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Ist man auch Verschwörungstheoretiker, wenn man glaubt, dass der Watergate-Skandal Wahres aufgedeckt hat oder dass die Luxemburg-Leaks was mit Juncker zu tun haben? Was ist mit dem Sachsen-Sumpf oder Oury Jalloh?

    Es gibt einen begründeten Widerspruch gegen die Rede vom Verschwörungstheoretiker und die Unterscheidung zwischen Verschwörungstheoretiker und Verschwörungsideologe ist endlich ernstzunehmen!

    Jeder Kriminalist, der eine kriminelle Organisation wie die Mafia verfolgt, ist Verschwörungstheoretiker und auch die offizielle Version der Anschläge des 11. September ist eine Verschwörungstheorie, mit Bin Laden als Anfährer einer Verschwörung mit dem Namen Al Kaida.

     

    Es ist höchst peinlich für die Politikwissenschaft, dass es keine allgemein anerkannten Untersuchungen forensisch-archäologischer Art (unter Einbeziehung der archäölogischen Methode Foucaults) bei den kritischen Ereignissen der Zeitgeschichte gibt. Es kann nicht so getan werden, als sei die Geschichte, die Geheimdienste selbst erzählen, die Wahrheit!

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    "Was Ken Jebsen für den linken Mainstream zum Verschwörungstheoretiker macht, ist unter anderem sein notorischer Antiamerikanismus: Er spinnt die Erzählung von den USA als skrupellosem imperialem Hegemon weiter, während sich Dutschkes Erben längst auf das gegenläufige Narrativ des großrussischen Aggressors eingegroovt haben."

     

    Antiamerikanismus? Russophobie?

    Grabenkämpfe! Good Cop - Bad Cop mit wechselnden Rollen.

    Wie sangen Vorkriegsjugend (VKJ) schon 1983?

     

    "Marschieren wir gegen den Osten? Nein!

    Marschieren wir gegen den Westen? Nein!

    Marschieren wir gegen die ganze Welt, weil die Welt uns nicht gefällt, das ist für uns noch am besten!" https://www.youtube.com/watch?v=RPi5pEG4qr0

     

    Den apokalyptischen Tonfall von VKJ und den Streithähnen in der Linken mit einem Augenzwinkern zu betrachten ist aus postapokalyptischer Sicht nicht verboten. Spätestens mit Francis Fukuyama (und Derrida's 'Apokalypse' und den 'Spectres de Marx') sollte klar werden, was Blixa Bargeld mit seiner feinen Antenne Anfang der 80er auch schon wahrgenommen hat, dass nach dem Tode Gottes auch das Ende der Welt schon geschehen ist.

     

    Kein Grund zur Panik also. Sachliche (Sprach- und Kultur-)Kritik ist auf beiden Seiten dieses Streits in der Linken angebracht. Auch wenn die Hexe auf beiden Seiten schon oft verbrannt wurde ist das kein Anlass zu postapokalyptischer Depression. https://www.urbandictionary.com/define.php?term=Post-Apocalyptic%20Depression

    • @85198 (Profil gelöscht):

      Danke.

      Passende Musik zum Thema :-)

       

      (Du kennst aber auch die unerfreuliche Entwicklung des VKJ Sängers? Da muss man heute aufpassen, ganz schnell wird man gemein, mit denen mit dem du redest)

  • Eine total inakzeptable Aktion von meinem "Parteifreund"!

     

    Dass die USA übrigens skrupellos ihren Hegemonie-Anspruch durchgestezt haben, ist ja wohl vielfach belegt. Davon abgesehen, welcher Hegemon war nicht skrupellos?

  • Bravo!

    Die Meinungsfreiheit muss immer auf Neue erkämpft werden! Wehret den Anfängen!