piwik no script img

Kommentar Justizversagen Ouri JallohRechtsstaat, was machst du?

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Der Justiz kann man nicht in jedem Fall vertrauen. Sollen die Bürger jetzt immer Gutachter privat bezahlen, damit sie gezwungen wird, ihre Arbeit zu machen?

Wer nicht an einen Selbstmord glaubte, wurde verprügelt, angeklagt oder zu Geldstrafen verurteilt Bild: dpa

E in gefesselter Afrikaner verbrennt in einer deutschen Polizeizelle – und Polizisten sollen ihn angezündet haben? Es ist verständlich, das nicht wahrhaben zu wollen. Ja, Polizei und Justiz wollten und konnten sich so eine Tat noch nicht einmal vorstellen. Die Justiz muss das Unvorstellbare sicher ausschließen.

Im Fall Oury Jalloh hat sie das nicht getan, wie sie jetzt selbst zugibt. Sie hat statdessen einseitig ermittelt und zusätzlich die ins Visier genommen, die ihren Tunnenblick kritisierten. Wer nicht an einen Selbstmord glaubte, dies öffentlich gesagt oder geschrieben hat oder ein entsprechendes T-Shirt trug, wurde des Gerichtssaales verwiesen oder geräumt, verprügelt, angeklagt oder zu Geldstrafen verurteilt; auch die Betreiber von entsprechenden Homepages wurden ausfindig gemacht und mit Strafe bedroht.

Jetzt liegt ein neues Gutachten auf dem Tisch, das jene beschafft haben, die wegen ihrer Kritik an der Arbeit der Justiz von dieser kriminalisiert worden waren. Bilder von Oury Jallohs Leiche sind in der Welt, sie sind drastisch, der Erklärungsdruck groß, Medien von Berlin über London bis nach New York interessieren sich wieder für den Fall.

Und jetzt spricht die Staatsanwaltschaft von „überraschenden“, „ernsten“ und „teilweise erschreckend Informationen“, als sei plötzich ein lange verschollenes Beweisstück aufgetaucht. Was für eine Heuchelei.

Denn die Zweifel der Oury Jalloh-Initiative hätte die Staatsanwaltschaft selbst haben müssen. Wie plausibel ist denn die These vom Selbstmord eines gefesselten Mannes, vom Feuerzeug das bei der Durchsuchung der Zelle übersehen und erst Tage später gefunden wird? Was sagt uns die Tatsache, dass die Asche aus der Zelle nicht untersucht wurde, der entscheidende Teil des Tatortvideos verschwand, Einträge im Dienstprotokoll der Wache gelöscht wurden, die Polizisten sich vor Gericht widersprachen?

Und jetzt? Auch jetzt gibt es keinen Grund, der Justiz zu vertrauen: Der von ihr beauftragte Pathologe gab die Leiche frei, ohne die Brüche im Schädel festgestellt zu haben. Erst ein von einem Unterstützerkreis Jallohs durchgesetzte und bezahlte zweite Obduktion brachte diese ans Licht – und hat es überhaupt erst möglich gemacht, eine Ahnung davon zu bekommen, was vielleicht in diesem Polizeirevier passiert sein könnte. Das gleiche gilt für das neue, wiederum privat bezahlte Gutachten zum Brandverlauf. Auch das hätte die Staatsanwaltschaft ganz von alleine schon vor acht Jahren in Auftrag geben müssen. Aber sie hat es nicht getan.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
Mehr zum Thema

21 Kommentare

 / 
  • „Führungskräfte mit Macht verhalten sich tendenziell wie Menschen mit einem Hirnschaden“, so Prof. Dacher Keltner (University of California, Berkeley) seine Forschungen zusammen. (vgl. http://www.leadion.de/artikel.php?artikel=0901 ).

    Ein Forschungsbericht über Hierarchitis und Wasserkopfbildung mit Förderung von Heuchlern kann unter http://www.quality.de/quality-forum/2003/messages/4400.htm gefunden werden.

    Da sieht es schlecht aus mit Verfassung, Grundgesetz, Schutzbestimmungen, Rechtsstaat und Mehrparteiensystem, die angeblich Machtmissbrauch verhindern.

    Behauptet wird: "Die Bundesrepublik ist ein sozialer Rechtsstaat." Diese Festlegung des Grundgesetzes wird nach Beobachtungen der Humanistischen Union (HU) mehr und mehr zur Makulatur (vgl. z.B. http://www.hu-marburg.de/hupm1504.shtml , http://www.hoerbuchkids.de/hu/mr/homepage/justiz/info.php?id=134 und http://unschuldige.homepage.t-online.de/ - im Internet sind unzählige andere Zeugenaussagen zu finden!).

  • B
    Brandt

    @ AMA.DABLAM

     

    Die Deutschen werden den Asylanten Oury Jalloh nie verzeihen. In unserem Kulturkreis sind Morde an Asylanten nicht denkbar. Mir würde es gefallen, wenn mehr Chinesen und Ostjuden bei der Polizei und Justiz wären, dann gäbe es endlich 15% höheren Intelligenzquotienten bei der Polizei und Justiz, und die Privatschnüffler könnten nicht mehr brüllen: "Das darf man wohl noch sagen dürfen !". Was wir jetzt da für Jammerlappen bei der Staatsanwaltschaft haben sind Warmduscher, die es noch nie weit gebracht haben im Leben.

  • B
    Blechstein

    Man sollte den Hinterbliebenen alle Informationen zukommen lassen -diese poltische Ausschlachtung ist unwürdig und hinterläßt nur Schmerz und Leid.

  • L
    lowandorder

    Rechtsstaat - ist doch nix abstraktes;

    ist Menschenwerk, ja - und wird tagtäglich konkret geschaffen.

    Nach 30 Jahren Justiz von innen - und vorher und danach auch von unten:

     

    ich hätte nicht ernsthaft angenommen, daß so etwas wie die " Liverpool Five " ( & mehrfach!) in BRD oder 'schland möglich sein könnte;

     

    aber Gustl Mollath, Brechmittel-Bremen, NSU

    und jetzt Oury Jallohz legen das Gegenteil nahe.

     

    ( nix für diese Abgewählten! aber angesichts

    Hänschen kleinFriedrich kann ich mir einen Umdenkungsprozeß ohne Schnarri oder ein - nicht erkennbares - ähnliches Kaliber nicht vorstellen)

  • BB
    Butter bei die Fische

    Bösen Gerüchten zufolge soll ja der Kohlkönig nach der Wende den Beamtenapparat in Neufünfland mit linientreuen Parteisoldaten, die aber ansonsten nicht gerade zu den am hellsten brennenden Kerzen auf der Torte aus dem Goldenen Westen zählten, hochgezogen haben. Das schlimme Wort von der Beamtenentsorgung mittels Verklappung in Dunkeldeutschland bei Nacht und Nebel machte damals die Runde.

     

    Jetzt ernten wir was einst gesät wurde. Oder gibts noch ein belastbares Gegenargument?

     

    Irgendjemand?

  • R
    Rosi

    Die Verhältnisse in diesem Staat erinnern immer mehr an die Italiens unter Andreotti.

    Mafia Strukturen all über all.

    Der Rechtsstaat verkommt zu einem

    gleichgültigen,zahnlosen Greis!

     

    Wer taub, blind und stumm ist, lebt hundert Jahre in Frieden.“

     

    – sizilianisches Sprichwort

  • Erinnerungen, die erwachen...

  • F
    feuerwut

    danke für den kommentar.

    es ist immer wieder und noch unfassbar und zum himmel hoch schreiend, wie so eine einseitigkeit der ermitlungen in einem angeblichen rechtsstaat gelenkt werden können, ohne jeglichen hauch von neutralität. wer sich den verkohlten, gefesselten leichnam von oury jalloh in der mit schwarzem ruß gefärbten zelle, in dem videobericht der pressekonferenz http://www.make.tv/pressekonferenz_12.11.2013, anschaut, kann sich seine eigene meinung bilden, was für ein feuerinferno muss das gewesen sein! da liegt ein mensch gefesselt auf einer schwer entflammbaren matratze, soll diese mit einem angeblichen feuerzeug angezündet haben bei vollem bewusstsein und entwickelt nicht mal das stresshormon noradrenalin, wie nachgewisen. empört euch alle, so etwas darf nicht unaufgeklärt bleiben, die wahren begebenheiten schreien nach aufmerksamkeit...

  • B
    bb1921

    Rechts 'Staat'? Es sieht so aus. als würde nur noch derjenige Recht bekommen, der sich private Gutachten und Anwälte leisten kann. Derjenige, der dies nicht kann, muss schlampige Ermittlungen und falsche Urteile hinnehmen. Es wird Zeit gg. diesen Corps-Geist vorzugehen, bei dem sich Justiz, Polizeibeamte und Rassisten gegenseitig decken. Es ist kein Zufall, dass gerade der Verfassungsschutz und andere in Sachsen-Anhalt sich als NSU-Unterstützer hervorgetan haben. Der Rassismus geht anscheinend bis in die Justiz hinein.

  • Totale Deppenjustiz zur Zeit ( bei mir seit 18 Jahren ) was der eine nicht schafft ,macht der andere mit brachial Kraft kaputt . nicht war Herr RA - Lingenfeld.. , da ich ab 1992 Kurse für Betriebsratmitglieder bei der US. Army BBde in form von Stressmanagement + Mobbing + Zeitmanagement genossen habe , und immer ein ehrlicher Zeitgenosse bin + War und auch in Zukunft sein werde , ist das Verhalten gegenüber ehem. Klienten in ihren Büro früher sowie heute als Idiotisch zu bezeichnen , Zivilklagen sind schon in Arbeit. Jetzt brauchen SIE einen Betreuer denn Kontos im Minus Beenden geht garnicht und sachen anerkennen die zu ungunsten des Klienten ausgehen ,ist Parteiverrat. Das sollte auch ein 4.KlasseAnwalt mal lernen ...ND

  • Das riecht ganz nach Strafvereitelung im Amt § 258a StGB. Doch da müsste die Staatsanwaltschaft ermitteln - und wenn die schon einen Mord vertuscht, wird sie auch hier einen Weg finden untätig zu bleiben.

    Die Staatsanwaltschaft ist in Deutschland nicht unabhängig sondern gebunden an die Anweisungen der Exekutive. Deshalb funktioniert die Strafverfolgung von Amtspersonen und Politikern häufig nicht.

    Wäre schön, wenn hier sich endlich was ändern würde...

  • Der "Fall Jalloh", NSU.

    Diesem Rechtsstaat sollte man nicht ausgeliefert sein.

  • für polizei und miltär ist töten gar nicht pathologisch. der "gerichtsmediziner" als pathologe, hier, was anderes, anatom eines "mordes", steht zunächst und zuzumeist in "kein auge aushacken", bewährtem kollegialem, "krähenverhältnis" zu justiz und polizei. also, verstanden habe ich das jetzt. da gibt es eine berühmte äußerung mit einem hund von spinoza, die "rachegelüste" der meisten rationalisierend. ...

  • JI
    JK Inc

    Laut eines frisch in auftrag gebenen Gutachtes seites der Polizei, liegt der Verdacht nahe, dass es sich um spontante humane Selbstentzündung handelt. (Zynik).

     

    Übrigens: Logisch, dass ein Mensch verbrennt, dass Feuerzeug, mit dem er sich (gefesselt und durchsucht) angezündet haben soll, aber nicht.

  • PH
    Peter Haller

    @AMA.DABLAM

    Was schreibst du denn für'n verqueres Zeugs??

    Was bitte wäre denn "sozialadäquates Verhalten" des Opfers ???

    Soll er sich bei wem entschuldigen, so posthum, oder wie ??

  • B
    Blechstein

    Hier greift die Anomietheorie nach Merton - kann man ein legitimes Ziel nicht mit legalen Mitteln erreichen, greift man zu illegalen - hier hat abweichendes Verhalten seinen Ursprung.

  • A
    ama.dablam

    Der Rechtsstaat als Institution funktioniert - sehr gut sogar. Was zuweilen nicht richtig funktionieren mag, sind handelnde Personen. Deshalb geht die Arbeit und die erzieherische Aufgabe nicht aus.

     

    Dieser Fall - wie andere Fälle auch - ist kein Zeugnis gegen das rechtsstaatlich verfasste Gemeinwesen, das nichts anderes represäntiert, als uns selbst. Er belegt nur, dass es nicht gelungen ist - und wohl nie gelingen wird - von allen Menschen sozialadäquates Verhalten erwarten zu dürfen, in diesem Falle eventuell von den beteiligten Polizisten, ggf. Gutachtern und nicht zuletzt vom Opfer selbst.

     

    Der Satz "Der Justiz kann man nicht vertrauen" ist daher so sinnfrei wie "Die Presse plappert nur Mist nach".

    • @ama.dablam:

      Worauf wollen Sie hinaus? Der Rechtsstaat hat doch offentsichtlich versagt.

      Das Konzept vielleicht nicht, aber seine Umsetzung hier in Deutschland ist äußerst fragwürdig. Polizisten werden extrem selten zur Verantwortung gezogen - Das ist das Problem. Sicher, hier ist nicht die Allgemeinheit bedroht, aber der Einzelne, der zur Falschen Zeit am falschen Ort ist.

      Bis jetzt hat es 10800 € gekostet, einen Schwarzen entweder totzuprügeln und danach anzuzünden oder ihn bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Dafür kannste wahrscheinlich nichtmal nen Elefanten abknallen.

       

      Natürlich gibt es immer Idioten, die Verbrechen begehen. Unter normalen Bürgern und bei Polizisten. Das Problem ist, wenn der Polizist nicht bestraft wird, weil es keine ihn kontrollierende Instanz gibt.

    • L
      l
      @ama.dablam:

      Der Satz "Auch jetzt gibt es keinen Grund, der Justiz zu vertrauen" bezieht sich wohl eher auf den konkreten Fall, als das er eine allgemeine Aussage darstellt.

  • PH
    Peter Haller

    Warum kommt mir so plötzlich der Begriff "Döner-Morde" in den Sinn ??

     

    Nein, nein ....Polizisten haben ihn doch nicht angezündet ! Alles deutet darauf hin, dass der Afrikaner von konkurierenden Drogendealern (afrikanischen natürlich) "beseitigt" werden sollte. Die haben ja auch das Feuerzeug und die restlichen Brandutensilien in die Zelle geschmuggelt, diese Verbrecher !

    Ausserdem geht auch nix über deutsche Gutachter aller Art (s. Gustl Mollath) !! Was ist bloss los in Deutschland.??? Schon wieder ?

  • K
    Klarsteller

    "Der Justiz kann man nicht vertrauen."

     

    Da geht es euch mit der Justiz wie mir mit der Presse. Egal welcher Couleur.