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Kommentar Erdogans TelefonateSeine Zeit ist vorüber

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Erdogan versucht die jüngsten Korruptionsvorwürfe gegen sich als Intrige abzutun. Doch sein Gebaren verschleiert seine sehr realen Schwierigkeiten.

Er sei nicht beeindruckt, sagt Erdogan über die neuesten Vorwürfe. Bild: reuters

W as uns nicht umbringt, macht uns nur stärker. Nach diesem Motto versucht der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die jüngsten Korruptionsvorwürfe gegen ihn und seinen Sohn Bilal als Fortsetzung einer Schmutzkampagne abzutun. Ihn und seine Anhänger würde das umso enger miteinander verbinden. Keine Sekunde, sagte er gestern, könnten ihn solche Intrigen beeindrucken. Doch das Auftrumpfen des Ministerpräsidenten steht im umgekehrt proportionalen Verhältnis zu seinen realen Schwierigkeiten.

Seit Monaten wird er von einer islamischen Sekte vor sich hergetrieben, mit der er lange zusammengearbeitet, sich dann aber zerstritten hat. Seit der Gülen-Bewegung nahestehende Staatsanwälte Mitte Dezember eine Eiterblase an Korruption aufstachen, die sich in zehn Jahren Regierung unter Erdogan gebildet hatte, muss er immer wieder auf neue Vorwürfe reagieren.

Erdogans Antwort darauf sind bislang Entlassungen und Versetzungen im Polizei- und Justizapparat. Und neue Gesetze, durch die er die Kontrolle über die Justiz, die Medien und das Internet zurückgewinnen will. Doch damit führt er seine eigenen Behauptungen, er sei derjenige, der in der Türkei die Demokratie verteidige, täglich aufs Neue ad absurdum.

Noch weiß niemand, wie die Wahlen in diesem Jahr, insbesondere die Präsidentschaftswahlen im Sommer, ausgehen werden. Doch auch wenn Erdogan zum Präsidenten gewählt werden sollte, seine Zeit als starker Mann ist wohl vorbei. Auch wenn Alternativen zu ihm nicht wirklich in Sicht sind.

Alle Umfragen sprechen dagegen, dass die Opposition einen Regierungswechsel herbeiführen kann. Deshalb bleibt die spannendste Frage, wie sich die AK-Partei neu aufstellt, wenn Erdogan in ein relativ gesehen politisch weniger bedeutsames Präsidentenamt verschwunden ist.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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5 Kommentare

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  • D
    D.J.

    Liebe taz, auch für einen viertelgebildeten Unymp wie Erdogan sollte doch die Unschuldsvermuung gelten. Zumal die parteipolitischen Alternativen nicht sonderlich verlockend sind: Starker Nationalismus (CHP) vs. extremer Nationalismus (MHP).

     

    Erdogan war zumindest der erste, der die Realitäten der Türkei als Vielvölkerstaat anerkannt hat, dafür angefeindet von geifernden Nationalisten.

     

    Wobei,

     

    @Irma Kreiten,

     

    in türkischen Schulen (im Gegensatz zu Russland) muttersprachlicher Unterricht z.B. in tscherkessischer Sprache m.W. nach wie vor verboten ist. Als vor einigen Jahren der letzte Sprecher einer kleinen kaukasischen Sprache in der Türkei starb, hatte man noch nicht einmal Tonaufnahmen gesichert. Hatte einfach niemanden interessiert.

    • T
      tim
      @D.J.:

      p.s.: man muss auch nicht so weit gehen, das an den tscherkessen verübte unrecht durch russland als genozid zu bezeichnen, um sich über das stillschweigen und die nicht vorhandene politische verantwortung zu empören.

    • T
      tim
      @D.J.:

      ein eher heuchlerisches zugeständnis, wenn man den völkermord an den tscherkessen nicht mal anerkennt. gut, damit tun sich unsere moralapostel im westen ja auch schwer, aber immerhin sprechen sie noch darüber. man soll ja die halme greifen, die man vorgesetzt bekommt. und was die türkei angeht: der nationalismus dort wurde über jahrzehnte von hier hofierten politikern, einem system das man offen begrüßte, gepflegt. es grenzt an ein kleines wunder, was die akp ans transformation in dieser und anderer hinsicht in der türkei bewerkstelligte.

  • Darüber, was die Teilnahme Erdogans an den Winterspielen in Sotschi für eine zahlenmäßig starke Wählerschaft mit tscherkessischen und tschetschenischen Wurzeln bedeutet, hat noch kein deutscher Journalist geschrieben. Das scheint im Gegensatz zu Gezi, Korruption und Islam als Standardthemen der westlichen Erdogan-Kritik nicht populär.

    • T
      tim
      @Irma Kreiten:

      das wäre eindeutig zu differenziert...