Kommentar Erbschaftsteuer: Grün-Rot überholt rechts
Die Reform der Erbschaftsteuer wird ausgerechnet von Grün-Rot in Baden-Württemberg blockiert. Das ist ein großer Fehler.
Die Erbschaftsteuer ist keine Bagatelle - obwohl sie zur Bagatellsteuer verkommen ist. Sie bringt jährlich nur knapp fünf Milliarden Euro ein, weil Firmenerben momentan nichts zahlen müssen, wenn sie es schlau genug anstellen. Es ist also ein kleiner Fortschritt, dass Finanzminister Schäuble versucht, wenigstens einige Lücken zu stopfen.
Die bisherigen Privilegien für Firmenerben sind ungerecht, denn das Vermögen ist in Deutschland extrem konzentriert. Das reichste Hundertstel, also das oberste eine Prozent, besitzt bereits rund 33 Prozent des Volksvermögens. Das meiste davon ist Firmenbesitz, der sich in den Händen weniger Familien ballt. Bekanntlich können Kinder ihre Eltern nicht wählen, und daher ist es keine „Leistung“, Erbe zu sein. Es wäre also keine Zumutung, sondern eigentlich selbstverständlich, dass Erben dazu beitragen, den Staat zu finanzieren.
Doch stattdessen drücken die Lobbyisten permanent auf die Tränendrüse: der arme Mittelstand! Stets wird der Eindruck erweckt, als würden alle deutschen Familienbetriebe sofort in die Pleite rutschen, wenn sie auf den Nachlass Steuern zahlen müssten. Das ist kompletter Unsinn. Selbst nach angestrengter Suche ist es den Handelskammern nie gelungen, auch nur einen einzigen Betrieb zu präsentieren, der Konkurs anmelden musste, weil die Erbschaftsteuer fällig wurde. Die Lösung ist nämlich einfach: Die Finanzämter können den Betrag stunden oder auf viele Raten verteilen, falls eine Firma in Schwierigkeiten steckt.
Eine Erbschaftsteuer, die keine Ausnahmen zulässt, hätte noch einen weiteren Charme: Sie würde endlich konkrete Daten produzieren, was die reichsten Deutschen eigentlich besitzen. Bisher gibt es nur Schätzungen. Dies ist kein Zufall, sondern politisch gewollt. Solange niemand weiß, wie reich die Reichen wirklich sind, funktioniert die Strategie „Tränendrüse“ besonders verlässlich. Und offenbar immer noch am allerbesten in Baden-Württemberg.
So blockiert jetzt ausgerechnet eine grün-rote Koalition die zaghaften Versuche des Bundesfinanzministers, die Erbschaftsteuer zu erhöhen. Die Regierung von Winfried Kretschmann überholt damit nicht nur die Union rechts. Sie vergibt die Chance, von den Reichsten im Lande dringend benötigtes Geld – übrigens auch für grüne Herzensanliegen wie Bildung und Umweltschutz – einzutreiben. Und das ist keine Bagatelle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen