Kolumne Zumutung: Bin ich hier immer noch richtig?
„Das mit dem Asylantenheim ist doch wohl ein Witz!“ – „Die sollen bleiben, wo sie herkommen!“: Wenn suburbane Bürger facebooken.
D a, wo ich wohne, ist es schön. Schön in einem Sinne, der dies auch meint. In meinem Brandenburger 2.500-Einwohner-Örtchen flankieren alte Bäume stille Straßen, in denen zwar auch ein paar Fertighaushöllen mit blau lackierten Dächern stehen. Überwiegend jedoch leben wir Vorstädter hier in älteren Häusern mit Giebeln und Doppelkastenfenstern, drum herum je ein Garten, in dem Erlen, Eichen und Stauden ihren jahreszeitlichen Reigen aufführen.
Fragt mich jemand, warum ich mir Tag für Tag den Weg in die innerstädtisch gelegene Redaktion und zurück antue, lächle ich milde. So viel Schönheit und Gelassenheit wie in meinem Örtchen lohnen die Fahrzeit allemal.
Doch nun ist leider etwas aus dem Gleichgewicht geraten. Denn so wie Berlin sein Flughafenproblem, sein Hundekackeproblem und Geldprobleme sonder Zahl hat, so haben wir hier draußen jetzt ein Flüchtlingsproblem.
Nicht dass irgendwelche Flüchtlinge selbst das Problem wären. Die sind noch gar nicht da. Sie bringen vielleicht gerade im Irak oder in Syrien ihre Kinder ins Bett, während draußen geschossen wird. Nein, in meinem Vorort mit seinen stillen Straßen und den Toyota Prius vor der Tür stellt offenbar bereits die Aussicht auf ankommende Flüchtlinge das Problem dar.
Denn in der nahen Kreisstadt, zu der unser Ortsteil gehört, wird ein Flüchtlingswohnheim gebaut. Innerstädtisch gelegen, also nicht irgendwo zwischen Recyclinghof und verfallenden LPG-Ställen, wie das andernorts gern gehandhabt wird. Nicht unsichtbar, nicht rott. Neu.
Nicht alle sind so
Allein die Aussicht darauf, dass irgendwann in zwei Jahren oder so 120 Flüchtlinge in die nahe Kleinstadt kommen, brachte einige meiner Mitbürger dazu, ihren Gefühlen in unserer lokalen Facebook-Gruppe freien Lauf zu lassen. Alles fing mit einem „Das mit dem Asylantenheim ist doch wohl ein Witz!“ an.
Es folgte „Denkt eigentlich mal jemand an unsere Kinder?“. Und es dauerte nicht lange bis zum ersten „Die sollen bleiben, wo sie herkommen!“, dem zweiten „Klar, beste Lage für die!“ und dem dritten „Immer raus mit unseren Steuergeldern!“ Letzteres übrigens von jenem Herrn, der tags zuvor noch gefragt hatte, ob jemand von einem Baugrundstück gehört habe – er verfüge über ausreichend Bares.
Wenig später fanden sich die ersten Neonazis ein, die allerlei von „Deutsche zuerst!“ schrieben. Und als ein mir bekannter Villenbesitzer von einer Bürgerwehr zu faseln begann, musste ich vor Ekel erst mal den Laptop zuklappen. Als ich mich wieder beruhigt hatte, postete ich, was ich zu sagen hatte. Und das taten Gott sei Dank noch eine ganze Menge anderer meiner Vorort-Mitbewohner. Kurz darauf ging eine „Willkommen!“-Seite ans Netz.
Gut und schön. Trotzdem, es hat sich was verändert. Bin ich hier richtig?, frage ich mich. Müssten nicht all die Schönheit und die Gelassenheit, müsste nicht die Befriedigung von mehr als einfachen Bedürfnissen bewirken, dass der Blick frei wird für die Not anderer? Offenbar nicht. Ich war naiv, ich dachte, wir wären weiter. So schön wie vorher kann es nun nicht mehr werden. Ich bin jetzt im Bilde.
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