Journalistischer Scoop: Die Papstversteherin
Ihre Lateinkenntnisse bescheren der Journalistin Giovanna Chirri eine Exklusivmeldung: Sie war die erste, die Benedikts Rücktritt vermeldete.
ROM taz | Eigentlich war es ein Tag wie jeder andere für Giovanna Chirri, bei Italiens größter Nachrichtenagentur ANSA zuständig für den Vatikan. Ein Morgentermin im Pressesaal des Vatikan, mit dem nicht eben spannenden Kardinalskonsistorium, das die Heiligsprechung von 800 Märtyrern auf der Tagesordnung hatte. Dass die Veranstaltung kein Knaller war, zeigte sich schon am bescheidenen Andrang: Bloß vier Kollegen, ein Mexikaner, ein Japaner, zwei Franzosen, hatten in den Pressesaal gefunden.
Unter jenen fünf war es aber Giovanna Chirri, die beim Blick auf ihren Bildschirm sofort begriff: Der Papst verkündete da sensationelles. „Unmissverständlich“ seien die Worte Ratzingers gewesen, erzählte sie später, zudem noch „in leicht verständlichem Latein“. Dennoch wollte die Korrespondentin zunächst einfach nicht glauben, was sie gehört hatte, „es erschien mir einfach nicht wahr“. Dann aber vertraute sie doch ihrem soliden Latein – und als Kardinal Angelo Sodano im Konsistorium ans Mikrophon trat, von einem „Blitz aus heiterem Himmel“ sprach, da wusste sie: Sie hatte den Scoop.
Um 11.46 Uhr machte sie die Tickermeldung fertig, auch wenn es noch keine offizielle Bestätigung der Pressestelle des Vatikans gab, „ich versuchte, die Nerven zu behalten, auch wenn mir die Knie selbst im Sitzen zitterten“, gestand sie später. „Der Papst redete weiter, er sprach von der Einberufung des Konklave, doch ich hörte einfach nichts mehr.“ Kaum hatte sie die Meldung abgesetzt, da brach sie in Tränen aus, „es tat mir leid, dass er zurücktrat“.
Binnen Minuten war die Nachricht weltweit auf allen News-Websites – und mit einem Schlag stand Giovanna Chirri selbst im Rampenlicht. Seit 1994 ist die 54-Jährige für die ANSA als Vatikankorrespondentin im Einsatz. Große, randlose, nicht gerade modische Brille, wenig Schminke, dazu ein dunkelgrauer Hosenanzug – der Look passt zu einem Auftrag hinter den Kulissen, fernab von großen Bühnen und Scheinwerfern. Eben die sind jetzt auf sie gerichtet, dank solider Sprachstudien. „Vatikanjournalist zu sein, ohne ein Fünkchen Latein zu verstehen – das geht einfach nicht“, bilanziert sie selbst trocken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken