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Journalisten und TrolleEinmal auf den Deckel und zurück

Einige Journalisten haben die Schnauze voll von Spam, Anfeindungen und Verschwörungstheorien. Sie wehren sich – und schießen mit Ironie zurück.

Kommentare über Kommentare. Bild: Photocase/Sör Alex

Warum leugnen, wenn doch ohnehin alles glasklar ist? „Richtig. Gestern war es wieder so weit“, schreibt dann auch die Welt auf Facebook und räumt damit endlich ein, was gerade ein Leser in den Kommentaren enttarnt hat: Die deutschen Leitmedien sind „auf Befehl“ zum Russland-Bashing übergegangen. Die Journalisten liefern dazu die Details.

„Gegen 20.17 Uhr klingelt hier im Newsroom das rote Telefon“, heißt es da. Diesmal sei aber nicht „wie sonst“ die Kanzlerin dran gewesen, sondern der US-Präsident. Der sei nun mal von Berichten über folternde Geheimdienstler genervt und habe daher „eine Nebelkerze“ bestellt. Die Geschichte von der russischen Provokation in der Ostsee wird geboren – besinnungslos: „Im 19. Stock goss man sich den nächsten Whiskey ein.“

Journalisten haben sich jahrelang zurückgehalten, wenn notorische Nervensägen – sogenannte Trolle – die Kommentarspalten auf den Seiten und Profilen der Redaktionen mit schlichtweg irrem Zeug vollgeschrieben haben. Inzwischen platzt aber immer mehr Redakteuren der Kragen. Die Journalisten trollen nun zurück, mit möglichst viel Ironie.

Bei der Welt hat Martin Hoffmann diese Strategie eingeführt, der vor kurzem als Redakteur für soziale Netzwerke vom MDR zum Axel Springer Verlag gewechselt ist. Hoffmann sagt das ganz offen: Ignorieren habe nichts gebracht. Trolle würden vielmehr „ganz schnell das Diskussionsklima vergiften“. Da helfe nur, Einträge wortlos zu löschen oder Intensivtätern „das Gefühl zu vermitteln, dass sie nicht gewollt sind“. Hoffmann hat sich das sogar extra in einem Strategiepapier von seiner Chefredaktion absegnen lassen.

„Uns springen ganz schnell auch andere Nutzer zur Seite“, sagt Hoffmann. Der gemeine Troll werde so „von einer überwältigenden Mehrheit von Menschen abgeblockt“ und gebe „früher oder später“ klein bei.

Anti-Troll-Agitation

Letztlich gehe es vor allem darum sicherzustellen, dass die Nutzer, die ernsthaft diskutieren wollten, nicht in einer „Kakofonie von Beleidigungen“ untergingen. Spaß mache die Abwehr von Trollen nebenbei aber auch.

Hoffmann betreibt die Anti-Troll-Agitation inzwischen besonders intensiv, aber auch andere Redaktionen schwenken auf diesen neuen Kurs um. Vor ein paar Tagen erst antwortete die „Tagesschau“ auf die Frage, wie es denn sein könne, dass „Spiegel Online, Stern und nun ihr ein und dasselbe schreibt?!“ launig: „Systempresse. Wissen Sie doch.“

Der Spiegel hat wiederum früh damit angefangen, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen. Im Sommer hatte die Redaktion versucht, wirre Unterstellungen mit Links auf entsprechende Quellen als „totalen Blödsinn“ abzutun. Als das aber – wie so oft – nichts half, outete sich der Redakteur als „Zionisten-Bilderberger-CIA-Illuminaten-Presseoffizier“ und bat: „Posten Sie hier keine Links, die unsere weltumspannende Verschwörung enttarnen könnten. Wir haben uns so viel Mühe gegeben.“

Keinen bloßstellen

Für Torsten Beeck, der gerade als Social-Media-Stratege von Bild rüber zum Spiegel gemacht hat, sind diese Aktionen Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins in den Redaktionen. Die seien es inzwischen einfach leid, dass ein paar Kommentatoren gar nicht offen seien für Argumente, sondern bloß versuchten, „ihr Weltbild zu schützen“.

Die Kunst sei es nun, einen Weg zu gehen, der „niemanden bloßstellt“, mahnt Beeck und spricht davon, Trolle „freundlich auf die Schippe zu nehmen“. Das klappt tatsächlich oft ganz gut: Die Anti-Troll-Aktionen werden im Netz beklatscht und mit Hunderten „Gefällt mir“-Klicks belohnt. Sogar die Trolle steigen in den Spaß ein – zumindest gelegentlich.

Bei Facebook findet unterdessen die Gruppe „Fans des gleichgeschaltet-ironischen Journalistenzirkels“ langsam, aber sicher immer mehr Anhänger – ein paar hundert sind es bereits. Sie feiern die ironischen Online-Kommentare der Welt, die damit eine bislang gänzlich unbekannte Seite offenbaren: Humor. Immerhin das haben die Trolle geschafft.

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12 Kommentare

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  • Die "Welt" erklärt uns das -kaum zwanzig Jahre alte- Internet. Endlich! Beinahe hätten wir dumm und fern der Heimat (verloren im Neuland) sterben müssen.

  • Manche Kommentarkilometer in der taz übersteigen ein Vielfaches des Artikels.

    Kommentare sollte mit technischen Mitteln weniger Bedeutung beigemessen werden (getrennte Seite, Abschottung gegenüber Suchmaschienen) Dann würde diie journalistische Arbeit eine stärkere Bedeutung haben.

  • @Anja Böttcher:

    Vielen Dank für ihren treffenden Kommentar!

     

    Und nun zum Text:

    Bin ich der Einzige, der sofort an "seit 5 Uhr 45 wird zurück geschossen!" gedacht hat?

     

    Dem Autor des Textes ist offensichtlich nicht aufgefallen, was er zwischen den Zeilen gesagt hat:

     

    "Für Torsten Beeck, der gerade als Social-Media-Stratege von Bild rüber zum Spiegel gemacht hat..."

     

    und natürlich

     

    "Bei der Welt hat Martin Hoffmann diese Strategie eingeführt, der vor kurzem als Redakteur für soziale Netzwerke vom MDR zum Axel Springer Verlag gewechselt ist".

     

    Ja genau. Medienprofis aus dem Springer Konzern sind die Rettung für die so zu unrecht gescholtene, völlig unabhängige Presse. Sorry, aber noch viel blauäugiger geht es einfach nicht. Ich warte mit grosser Vorfreude auf die ersten Klick-Quartalszahlen des noch jungen Jahres. Daran werden sich dann die Gatekeeper messen lassen müssen.

     

    Eine Frage zum Abschluss: denken Sie dass SPON seine Foren zum Jahreswechsel wieder geöffnet hat, weil a) erst jetzt Verstärkung vom Halbbruder (Springer) eingetroffen ist, oder weil b) die Leser in Scharen weggelaufen sind, nachdem das Kommentieren strittiger Artikel durch "die Redaktion" verhindert wurde?

     

    Wer danach sucht, der findet seit 2013/14 mehrere deutschsprachige Plattformen im Netz, auf denen die deutsche Presselandschaft kritisch, aber fair & fundiert beleuchtet wird. Aus Rücksicht auf @Age Krüger und ihre Sozialisation verzichte ich auf das Posten dieser Links.

     

    Beste Grüße und auf Nimmerwiedersehen!

    • @Benjamin Walter:

      Es gibt ja immer noch überregionale Zeitungen, die etwas anders berichten.

      Einfach dahin wechseln.

  • 1G
    1393 (Profil gelöscht)

    Ja ja, die Trolle. Jene, die nichts verstehen und meinen mit Starrsinn ihre Meinung vertreten zu müssen. Jene, die am liebsten jede weitere Sichtweise verbieten lassen würden.

     

    Zählen wir nun den Deutschen Presserat dazu, der ARD, Bild und Spiegel der "tendenziösen Berichterstattung" beschuldigt?

    http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/09/12/mh17-presserat-kritisiert-bild-und-spiegel-wegen-berichterstattung/

     

    Oder sind das die Kommentatoren, die mit aufdringlichen Quellen wie dem Rechtsgutachten zum israelischen Landraub des IGH die Artikelschreiber belästigen und Fakten beilegen, die die Missachtung in den Artikeln der für Deutschland geltenden Gesetze nachweisen?

     

    Wenn ich einen Artikel von Broder in der Welt lese, zumindest die ersten Zeilen, verstehe ich warum die Bild für Pseudogebildete so viele Kommentare löscht. Eine Praxis, die hier auch nicht fremd ist, auch wenn Quellen zur Verifizierung der Aussagen beigelegt werden.

     

    Systempresse? kann jeder selber untersuchen, welche Informationen dem Leser vorenthalten werden. Dazu muss er bei Google-News Nachrichten mit englischer Sprache vergleichen. Leider gibt es hier in Deutschland noch Themen, bei denen die Trolle eher die Artikel schreiben und Aufklärung mit Zensur behindern. Auch wenn es die Idioten gibt, die Putins verbrecherische Demagogie für was Gutes halten, nur weil sie transatlatische Propaganda erkennen.

  • Na mal sehen, wie lange es dauert, bis der Druck unter dem Aluhut groß genug ist und hier das Schimpfen beginnt.

    Ansonsten ein gelungener Artikel.

     

    Chemtrailpilot a.D.

  • Ganz so frei & unabhängig ist die Presse dann doch nicht:

    https://www.youtube.com/watch?v=VvTWo5ZGcNA

  • Ich habe den Begriff des "Trolls" wahrscheinlich aufgrund meines Alters und meiner Sozialisation, deren größter Teil lange, lange vor der Einführung des Internets lag, nie so ganz verstanden.

     

    Es gibt auch hier in den taz-Kommentaren immer wieder einige Wortmeldungen, die mich mit ihrem plumpen Antiamerikanismus und Antizionismus nerven, auch beim Ukraine-Konflikt wird es langweilig immer wieder irgendwelche Links aus anderen Medien zu lesen. Ich weiß aber nicht, ob ich solchen Menschen direkt unterstellen muss, dass das "Trolls" (? Trolle? Ich kann nicht mal den Plural bilden.) sind.

     

    Ich finde es btw immer sehr angenehm, wenn hier z.B. Herr Johnson als einer der wenigen Redakteuere Zeit findet, die Kommentare zu seinen Artikeln, mit denen ich auch oftmals überhaupt nicht übereinstimme, auch zu beantworten.

     

    Ich finde sowas begrüßemswert, denn wer provokante Thesen aufstellt, soll sich dann auch ruhig mit den Reaktionen auseinandersetzen.

  • Demütig und durchaus vom Autor ermuntert erlaube ich mir, auf einen Klassiker des Genres hinzuweisen: http://www.tagesspiegel.de/berlin/rothschilds-us-regierung-herausgeber-wer-beim-tagesspiegel-die-befehle-erteilt/10339872.html

  • Ich habe zwei philologische Fächer studiert, meine Examensarbeit über ein mediensoziologisches Thema verfasst & unterrichte seit zwanzig Jahren schwerpunktmäßig in der gymnasialen Oberstufe, auch u.a. zu medienanalytischen Themen.

     

    Meine Beobachtung entspricht dabei einer auch extern (& empirisch zu belegenden) geäußerten Beobachtung: Die Leitmedien dieses Landes befinden sich in einer tiefen Krise. Dafür gibt es zahlreiche strukturelle Gründe, die von der Konzentration im Verlagswesen, der Konkurrenz durchs Internet, dem Abbau von Korrespondentenstellen, der stärkeren Bedienung aus externen Informationspools (zunehmend ohne Überprüfung der erworbenen Items), aber auch Gründe, die die Redaktionen selbst zu verantworten haben, nämlich eine zunehmende Orientierung an der hegemonialen Perspektive durch Nähe zur Politik & kritiklose Teilhabe an hegemonial finanzierten Netzwerken und "Think tanks".

     

    Während also die Anteile von Recherche und Analyse im Zuge eines wirtschaftlichen Rationalisierungsprozesses in den Medien abnehmen, versuchen die entsprechenden Medien die abnehmende Relevanz durch eine immer schriller werdende Proklamation von Deutungshoheit zu kompensieren, die sich jedoch immer weniger von den Interessen hegemonialer Kräfte in Politik und Ökonomie unterscheiden.Da aber andererseits die Zivilgesellschaft immer weniger hierarchisch ist, weckt der gesteigerte Habitus des Paternalismus zur Wahrung einer Meinungshoheit immer mehr den Überdruss der Leser.

    • @Anja Böttcher:

      sauber dargestellt - Danke !

      Das Gefühl, einer weitgehend gleichgeschalteten Mainstreampresse ausgeliefert zu sein, wird nämlich durch Häme (hier: "Humor") nicht wirklich aufgelöst. Dazu gehört dann auch etwas Fähigkeit zur Selbstkritik seitens der Jounaille..

      ..und vor allem: BESSERUNG !! :)

  • 4G
    442 (Profil gelöscht)

    Guter Artikel und so zutreffend. Wenn man Trolle mit deren Mitteln schlägt, ziehen Sie schnell ab. Auch wenn man Ihnen den Spiegel vorhält - wie absurd sie sich im Netz verhalten.