Jahresbilanz der MDR-Intendantin: Keine für Klüngel
Seit einem Jahr ist Karola Wille die Frau an der Spitze des von Skandalen erschütterten MDR. Dicke Bretter zu bohren macht ihr sichtlich Spaß.
LEIPZIG taz | Karola Wille, die Frau an der Spitze des MDR, empfängt in einem Kämmerchen, in das gerade mal ein Schreibtisch, ein paar Regale und MDR-Sprecher Walter Kehr hineinpassen. Macht nichts, am Katzentisch ist's eh gemütlicher. Und dass der gesamte Mitteldeutsche Rundfunk eine Baustelle ist, weiß seine Chefin wohl am besten. Warum also nicht auch die Intendanz, wo die Handwerker es gut meinen und gleich auch noch das Parkett runderneuern, sodass die Intendantin seit ein paar Wochen ausquartiert ist. Wille wollte eigentlich bloß einen runden Tisch für ihr Büro.
Ein gutes Jahr ist Karola Wille jetzt im Amt – nach einer politischen Schlammschlacht, die selbst im hierin geübten öffentlich-rechtlichen Rundfunk so noch nicht vorkam. Wille, als juristische Direktorin nominell bereits zuvor Vertreterin des Ewigkeitsintendanten Udo Reiter, war zwar schon vor ihrer überraschenden Wahl am 23. Oktober 2011 die Inhouse-Favoritin.
Doch die Meinung des MDR interessierte in den drei mitteldeutschen Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen noch nie besonders viel. Und auch dieses Mal sagte die sächsische Staatskanzlei, wo es langgehen sollte: Bernd Hilder, Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung, ward zum neuen MDR-Chef auserkoren. Doch das ging gründlich schief, und der MDR erlebte, in den Worten des damaligen Rundfunkratsvorsitzenden Johannes Jenichen, nachträglich seine ganz eigene friedliche Revolution.
Skandale statt Buntes
Auf die 53-jährige Juristin wartete ein bisschen mehr als ein Kessel Buntes. Skandale wie die mindestens per Scheinrechnung abgezwackten 8,2 Millionen Euro Gebührengelder beim Kinderkanal, für den verwaltungstechnisch der MDR zuständig war – und nichts mitbekommen haben wollte. Die merkwürdigen Geldgeschäfte des ehemaligen MDR-Unterhaltungschefs Udo Foht, der sich bei Produktionsfirmen und Musikmanagern gern vier- bis fünfstellige Summen lieh, gern auch auf MDR-Briefpapier. Die Rückzahlung kam aber nie oder viel zu spät – und dann auch nicht vom MDR, sondern oft von anderen Produktionsfirmen und Musikmanagern.
Daneben gab es obskure Beraterverträge, etwa mit dem Berliner Unternehmen Fit for Fun, das zwar gar nichts mit Fernsehen am Hut hat, aber den MDR in Formatfragen berät und dafür 160.000 Euro kassierte. Formal zuständig war MDR-Gründungintendant Reiter, der Ende Oktober 2011 wegen derlei Ungereimtheiten das Feld räumte – aus gesundheitlichen Gründen, wie es hieß.
„Es war in der Tat eine schwierige Ausgangssituation“, sagt Wille mit kaum gekünsteltem Unterstatement, schließlich habe immer die Frage im Raum gestanden: „Was kommt da noch? Die Aufklärung musste der absolute Schwerpunkt meiner Arbeit in den ersten Monaten sein.“ Und: „Daneben galt es, Stück für Stück mit meinen Kollegen in der Geschäftsleitung, einen strategischen Prozess aufzusetzen: Wo stehen wir, wo wollen wir hin? Was ist unser gemeinsames ’Dach‘ für den MDR?“
Dass Wille zumindest formal zur alten MDR-Führungstruppe gehörte, perlte an ihr ab: Sie war und ist die Hoffnungsträgerin. Im sächsischen Medienblog Flurfunk Dresden bilanziert ausgerechnet der stets höchst kritische MDR-Rundfunkrat Heiko Hilker, Wille habe „mehr gehalten als versprochen“. Das dürfte noch nirgendwo über einen öffentlich-rechtlichen Intendanten gestanden haben. Und der parteilose ehemalige Landtagsabgeordnete der Linken setzt noch locker einen drauf: „Sie wollte und will viel verändern“, sagt er. „Manchmal ist sie da für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für den Sender wie auch für die ARD zu schnell.“
Eiserner Besen
Die so Gelobte guckt derweil ganz bescheiden über ihre Kaffeetasse: „Das gehört zu den bemerkenswerten Sätzen, die ich in der letzten Zeit über mich lesen konnte. Und ich habe mich schon gefragt, wie das gemeint ist, und mich dann für die positive Lesart entschieden“, sagt Wille und lacht ihr zufriedenes Kurzlachen.
Manche im MDR sehen Wille eher als neuen, aber ziemlich eisernen Besen, der unerbittlich durch die Dreiländeranstalt fegt. Denn sie räumt auf mit dem, was sich unter ihrem Vorgänger an Seilschaften und Klüngelrunden gebildet hatte – bis zuletzt entschuldigt mit den „Pionierzeiten“ bei der MDR-Gründung 1992 im damals noch ziemlich wilden Osten. Im Programm wurden heilige Kühe und Reste von Häkeldeckchen-Gemütlichkeit entsorgt – „so oft habe ich ’Schunkelsender‘ dieses Jahr noch nicht gehört“, sagt Wille.
Und noch mehr alte Bastionen werden geschliffen. „Ich werde mal vorsichtig formulieren: Wenn ein Haus wie der MDR 20 Jahre funktioniert hat, gibt es auch erlerntes Verhalten. Und wenn man neue Wege gehen will, gehören Konflikte dazu.“ An diesem Punkt wird Wille etwas unkonkret. „Wirklich überrascht“ hat sie, „wie viel Zeit man für so einen Prozess braucht. Das ist nichts, was man anordnen kann.“ Da brauche es viel Kommunikation. Wobei schon klar ist, wer den Hut aufhat: sie.
Zu tun gibt es mehr als genug, neulich war sie beim Intendanten des tschechischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks, man will verstärkt zusammenarbeiten, auch mit Polen. Der MDR soll auch hier innerhalb der ARD zur „Stimme des Ostens“ werden. Aber nicht wie früher, mit Hang zur Ostalgie, sondern moderner, frischer, mit schärferem Profil. „Wir wollen weder verklären noch mit einfachen Formeln arbeiten“, sagt die 1959 in Karl-Marx-Stadt geborene Wille, die sich beim Tauziehen um die Reiter-Nachfolge reichlich durchsichtig ihre Ostbiografie um die Ohren hauen lassen musste.
Übergangsjahr 2013
Der Vorwurf: Sie habe „eine bewegte SED-Vergangenheit“ (Springers B.Z.) und also „dem Sozialismus gehuldigt“ (Der Spiegel). Wille sieht das deutlich differenzierter: „Es gab in der DDR keinen Staat, der an Recht gebunden war. Recht ist nicht als Bindung von Macht verstanden worden, sondern als Instrument der herrschenden Klasse“, sagt die ehemalige DDR-Juristin, die nach der Wende noch ein zweites Mal studierte und heute Honorarprofessorin am Institut für Medienrecht der Universität Leipzig ist. „Das ist dann der Unrechtsstaat, wenn Sie ihn so bezeichnen wollen. Aber es gehört ja noch viel mehr dazu, das hat der 'Turm' sehr gut rausgearbeitet – es geht um 17 Millionen ganz verschiedene Biografien.“
Der „Turm“, die Verfilmung von Uwe Tellkamps Dresden-Roman, war das MDR-Highlight 2012. Und 2013? Das wird laut der eben vom Rundfunkrat beschlossenen „Leitlinien für die Programmgestaltung“ ein „Übergangsjahr“ in der von Wille ausgegebenen „Vision 2017“. Dann, 2017, endet auch Willes Amtszeit.
„Übergangsjahr heißt, dass wir jetzt den Mut haben, strategische Diskussion über die gesamte Angebotsfamilie des MDR zu führen“, sagt Wille. „Wen erreichen wir heute, mit welchen Produkten, auf welchen Wegen? Das soll dann auch die Basis für die künftige Ressourcenverteilung sein.“ Und weil vor allem der letzte Satz bedrohlich klingt, schiebt sie nach, dass man Bewährtes aber nicht gleich über den Haufen werfen wolle: „Ich will eine offene Diskussion mit den Programmkollegen führen und keine einsamen Entscheidungen oben im stillen Kämmerlein.“
Die dicken Bretter, die es hierbei zu bohren gilt, machen ihr sichtlich Spaß. Dass sie als Juristin die Federführung im aktuellen Gezerre mit den Kabelnetzbetreibern über die Einspeisegebühren hat, ist dabei eher Kleinkram. Sie hat aber auch mit zu denen gehört, die den Jugendkanal doch noch auf den Weg gebracht haben: gegen das klare Votum des mächtigen WDR, der gerade den ARD-Vorsitz hat.
Für die ARD? Mehr Mut
Überhaupt wünscht sie der ARD mehr Mut, „in der ARD liegt ganz viel publizistische Kraft. Wir müssen sie nur noch weiter entfalten“. Doch noch ist sie im eigenen Laden viel zu gut beschäftigt. Eben hat es beim Foht-Skandal eine neue Wendung gegeben, nach Presseberichten soll der ehemalige MDR-Moderator Carsten Weidling Unterhaltungschef Foht erpresst haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt immer noch, „ich kann daher ehrlicherweise heute nicht sagen, ob wir alles schon durchblicken“, sagt Wille. Der MDR hat noch mal Akteneinsicht beantragt, „aber die Beschuldigten sind vor uns dran“.
„Wir sind immer noch dabei, die Schatten der Vergangenheit Stück für Stück zu überwinden“, sagt Wille und guckt nachdenklich über das Besprechungstischlein, das, wenn die Handwerker denn endlich mal fertig sind, endlich ein großer runder Tisch werden möchte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient