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Historikerin über Genderwahn der AfD„Die AfD ist sexbesessen“

Die Historikerin Daniela Rüther spricht über den Kampf der AfD gegen ihr Feindbild Gender. Es geht um Babywindeln und NS-Bevölkerungspolitik.

Im Namen des traditionellen Familienbilds: Wahlwerbung der AfD in Berlin Foto: Gerhard Westrich/laif
Interview von Nina Apin

taz: Frau Rüther, Sie nennen die AfD sexbesessen. Warum?

Daniela Rüther: Wenn man betrachtet, welche Themen die AfD im Bundestag wie auch in den Landesparlamenten regelmäßig auf die Agenda bringt, dann bekommt man unweigerlich den Eindruck, dass sie sexbesessen ist. Ganz häufig geht es um Geburtenzahlen, um Sexualaufklärung, Homosexualität – und um alles rund um Gender: Genderstudies, geschlechtersensible Sprache und so fort. Die Rechte ist im „Genderwahn“.

taz: Sie haben analysiert, wie die AfD im Bundestag auftritt und festgestellt, dass die Partei dilettantisch agiert: fehlerhafte Anträge, inhaltsleere Anfragen. Woran liegt das – schlechtes Personal?

Rüther: Der Grund ist eher, dass die AfD gar nicht vorhat, wie eine Oppositionspartei zu agieren, also zur Kontrolle der Regierung beizutragen oder an der demokratischen Willensbildung mitzuwirken. Sie nutzt das Parlament als Propagandabühne und versucht, Institutionen der freien Gesellschaft und der liberalen Demokratie zu destabilisieren.

Bild: privat
Im Interview: Daniela Rüther

Promovierte Historikerin, Politik­wissenschaftlerin und Journalistin. Ihr Buch „Die Sex-Besessenheit der AfD. Rechte im 'Genderwahn’“ (144 Seiten, 18 Euro) ist im Januar bei J. H. W. Dietz erschienen.

taz: Woran machen Sie das fest?

Rüther: Man sieht das daran, dass die AfD die gleichen Anträge immer wieder einbringt, egal wie fehlerhaft oder politisch aussichtslos diese waren. Außerdem bombardiert sie die politische Administration mit Anfragen, die offensichtlich nicht zum Gewinn von Informationen dienen, sondern nur dazu, die Verwaltung zu blockieren.

taz: Geht es überhaupt um Fragen des Geschlechtlichen – oder ist das Thema nur ein Platzhalter, um das politische System mit Bullshit lahmzulegen?

Rüther: Die Bullshitstrategie hat schon auch einen inhaltlichen Kern: Die AfD führt einen Kampf gegen ihr Feindbild Gender. Das beinhaltet Genderstudies, die untersuchen, wie und warum sich geschlechterbedingte Ungleichheitsstrukturen durchsetzen und durchgesetzt haben, und geschlechtergerechte Sprache. Front wird auch gemacht gegen Sexualaufklärung von Kindern, die als „Frühsexualisierung“ diffamiert wird. Und gegen die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Lebensformen, die Ehe für alle oder Transsexualität.

taz: Warum dieses Feindbild – ist nicht die Migration Kern rechter Ideologien?

Rüther: Migrationsfeindlichkeit und Sexbesessenheit gehen Hand in Hand: Die AfD verfolgt eine klassisch pronatalistische Politik, sie will, dass die Deutschen mehr Kinder bekommen. Das ist ein typisches Muster völkischer Bewegungen. Ob in der historischen NSDAP oder heute bei Orbán, Putin oder Meloni: Themen von Geschlechtlichkeit und Sexualität stehen im Mittelpunkt der Politik. Mutterschaft, hierarchische Zweigeschlechtlichkeit und patriarchale Familienstrukturen bilden den ideologischen Kern, immer verbunden auch mit rassistischen Vorstellungen von der Reinheit des Volkes, die den Ausschluss von Menschen legitimiert.

taz: Nach außen gibt sich die AfD gern modern, auch mit ihrer lesbischen Vorsitzenden Alice Weidel. Sie ziehen in Ihrem Buch direkte Verbindungslinien zur Familienpolitik der NSDAP. Wo sehen Sie diese?

Rüther: Die Nationalsozialisten haben selbst kaum Neues entwickelt. Sie haben sich bei den völkischen Bewegungen aus dem Kaiserreich bedient und besonders bei der sogenannten konservativen Revolution der Weimarer Republik, die mit Recht als eine Totengräberin der ersten deutschen Demokratie gilt. Das Thema Frühsexualisierung taucht schon 1927 bei Edgar Julius Jung auf: In „Die Herrschaft der Minderwertigen“ echauffiert sich der radikalkonservative Publizist über die Sexualaufklärung in den Schulen. Im aktuellen Leitantrag der AfD für das Programm zur Bundestagswahl ist übrigens eine Maßnahme enthalten, die die AfD eins zu eins von den Nationalsozialisten kopiert hat: ein Kredit an junge Eheleute, der dann „abgekindert“ werden kann. Im Sommer 1933 führten die Nationalsozialisten das sogenannte Ehestanddarlehen ein: Wenn Frauen ihren Job aufgaben und heirateten, erhielt die Familie ein Darlehen, das sich mit jedem Kind um 25 Prozent reduzierte. Ebenso im Leitantrag findet sich die gebetsmühlenartig von der AfD geforderte Absenkung der Mehrwertsteuer für Babyartikel. Die würde, wie ein Linken-Abgeordneter ausgerechnet hat, im Jahr 25 Euro Ersparnis pro Kind bringen – nicht gerade ein Anreiz zum Kinderkriegen. Dennoch tragen beide Vorhaben der AfD die Behauptung in sich, dass Deutschlands Geburtenrate besorgniserregend fallen würde – was in der statistischen Langzeitbetrachtung nicht so ist. Der Eindruck bleibt aber hängen – und darum geht es.

taz: Nach dem Motto „Einfach irgendwas behaupten“ postete etwa Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl 2024, auf Tiktok die Aussage „Echte Männer sind rechts“ – und erreichte damit nach eigenen Angaben zwei Millionen Menschen. Hat so etwas auch eine politische Wirkung?

Rüther: Ich fürchte ja. Ebenso wie bei nicht mehr jungen Menschen gilt für die Jungen, dass die Wiederholung wirkt. Mit der Strategie der steten Wiederholung war schon die protofaschistische Bewegung der Antifeministen im Kaiserreich erfolgreich. Die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm brachte das schön auf den Punkt: „Steter Tropfen höhlt den Stein, wie viel mehr das weiche Menschenhirn.“ Das Problem ist, dass sich durch permanente Wiederholungen auch Unwahres verfestigt.

taz: Wo trägt die Wiederholungsstrategie Ihrer Beobachtung nach bereits Früchte?

Rüther: Das beste Beispiel ist der Begriff Gendersprache. Das ist eigenlich ein Kampfbegriff aus dem rechten Spektrum, fachlich korrekt würde man von gendersensibler Sprache sprechen. Doch inzwischen ist „Gendersprache“ so in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen, dass ihn auch die Medien als Fachterminus behandeln. Selbst die AfD weiß offensichtlich nicht mehr, dass das kein Fachterminus ist und setzt Gendersprache in parlamentarischen Anträgen in ironische Anführungsstriche oder versieht ihn mit dem Zusatz „sogenannte“ – ein Mittel, das schon die Nationalsozialisten verwendeten, um den Gegner zu delegitimieren.

taz: Auch andere Wörter, die ursprünglich nur am rechten Rand gebraucht wurden, wie Genderwahn, Genderideologie oder Gendergaga werden inzwischen, wenn auch ironisch, im breiteren Sprachgebrauch verwendet. Zeigt das bereits einen Kulturwandel?

Rüther: Es hat längst eine Diskursverschiebung nach rechts stattgefunden. In der letzten repräsentativen „Mitte-Studie“ haben fast 60 Prozent der Befragten nahezu oder voll und ganz der Aussage zugestimmt, dass die Medien in Deutschland nicht unabhängig sind.

taz: Sie geben in Ihrem Buch der Medienberichterstattung über die AfD eine Mitschuld an der Diskursverschiebung: Es werde viel über Forderungen und Äußerungen der AfD geschrieben, aber zu wenig über die erfolgreiche Gegenwehr, die Par­la­men­ta­rie­r:in­nen im Bundestag und in Landesparlamenten gegen Vorstöße der AfD leisteten. Ist die AfD also politisch weniger erfolgreich, als medial dargestellt wird?

Rüther: Es wäre schön, wenn mehr durchdringen würde, wie in der parlamentarischen Arbeit wehrhafte Demokratie gelebt wird. Ich verstehe, dass Medien unter ökonomischem Druck stehen und über Spektakuläres berichten müssen. Aber ich fände es auch lohnenswert, genauer zu schauen, wie in der parlamentarischen Arbeit mit AfD-Positionen umgegangen wird: Wenn da etwa eine geschlossene demokratische Phalanx das Ansinnen abschmettert, die Wissenschaftsfreiheit zu unterminieren.

taz: Sie beschreiben Sternstunden wie den vom SPD-Abgeordneten Helge Lindh im Bundestag vorgetragenen, gegen die AfD umgedichteten Mephisto-Monolog. Dieser dürfte eher unbekannt sein. Ein Schmähartikel gegen Gender-Mainstreaming des ehemaligen FAZ-Politikchefs Volker Zastrow von 2006 kursiert dagegen noch heute …

Rüther: Zastrow hat darin Gender-Mainstreaming als „politische Geschlechtsumwandlung“ bezeichnet. Dieser Text erschien, als es die AfD noch gar nicht gab. Der Autor, der eher einem maskulinistischen Netzwerk zuzurechnen ist, hat den Text später noch mal in einem Verlag veröffentlicht, der auch sehr rechte Autoren publiziert. Interessanterweise berief sich auch die NPD, die zu Beginn der Zweitausender Jahre in den sächsischen und mecklenburg-vorpommerschen Landtag eingezogen war, auf diesen Text.

taz: Sie schreiben, dass die Feindschaft gegen Gender eine integrative Funktion für Rechte hat. Wen eint dieses gemeinsame Feindbild?

Rüther: Ein sehr breit aufgestelltes Lager: vom religiösen Spektrum aus Vertretern unterschiedlicher christlicher Kirchen über Vertreter aus dem orthodoxen Judentum und Muslime bis hin zu rechtsradikalen Parteien und Fußballhooligans. Wesentlich ist, dass es eine internationale Vernetzung gibt und internationale Finanzströme. Ein Beispiel ist die „Demo für alle“, die sich vor einiger Zeit in Deutschland nach dem Vorbild der französischen Bewegung Manif pour tous bildete. Das investigative Netzwerk Correctiv hat aufgedeckt, dass die Demos, die politisch von der AfD-Europaabgeordneten Beatrix von Storch und ihrem Mann organisiert wurden, von einem russischen Oligarchen finanziert wurden.

taz: Sie äußern im Buch die Vermutung, dass die Brandmauer gegen rechts als Erstes beim Gendern kollabieren könnte.

Rüther: Sie ist schon eingestürzt: Die CDU/CSU und die FDP reichen in Landtagen Anträge gegen geschlechtergerechte Sprache ein. Die CDU/CSU hat die Forderung nach dem Verbot der „grammatikalisch falschen Gendersprache“ in ihrem Bundestagswahlprogramm. Ich habe das Interview mit Alice Weidel und Elon Musk aufmerksam verfolgt und mir auch Weidels Rede auf dem AfD-Parteitag sowie den Entwurf für das Wahlprogramm angesehen. Nirgends kommt das Thema Gendersprache vor! Ich gewinne fast den Eindruck, als würde sich die AfD zurücklehnen: Andere haben das Thema übernommen – Ziel erreicht. Als Frau Weidel ins Mikrofon schrie, dass die AfD in den ersten 100 Tagen an der Macht die Genderstudies-Professoren rausschmeißen würde, gab es frenetischen Jubel. Die AfD scheint ein neues primäres Ziel zu haben.

taz: Was ist Ihre Prognose für die Zeit nach der Bundestagswahl: Werden wir nächstes Jahr noch weiter gendern?

Rüther: Ich hoffe ja. Ich hoffe, dass wenn der Versuch kommt, überall ein Sprachverbot einzuführen, die Leute auf die Straße gehen und für ihre Freiheitsrechte eintreten werden, für die Freiheit der Wissenschaft, der Bildung und der Medien.

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