Hannoveraner Tatort: Hurra, es funktioniert!
Der NDR macht mal wieder aus dem „Tatort“ ein Event. Die Doppelfolge mit Kommissarin Lindholm ist tatsächlich über weite Strecken spannend.
Ein „Tatort“ darf ja mittlerweile nicht einfach nur ein „Tatort“ sein, in dem etwa eine Leiche angespült wird und folglich der oder die ErmittlerIn einen komplizierten Fall lösen muss. Nein, so ein Krimi am Sonntagabend, der muss mehr liefern. Schließlich schaut im Durchschnitt jeder Zehnte in Deutschland zu. Es muss also ein Event sein – da scheinen sich die Verantwortlichen beim Ersten und bei den Landesrundfunkanstalten einig.
Also wird sonntags ab 20.15 Uhr entweder das große Gesellschaftsdrama, gern eingebettet in eine Themenwoche, aufgeführt, bei dem der Zuschauer dann aber auch so richtig mitfühlen muss mit den Tätern, die es schließlich auch nicht leicht haben. Oder – ganz schlimm – zwei Ermittlerduos aus verschiedenen Städten werden zusammengeführt, aus zumeist hanebüchenen Gründen.
Wie an Ostern gesehen, als sich Leipziger und Kölner Kommissare in der ersten „Tatort“-Doppelfolge trafen. Oder der Fall wird erst im Internet aufgelöst, wie dereinst bei der Entführung von Lena Odenthal in Ludwigshafen (nur schlecht, wenn der gezeigte Krimi so langweilig ist, dass einen die Ermittlung des Mörders überhaupt nicht mehr interessiert). Oder es wird Til Schweiger engagiert.
Fast so beliebt wie das Münsteraner Duo
Nun wagt sich eben dieser Wir-haben-Til-Schweiger-Sender, der Norddeutsche Rundfunk (NDR), mal wieder an einen Zweifolgen-„Tatort“, diesmal mit der Hannoveraner LKA-Ermittlerin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler). Furtwängler als Kommissarin Lindholm ist nach dem Münsteraner Duo Thiel/Boerne (Axel Prahl und Jan-Josef Liefers) die beliebteste „Tatort“-Ermittlerin im Lande. Durchschnittlich 9,5 Millionen Menschen beobachteten sie in den vergangenen zwei Jahren bei ihrer Polizeiarbeit.
Deswegen vertrauen NDR und Das Erste wohl darauf, dass die Zuschauer auch an zwei Adventssonntagen in Folge von ihr so fasziniert sind, dass sie dran bleiben. 180 Minuten Tatort in „Wegwerfmädchen“ (diesen Sonntag) und „Das goldene Band“ (eine Woche später).
sonntaz
Diesen und viele weitere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 8./9. Dezember. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.
Die meisten dieser Event-„Tatorte“ kranken daran, dass sie zwar auf einer womöglich geistreichen Idee basieren, dann aber doch halbherzig umgesetzt werden. Die Krimis sollen sowohl bei jenem Publikum ankommen, das sich lediglich 90 Minuten lang berieseln lassen will, als auch unheimlich innovativ sein. Heraus kommt dann zumeist: nichts.
So konnte die Ankündigung des NDR, beide Folgen könnten auch „je für sich stehen“, eigentlich nichts Gutes bedeuten. Doch Stefan Dähnert (Buch) und Franziska Meletzky (Regie) ist es diesmal über weite Strecken gelungen, spannend zu unterhalten.
Nur eine von ihnen wacht auf
Es beginnt mit einer dekadenten Feier mit fremden Männern und zwei Mädchen. Beide liegen am nächsten Morgen, blutend und übersät mit blauen Flecken, auf einer Müllkippe. Nur eine von ihnen wacht wieder auf. Die Spuren führen zu einem Bordell am Steintor, geführt vom Chef eines Motorradclubs.
Und alle aus Hannovers Schickeria sind in den Fall um Mädchenhandel und Zwangsprostitution verwickelt: ein Oberarzt, ein Mitarbeiter aus dem Innenministerium, ein Staats-, ein Rechtsanwalt und ein Geschäftsmann, der durch den Aufkauf von Sozialwohnungen sein Geld macht und will, dass die private Altersvorsorge endlich ausschließlich privatwirtschaftlich organisiert wird.
Die Parallelen zur real existierenden niedersächsischen Oberklasse um den früheren AWD-Chef Carsten Maschmeyer, Kanzler a. D. Gerhard Schröder und Rechtsanwalt Götz von Fromberg mit seinen Verbindungen zum früheren Hells-Angels-Chef Frank Hanebuth sind offensichtlich.
Glaubwürdige Figuren
Dabei wirken die Figuren nicht wie plumpe Abziehbilder. Sie bleiben glaubwürdig an der Grenze zwischen der Arbeit im Dunkelgraubereich und der Suche nach öffentlichem Ruhm.
Und obwohl die Kronzeugin, das weggeworfene Mädchen Larissa, längst verschwunden ist, kann die Polizei am Ende des ersten Teils einen Täter präsentieren. „Wir haben den Mörder, Frau Lindholm“, herrscht der Staatsanwalt die Kommissarin gleich zwei Mal an, damit auch sie begreift: Das System kapituliert. Das Böse siegt. Das Geld siegt.
Die erste Folge funktioniert tatsächlich ohne die zweite, lässt den Zuschauer aber mit dieser bitteren Erkenntnis allein.
Doppel-"Tatort" aus Hannover: „Wegwerfmädchen“ (So., 20.15 Uhr, ARD) und „Das goldene Band“ (16. 12., 20.15 Uhr, ARD)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen