Hamburger Landeskriminalamt: NSU-Opfer „Schmarotzer“ genannt
Das Hamburger Landeskriminalamt zeigt seinen Feinsinn: In den Akten wird der vom NSU ermordete Süleyman Taşköprü als „Schmarotzer“ bezeichnet.
HAMBURG taz | Das NSU-Opfer Süleyman Taşköprü wird in den Ermittlungsakten des Hamburger Landeskriminalamtes (LKA) als „Schmarotzer“ bezeichnet. Die abwertende Bezeichnung fällt in den Akten zu dem Mordfall mehrmals.
In den Akten, die der taz vorliegen, findet sich das Wort „Schmarotzer“ in einer Aussage aus dem Umfeld von Taşköprü, in der geschildert wird, dass er weniger Geld gehabt und innerhalb seiner Clique nie etwas ausgegeben habe. In einer Zusammenfassung später in den Akten wird die Bezeichnung zur Charakterisierung von Taşköprüs Sozialverhalten aufgegriffen, in Anführungszeichen gesetzt.
Taşköprü war am 27. Juni 2001 in seinem Gemüsegeschäft in der Schützenstraße in Hamburg-Bahrenfeld von Mitgliedern der Neonazi-Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) erschossen worden.
Die Sozialwissenschafter Oliver Decker, Johannes Kies und Elmar Brähler schreiben in ihrem Buch "Die Mitte im Umbruch": "Geht man von der These aus, dass sich unter den Angehörigen demokratischer Institutionen dieselben Einstellungen wiederfinden lassen wie in der Bevölkerung, so muss man stark annehmen, dass auch die Sicherheitsbehörden keine Insel der Seligen sein können."
Ausländerfeindliche Überzeugungen hat nach der Studie jeder fünfte Deutsche, antisemitische jeder achte. Die Autoren folgern daraus, dass "rechtsextreme Einstellungen auch dort zum Tragen kommen, wo eigentlich Neutralität gefragt ist".
In einer Fallanalyse des LKA aus dem Jahr 2005 taucht der Begriff „Schmarotzer“ ebenfalls auf. Das Dokument war bereits Gegenstand des Bundestags-Untersuchungsausschuss zum NSU. „Der Zeuge hat sich für den völlig deplatzierten Ausdruck entschuldigt“, sagt der Ausschuss-Vorsitzende Sebastian Edathy (SPD). Die Hamburger Polizei dagegen möchte das Verhalten ihrer Beamten nicht kommentieren. Sie sei für das Verfahren nicht mehr zuständig, sagt Polizeipressesprecher Holger Vehren. Daher dürfe er nichts sagen.
Rassistische Denkmuster
Die Linken-Abgeordnete Christiane Schneider hatte die Wortwahl des LKA am vergangenen Donnerstag im Innenausschuss der Hamburger Bürgerschaft thematisiert. „Hier geht es nicht bloß um Zitate, dieser Begriff wurde übernommen“, sagt sie. Schneider fordert eine öffentliche Aufarbeitung der Ermittlungen von Hamburger Behörden zum NSU-Mord. „Ich habe inzwischen den Eindruck gewonnen“, sagt Schneider, „dass ein Grund für die Verweigerung der Aufarbeitung eingeschliffene rassistische Denk- und Verhaltensmuster sind, die bis heute nicht reflektiert sind.“ Schon die Zusammensetzung der Kripo-Sonderkommission vor zwölf Jahren offenbare einen verheerenden Ermittlungsansatz, so Schneider: „Die Ermittler kamen vom Dezernat Raub, Drogen und organisierte Kriminalität.“
„Erschüttert“ äußert sich Angela Wierig, Rechtsanwältin von Taşköprüs Schwester Aysen zur Verwendung des Worts „Schmarotzer“. Der Begriff entlarve das Denken, so Wierig zur taz. Schon im Oktober 2012 hatte Wierig im taz-Interview gesagt: „Ich denke, wenn die Familie deutsche Wurzeln gehabt hätte, wären die Ermittlungen anders geführt worden.“
Die nun bekannt gewordene Wortwahl bestärke sie in dieser Einschätzung. „Man muss sich das vorstellen: Da wird ein Mensch mit drei Kopfschüssen hingerichtet und der Ermittler bezeichnet ihn als ’Schmarotzer‘“, so Wierig. „Wie erschüttert ist da das Vertrauen der Angehörigen?“ Die Äußerung könnte allerdings erklären, warum so schlampig ermittelt worden sei, sagt die Anwältin: „Ein ’Schmarotzer‘ weniger – wen interessiert es.“
Menschenverachtende Züge
Diese Entgleisung, selbst nur als unkommentiertes Zitat, sei eben leider nicht nur eine sprachliche, sondern gebe auch Einblick in die Denkmuster derjenigen, die das Verbrechen aufklären sollten. „Die Ermittler können sich sicherlich in ihrem Arbeitsalltag nicht allzu viel Empathie leisten“, sagt Wierig, „aber eine Ermittlungsarbeit, die menschenverachtende Züge trägt, ist unerträglich. Und offensichtlich auch wenig erfolgreich.“
Von „verengten Ermittlungen“ spricht auch Zekeriya Altu, Vorsitzender des Hamburger Landesverbandes des türkisch-islamischen Gemeindeverbands Ditib und Mitunterzeichner des ersten Staatsvertrages mit Muslimen in einem deutschen Bundesland. Von Pannen und Peinlichkeiten bei den Ermittlungen will er auch nicht mehr reden. „Die Häufung ist schon statistisch nicht möglich“, sagt der promovierte Physiker, und schiebt nach: „Dieser antimuslimische Rassismus belastet das Miteinander von Muslimen und Mehrheitsgesellschaft.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus