Hamburg kauft autonomes Zentrum: Rote Flora wird rekommunalisiert
Der Senat will das linksautonome Stadtteilkulturzentrum für 1,1 Millionen Euro zurückkaufen. Der Eigentümer spricht von einer „Kriegserklärung“.
HAMBURG taz | Der Hamburger Senat will sich künftig wieder selbst mit widerborstigen und zahlungsunwilligen Mietern herumärgern. Das autonome Stadtteilzentrum Rote Flora will die SPD-Regierung von Eigentümer Klausmartin Kretschmer zurückkaufen. In einem Schreiben an den Kaufmann bietet der Senat einen Preis von 1,1 Millionen Euro für das marode Gebäude im Schanzenviertel. Das sei angesichts der Immobilienpreise in dem Szenequartier „ein fairer Preis“, sagte Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) am Dienstag auf der Landespressekonferenz im Hamburger Rathaus. Gutachter hatten im vorigen Jahr einen Verkehrswert von lediglich 540.000 Euro ermittelt.
Bis zum 3. Februar habe Kretschmer Zeit, das Angebot anzunehmen. Sollte er ablehnen, werde die Stadt den Rückkauf „notfalls vor Gericht durchsetzen“, so Tschentscher. Dann aber zu einem im 2001 geschlossenen Kaufvertrag vereinbarten „Wiederkaufspreis“. Und der liege bei lediglich 190.000 Euro, so der Finanzsenator. Damit ist die Strategie des Senats klar: Um des lieben Friedens Willen jetzt „ein großzügiges Angebot“ machen oder im Streitfall nur so viel zahlen, wie unbedingt nötig.
Der Senat wolle „eine friedliche Entwicklung der Stadt“, stellte Tschentscher klar. Deshalb sei es nicht im Interesse Hamburgs, „wenn ein Eigentümer mit seinen Verwertungsinteressen bei einer so sensiblen Frage Aufruhr in die Stadt trägt“. Kretschmer und sein Immobilienberater Gert Baer hatten erklärt, das Gebäude für einen zweistelligen Millionenbetrag an einen US-Investor verkaufen oder dort selbst ein mehrstöckiges „Veranstaltungszentrum mit Geschäfts-, Gastronomie- und Einzelhandelseinheiten“ errichten zu wollen. Dafür hatte Kretschmer im Oktober vorigen Jahres Bauvorbescheidsanträge beim zuständigen Bezirksamt Altona eingereicht. Das aber sei ein „vertragswidriges Verhalten, das in dieser Form nicht länger hingenommen werden kann“, heißt es in dem Schreiben an Kretschmer, das der taz.nord vorliegt.
Der Investor Klausmartin Kretschmer kaufte 2001 dem rot-grünen Senat die Rote Flora für 370.000 D-Mark ab mit dem Versprechen, das Kulturzentrum zu erhalten.
2011 bot der neue SPD-Senat einen Rückkauf für 1,2 Millionen Euro an. Das entsprach dem Verkehrswert des Areals.
Fünf Millionen Euro verlangte indes Kretschmer und drohte mit Räumungskrawallen: Ihm lägen Offerten in Höhe von 19 Millionen Euro vor.
Einen Rückkauf zum einstigen Kaufpreis von 190.000 Euro bot der SPD-Senat Kretschmer kurz vor Jahresende an, was dieser als "Aprilscherz" ablehnte.
Zudem tritt am kommenden Freitag der neue Bebauungsplan Sternschanze 7 in Kraft, der die Nutzung der Roten Flora als nicht-kommerzielles Stadtteilkulturzentrum festschreibt. Zudem enthält er bauliche Beschränkungen für das Umfeld: Dort werden Bordelle, Sexshops und auch Tankstellen ausgeschlossen und der angrenzende Florapark wird als nicht bebaubare Grünfläche festgeschrieben. Kretschmer hat angedroht, gegen den Bebauungsplan zu klagen. Auch das hält der Senat für „vertragswidrig“ und fordert Kretschmer auf, die Anträge bis zum 3. Februar zurückzuziehen.
Der Kaufmann Kretschmer hatte die Rote Flora 2001 für 370.000 D-Mark von der Stadt gekauft. Dabei hatte er zugesagt, eine „dauerhafte, stabile und unbeeinträchtigte Nutzung als Stadtteilkulturzentrum zu ermöglichen“. Sein Ziel sei, so Kretschmer in seinem damaligen Angebot an die Stadt, „eine Befriedung der Situation“.
Die Rote Flora ist seit November 1989 besetzt und wurde zum Symbol linksradikalen Widerstands und auch Brennpunkt politisch motivierter gewaltsamer Auseinandersetzungen. An den jüngsten Krawallen bis in die vorige Woche hinein ist nach Einschätzung des Senats Kretschmer nicht ganz unschuldig. Er habe mit seinen Verkaufs- und Bauplänen „für Aufruhr in der Stadt gesorgt“, so Tschentscher.
Die Oppositionsfraktionen von Grünen, Linken und FDP begrüßten das Angebot des Senats im Grundsatz. „Der Status quo der Roten Flora muss erhalten bleiben“, mahnte die grüne Innenpolitikerin Antje Möller. Der Schritt „weg von Investorenträumen und hin zu einer Stadt, in der Raum ist für selbstverwaltete Orte von Kultur und auch Widerstand“ sei richtig, findet die linke Abgeordnete Heike Sudmann. FDP-Fraktionschefin Katja Suding mahnt hingegen, „dieser Versuch kommt sehr spät und die Umsetzung wird nicht einfach werden“.
Nach Ansicht von CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich hingegen sei ein Rückkauf der Roten Flora „noch keine Lösung des Problems“. Auch halte er den angebotenen Preis für viel zu hoch. Zudem wundert er sich, warum der Senat erst jetzt sein Wiederkaufsrecht entdecke. Er frage sich, so Wersich, „warum der Senat den Eigentümer, dessen Provokationen mit zur Eskalation der Lage schon vor Weihnachten beigetragen haben, erst jetzt in die Schranken weist“.
Die Rote Flora teilte mit, sie werde sich am Donnerstag auf einer Pressekonferenz zum Kaufangebot des Senats äußern. Kretschmers Berater Baer nannte auf Anfrage der taz das Schreiben der Stadt eine „Kriegserklärung“. Der angebotene Kaufpreis sei „lächerlich“. Die rechtliche Argumentation der Stadt sei nicht haltbar, so Baer: „Hier wird die Demokratie mit Füßen getreten, indem die Stadt einen Bund mit Linksextremisten eingeht.“
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