Hakenkreuz-Graffiti an Bäckerei: Die Nazi-Sprayer von Chemnitz
Unbekannte sprayen Nazi-Symbole an das Geschäft eines Kurden in Chemnitz. Doch bevor sie loslegen, plauschen sie erstmal mit der Polizei.
Auch auf einem Lieferwagen, der vor dem Gebäude steht, findet Kaya einen Schriftzug. Dort steht ebenfalls geschrieben: „Tod und Hass“. Alle umliegenden Gebäude sind verschont geblieben. Es sieht ganz so aus, als ob die Farbschmierereien nur ihm gegolten hätten. So erzählt es Yavuz Kaya am Donnerstagmorgen der taz am Telefon.
Aber Kaya hat etwas, das die Täter erfasste: Überwachungskameras rund um sein Objekt. Darauf ist umfassend zu sehen, wie die Sprüher in der Nacht kamen und wie sie dann vorgingen. Und noch etwas anderes soll darauf zu sehen sein: Nämlich wie ein Polizeiwagen sich den Tätern nähert. Dann geht ein Täter zum Polizeiwagen, dessen Nummernschild auf den Filmaufnahmen zu erkennen ist und unterhält sich. Schließlich fährt die Polizei wieder weg. Anschließend beginnen die Täter zu sprühen.
Das Video, das dies zeigen soll, konnte die taz zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes noch nicht einsehen. Allerdings: Tag24, ein Boulevardmagazin mit Lokalredaktion in Chemnitz, hat die Videos eingesehen. Ihr Autor Bernd Rippert beschreibt an dieser Stelle wie „eine Polizeistreife die Sprayer störte, auch kurz mit einem Täter sprach“. Und weiter: „Danach fuhr der Polizeiwagen weg und die jungen Männer machten munter weiter.“ Die Äußerungen zum Hergang decken sich. Zwar ist auf dem Video, das auch die Polizisten zeigt, kein Graffiti zu sehen. Aus den Aufnahmen der weiteren fünf Überwachungskameras soll allerdings hervorgehen, dass das Gebäude zum Zeitpunkt des Polizeieinsatzes schon beschmiert war.
Die Polizei ermittelt gegen sich selbst
Was Yavuz Kaya und Bernd Rippert schon wissen, will die Chemnitzer Polizei, die über die Videoaufnahmen ebenfalls verfügt, noch nicht kommentieren. Eine Polizeisprecherin teilte auf taz-Anfrage am Donnerstagmittag lediglich mit, dass die Auswertung mehrerer Kameras derzeit noch laufe. „Diese Aufnahmen müssen in eine Chronologie gebracht werden. Erst danach kann eine Aussage dazu getroffen werden, zu welchem Zeitpunkt des Geschehens unsere Streife vor Ort gewesen ist. Darüber hinaus werden selbstverständlich die Polizisten zum Geschehen in jener Nacht befragt“, so Polizeisprecherin Jana Kindt.
Übersetzt: Dass die Polizei vor Ort war, bestreitet sie nicht. Sagen will sie bislang jedoch nicht, wann die Polizei da gewesen ist. Zur Anfrage der taz, ob es nicht ein Einsatzprotokoll gebe, aus dem diese Information hervor gehe, wollte sich die Sprecherin nicht äußern.
Interessant auch: Offenbar ermittelt in der Sache die Polizei noch gegen sich selbst. Die Staatsanwaltschaft in Chemnitz war laut einer Sprecherin am Donnerstagmorgen noch nicht über die Vorgänge informiert.
Am Mittwochmorgen hatte die Polizei zunächst noch eine Medieninformation herausgegeben, die zur Präsenz der Beamten vor Ort kein Wort verlor. Stattdessen rief die Polizei darin Zeugen, „die in den genannten Straßenzügen Beobachtungen gemacht haben könnten“, dazu auf sich zu melden.
Update: Am 11. Januar teilte die Polizei Chemnitz in einer Medieninformation mit, die Auswertung der Aufzeichnungen der Kameras habe ergeben, „dass unsere Streife knapp eine Viertelstunde vor Tatbeginn vor Ort gewesen ist“. In der Mitteilung heißt es: „Zu diesem Zeitpunkt konnten die Polizisten keine Straftat feststellen. Um die Identität des vor Ort bemerkten späteren mutmaßlichen Sprayers feststellen zu können, bedurfte es einer Rechtsgrundlage. Nach dem Sächsischen Polizeigesetz lag in dieser Situation die Voraussetzung für eine Identitätsfeststellung nicht vor.“ Aus diesem Grund habe es für die Polizisten keine Handhabe für weitere Maßnahmen gegeben. In einer weiteren Mitteilung vom 2. Februar teilte die Polizei mit, dass inzwischen zwei Tatbeteiligte des Tätertrios ermittelt werden konnten. Einer der Tatverdächtigen habe den Ermittlern bestätigt, „dass das Trio in der betreffenden Nacht vor der Tat von einer Polizeistreife angesprochen worden war und erst danach die Tat beging“. Das Nachrichtenportal Tag24 veröffentlichte inzwischen ein Video, das zeigt, mit welcher Ruhe die Täter anschließend vorgingen. In dem Text weist das Portal auch darauf hin, dass die Uhrzeiten auf den entsprechenden Überwachungsvideos nicht stimmten. Demnach hätten manche Videos die Sommer-, andere die Winterzeit angezeigt. So sei die Deutung entstanden, die Sprayer hätten bereits vor dem Eintreffen der Polizei gesprüht und nicht erst danach.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden