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Griechenland in der KriseDie Ökos von Euböa

Die einen propagieren das gute Leben auf dem Land und gründen eine Ökogemeinschaft. Andere möchten nichts wie weg und gehen ins Ausland.

Friedlich und menschenleer: Das Hinterland von Euböa. Bild: imago/blickwinkel

Es regnet in Strömen im Norden der Insel Euböa – drei Fahrtstunden von Athen entfernt. Zu jeder vollen Stunde bringt die Fähre Passagiere vom Festland auf die zweitgrößte griechische Insel. Im Sommer wird sie besonders von griechischen Touristen geschätzt, die den Norden der Insel für seine Ruhe, die sauberen Strände und die unberührte Natur lieben.

Jetzt im Winter nutzen vor allem die Einheimischen die Verbindung nach Euböa. Die meisten Hotels sind geschlossen. In den Cafés können die Gäste – ältere Männer, die Backgammon spielen und dabei ihren Kaffee genießen – an einer Hand abgezählt werden. Ein kleines Ortsschild führt von der Hauptstraße weg zu einem versteckt liegenden Dorf. Nur die gepflegten Häuser mit ihren Gemüsegärten zeigen, dass es noch bewohnt ist.

Vor einer Taverne warten Apostolis Sianos und Panagiotis Kandas. Obwohl nicht miteinander verwandt, ähneln sie sich äußerlich: groß und schlank, braune lange Haare, der Bart ist gestutzt. „Willkommen im ruhigen Plätzchen Aghios“, sagt der 32-jährige Apostolis und lächelt. Innen ist es mollig warm, in der Ecke brennt ein Holzkamin.

Diesen Winter ist der Preis für Heizöl auf über einen Euro geklettert, viele im Dorf heizen deswegen wieder mit Holz. In der Küche schneidet Pepi, eine kleine zierliche Frau mit braunem Haar und grünen Augen, Salatblätter. Eigentlich gehört der Laden Apostolis’ Vater, doch jetzt im Winter gibt es kaum Gäste. Also nutzen ihn Apostolis und Panagiotis für ihre Projekte.

Autark und naturbewusst Leben

Die beiden Männer gehören zu einer Gruppe, die eine Ökogemeinschaft aufbauen, ihre Lebensmittel selbst anbauen und so autark und naturbewusst wie möglich leben will. Das Land dafür haben sie schon. „Es liegt auf dem Berg, rund zehn Autominuten entfernt“, sagt Apostolis. „Leider können wir heute nicht hin, denn es hat geschneit und die Straße ist nicht geräumt.“

Ihre Ideen testet die Gruppe auf einer ehemals brachliegenden Ackerfläche aus, die ihnen Apostolis’ Oma zur Verfügung gestellt hat. „Da können wir hinfahren“, sagt Panagiotis und schnappt sich den auf dem Tisch liegenden Autoschlüssel. Mit einem alten dunkelgrünen Subaru Libero geht die Fahrt einige Minuten an Äckern vorbei.

Sechshundert Quadratmeter ist die sogenannte Test-Site groß. Panagiotis zeigt auf eine mit Kieselsteinen bedeckte Fläche. „Hier arbeiten wir gerade an unserem neuen Bauwerk.“ Eine runde, zeltartige Jurte soll dort entstehen, wie man sie von asiatischen Nomadenvölkern kennt. Vierzig Quadratmeter groß, mit Küche und sogar einer Trockentoilette.

Ein paar Schritte weiter steht schon eine kleinere Jurte. Sie ist nur sechzehn Quadratmeter groß. Panagiotis öffnet die Holztür. Im Inneren stehen zwei Betten, ein kleiner Tisch und eine alte Couch. Kerzen stehen auf dem Tisch. An einer Leine hängt feuchte Wäsche. „Im Moment schlafen hier zwei Engländer“, erklärt Panagiotis. „Eigentlich wollten sie mit den Fahrrädern bis nach Israel fahren, aber sie sind hier hängen geblieben“, ergänzt Apostolis, als wäre es das Normalste auf der Welt. Obwohl Apostolis’ Familie von Euböa kommt, hätte er sich vor wenigen Jahren auch nicht vorstellen können, selbst einmal hier zu leben.

Unglücklich und ausgelaugt

Apostolis ist in Athen aufgewachsen, sein Kumpel Panagiotis ebenfalls. In der Stadt hatten sie als Computerspezialisten gute Jobs. Glücklich waren sie trotzdem nicht. „Eines Tages habe ich mich im Spiegel angesehen“, erzählt Panagiotis, „und war erschrocken von dem, was ich sah: ein ausgelaugter Mensch, der nicht einmal Zeit zum Essen findet und sich von Fastfood ernährt.“ So wollte er nicht mehr leben. Unabhängig voneinander suchten Panagiotis und Apostolis Gleichgesinnte im Internet; langsam entstand die Idee, eine Gruppe zu gründen: „Free and real“ war geboren.

„Die griechischen Städte haben nichts mehr zu bieten. Die Menschen sind perspektivlos“, sagt Panagiotis. Der Ausbruch der Wirtschaftskrise war zwar für die beiden nicht der Auslöser für ihre Entscheidung, aufs Land zu ziehen, aber eine Bestätigung. „Unsere Freunde und Verwandten finden es gut und fragen, wie das Leben auf dem Dorf ist.“

Tatsächlich ziehen infolge der Krise immer mehr junge Griechinnen und Griechen in die Provinz. Doch nicht jeder, der aus der Stadt flüchtet, träumt von Selbstversorgung und einem tieferen Sinn im Leben. Viele seien einfach nur auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz, sagt Spyros Zacharis, Vizebürgermeister von Istiea-Edipsos. In seinem Zuständigkeitsbereich in Nordeuböa leben etwa 22.000 Menschen – dazu gehören auch die tausend Einwohner von Aghios.

„Viele junge Leute kehren zurück, um in der Landwirtschaft zu arbeiten oder in der Tourismusbranche Fuß zu fassen“, sagt Zacharis. Er glaubt, dass die niedrigeren Lebenshaltungskosten der Hauptgrund sind, weswegen die griechische Provinz für junge Griechinnen und Griechen so attraktiv geworden ist. Eine Einzimmerwohnung beispielsweise kostet in Nordeuböa rund 150 Euro, während man in Athen mehr als das Doppelte dafür zahlt.

Zacharis’ Büro liegt auf dem zentralen Platz von Istiea, einem weitaus geschäftigeren Ort als das verschlafene Aghios: Rund um den zentralen Platz reihen sich Boutiquen, Banken und Lebensmittelgeschäfte aneinander. Auch hier riecht es nach verbranntem Holz. Vor dem Schulgebäude herrscht Verkehrschaos: Die Eltern holen ihre Kinder mit dem Auto ab. Das Hupen der genervten Autofahrer reicht bis in Zacharis’ Büro. Es ist ein schlichter Raum mit zwei Schreibtischen – einem für ihn und einem für seine Sekretärin.

Wieder Leben in den Dörfern

Spyros Zacharis ist froh, dass immer mehr junge Menschen in die Dörfer ziehen: „Sie bringen wieder Leben in unsere Dörfer. Wir müssen uns jetzt bemühen, die Rückkehrer auch nach der Krise hierzubehalten.“ Wie viele Rückkehrer es tatsächlich gibt, sei nicht einfach zu sagen. Denn viele waren immer noch im Dorf registriert, obwohl sie in Wahrheit in Athen lebten. Offiziell seien sie also nie fortgegangen, erklärt Zacharis.

Doch wer kein Bauer werden oder sein eigenes Geschäft aufmachen möchte, hat es auf Euböa schwer. So auch der 18-jährige Giorgos, ein attraktiver Junge mit kurzen schwarzen Haaren. Er hilft in der Konditorei seiner Eltern aus, nur ein paar Schritte von Zacharis’ Büro entfernt.

Die Vitrine wirkt besonders einladend: Pralinen in jeder Form, aus Vollmilch, weißer oder Zartbitterschokolade, mit Nüssen, Mandeln oder Früchten. Eine ältere Frau bestellt ein Kilo gemischter Pralinen. Während Giorgos die Pralinen sorgfältig in eine Schachtel legt, knüpft sie ein kleines Gespräch an: „Und, Giorgos? Gibt es was Neues?“ – „Ja. Im September gehe ich“, antwortet er und lächelt. Doch es ist ein trauriges Lächeln. Er will Schauspieler werden und deshalb nach England auswandern. „Was soll ich denn noch hier?“

Eine rein rhetorische Frage. Früher wäre er nach Athen gezogen, um in einer der vielen lokalen Schauspielschulen zu studieren. Das ergibt jetzt wenig Sinn. „Die Theater schließen eines nach dem anderen. Junge Schauspieler haben keine Chance“, sagt er und händigt der Frau die Schachtel mit den Pralinen aus.

"Wir brauchen nicht viel, um glücklich zu sein!"

Apostolis und Panagiotis aus Aghios sind optimistischer. Sie wollen auf jeden Fall auf der Insel bleiben: „Wir haben hier alles, was wir brauchen: einen Garten mit Gemüse und Salate der Saison, jede Menge Obstbäume. Wir brauchen wirklich nicht viel, um glücklich zu sein!“

Vieles verdanken sie auch der Großzügigkeit der Einwohner. Ein Dorfbewohner hat ihnen eine alte Werkstatt zur Verfügung gestellt. Die Jungs haben sie renoviert und verarbeiten dort alte Möbelstücke und Holzlatten. „Es ist doch schade, wenn solche Sachen im Müll landen“, sagt Apostolis und zeigt auf den Stapel Holzlatten in der Werkstatt. „Im Moment überlegen es sich die Menschen allerdings dreimal, ob sie etwas wegwerfen. Es gibt weniger Müll, eine positive Seite der Krise“, fügt er hinzu.

„Am Anfang haben sich die Einheimischen über die Neuankömmlinge lustig gemacht“, sagt Vizebürgermeister Zacharis. Vor allem über die Ökos, die nach Euböa ziehen und ihre Ideen umsetzen wollen. Das Blatt hat sich gewendet. „Im Laufe der Zeit haben die jungen Leute uns viel beigebracht, beim Bioanbau und dem Ökotourismus. Sie haben frische Ideen und sind eine echte Bereicherung für die Region.“

Frische Ideen bringen auch die Free-and-real-Leute mit. Sie organisieren Seminare, an denen auch die Dorfbewohner von Aghios teilnehmen. Oder säen gemeinsam Samen aus, um die Pflanzenvielfalt im Dorf zu stärken. „Als würden wir der Natur, die uns das Leben geschenkt hat, wieder Leben zurückgegeben“, schwärmt Panagiotis.

Die Dorfbewohner von Aghios kommen mittlerweile von sich aus auf die Gruppe zu. „Herr Stathis, der Postbote, bat uns neulich, dem Dorf zu helfen, den Kulturverein wieder zum Leben zu erwecken“, sagt Apostolis. „Wir organisieren jetzt die erste Veranstaltung des Vereins. Und das ganze Dorf will mitmachen.“

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2 Kommentare

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  • HT
    Hank the Knife

    Sehr guter und wichtiger Artikel. Griechenland bietet gerade eine äuserst fruchtbare Experimentierwiese für ein post-kapitalistisches Lebens und Wirtschaftssystem.

    Was in den Medien natürlich schön unterm Teppich gehalten wird. Ich hoffe und wünsche dem griechischen Volk den Mut, die Intelligenz und die Leidenschaft dem EU Großkapital DEN Finger zu zeigen und die Wirtschaft auf genossenschaftlicher Basis neu zu strukturieren. Bon Chance und alle Solidarität!!!

  • E
    Elke

    Eine ähnliche Gemeinschaft gibt es auf der Insel Chios, ca. 6 km vor der türkischen Küste http://www.mychios.com

     

    Den Leuten geht es trotz Finanzkrise richtig gut. Sie verfügen über Land, Wasser und gute Laune, was sich in den Fotos wiederspiegelt.