Georgischem Trio gelingt Youtube-Hit: Platonische Liebe mit Wodka
Drei junge Frauen spazieren singend durch eine grüne Landschaft. Der berührende Song erzählt von einem besonderen Liebesritual.
Dies ist eine der wunderbaren Geschichten aus den hintersten Winkeln des globalen Dorfes. Sie beginnt mit einem Video, dass gerade bei den sozialen Medien die Runde macht. Es zeigt drei junge Frauen, die singend durch eine Berglandschaft spazieren. Die erste filmt das Trio offenbar selfiemäßig mit ihrem Smartphone (das Video ist in zeitgemäßem Handyhochformat), die zweite hat ein kleines Mädchen an der Hand, die dritte spielt ein gitarrenähnliches Instrument.
Mal sieht man den kargen Weg, mal schwenkt die Kamera auf die grünen Bäume, mal zeigt sie die Frauen, wie sie fröhlich Grimassen schneiden, mal quatscht das kleine Mädchen. So weit so gut, so unspektakulär. Wären da nicht diese Stimmen, wäre da nicht dieser unglaublich schöne, harmonische, dreistimmige, beeindruckend professionelle Gesang, der einen auf der Stelle berührt. Der einem das Gefühl gibt, gerade etwas ganz besonderes zu hören, auch wenn man kein Wort versteht.
Letzteres stört offenbar die wenigstens, das zeigen die Klickzahlen bei youtube. Dienstagmittag stand der Zähler bei 230.000, am Mittwoch wurde bereits die 500-000-Marke erreicht. Dabei ist das Video erst seit Freitag online. Und glaubt man der youtube-Statistik, wurde es in den ersten vier Tagen im Schnitt nur ein paar hundert mal pro Tag geklickt, bevor es nun frömlich durch die Decke schießt.
Offensichtlich, soviel ist schnell klar, stammt das anrührende Lied aus Georgien. Das verrät der Google-Übersetzer, wenn man die seltsam geschwungenen Buchstaben, die das Video begleiten, dorthin kopiert. Die drei Frauen nennen sich Trio Mandili, man findet auf ihrem youtube-Kanal ein paar weitere, ebenfalls sehr herzergreifende, sehr einfache Gesangsvideos. Mal sitzen zwei der drei an einem Flussufer. Und singen. Mal sitzen die drei im Gras. Und singen. Mal werden sie in einem Park von einem Bongospieler begleitet. Und singen. All diese Videos stehen aber erst bei ein paar tausend Klicks - und auch die sind vor allem erst in den letzten beiden Tagen zusammengekommen, offenbar beflügelt durch den viralen Hit der drei.
Mehr über die Sängerinnen herauszufinden ist nicht ganz einfach. Zwar findet man die seit April bestehende facebook-Seite des Trios, auch haben sie eine eigene Webseite, aber auch dort sind vor allem noch ältere Videos von Auftritten zu finden sowie Fotos, die die drei in Trachtenkleidern zeigen - ansonsten aber nur für die meisten Mitteleuropäer unverständliche georgische Buchstaben.
Unvergleichlich und einfach
Auf einer Webseite, die über Reisen nach Georgien informiert, findet man ein paar grundsätzliche Erklärungen über die spezielle Musik-Tradition in dem kaukasischen Land. „Der georgische Gesang zählt zu den kostbarsten Schöpfungen der Menschheit. Volkslieder und georgische Choräle weisen einen hohen Grad an Harmonienkomplexität auf mit drei bis vier eigenständigen Stimmen. Die archaischen Tonfolgen sind schlicht und entfalten in der Mehrstimmigkeit eine außergewöhnliche Spannung und Intensität“, heißt es dort. Vorangestellt ist dem ein Zitat des russischen Komponisten Igor Strawinski, der gesagt haben soll: „Was die Georgier singen ist wichtiger als alle Neuentdeckungen der modernen Musik. Es ist unvergleichlich und einfach. Ich habe nie etwas besseres gehört!“ Man möchte ihm da unbedingt zustimmen.
Empfohlener externer Inhalt
Mehr über den wunderschönen Song des Trio Mandili erfährt man erst durch einen Beitrag in einem russischsprachigen Forum. Dort hatte ein Frau um Aufklärung gebeten. Sie bekam dann über zwei Ecken nicht nur eine sehr lesenswerte Antwort aus der georgischen Hauptstadt Tiflis, die die besonderen Kulturen zwischen den Geschlechtern in den abgelegenen Tälern des Landes erklärt, sondern auch noch eine Übersetzung des Liedtextes in Russische. Und da der Song mittlerweile auf großes Interesse stößt, findet man bei reddit diese russiche Antwort bereits ins Englische übersetzt.
Demnach stammt da Lied Chewsuretien, einer Hochlandregion im Nordosten Georgiens, die unmittelbar an die russischen Teilrepubliken Inguschetien und Tschetschenien grenzt, und in dessen engen Tälern unter anderem das Dorf Shatili liegt, das wegen seiner 60 Türme zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Die drei Frauen, heißt es weiter, singen nicht nur in dem Dialekt dieser abgelegenen Bergregion, sondern auch über eine spezielle Tradition dort, nach der sich ein junger Mann eine junge Frau als „Gleiche“ wählen kann, um mit ihr die Nacht zu verbringen - allerdings vollständig bekleidet. Sex ist ausgeschlossen, stattdessen führt das Paar lange Gespräche über den Mond und die Sterne und so. Am Ende der Nacht reicht sie ihm als Teil der Zeremonie ein Glas Wodka, bevor er in den Tag startet.
Die Lied des Trios ist demnach ein gesungener Dialog zwischen solch „Gleichen“, also einem Mann und einer Frau. Die beiden begegnen sich unter einem Himmel bedeckt mit Sternen, verbringen die Nacht mit langen Gesprächen bis der Morgen dämmert und es Zeit für den Abschiedswodka wird. Auch dass es keineswegs einfach ist, sich bei dieser nächtlichen Zweierzeremonie an die strengen Regeln des platonischen Anschmachtens zu halten, kommt zur Sprache: „What dirty thoughts came to me, let the god be angry with me“, sagt dort der Mann, bevor er beschämt von dannen zieht.
Einem weiteren Eintrag bei Reddit zufolge stammt der Song ursprünglich von einem georgischen Sänger namnes Aluda Qetelauri und heißt „Zecas Shakheneo Aparekav“. Auch davon findet sich bei Youtube eine Aufnahme. Mit Klaviergeklimper und anderem Schnickschnack, aber bei weitem nicht so wunderbar einfach, wie in der Version des Trio Mandili. Offenbar gilt auch bei georgischen Liedern die alte Rock'n‘Roll-Weisheit: It‘s the singer not the song.
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