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Gebäude-Einsturz in BangladeschTextilarbeiter zur Arbeit gezwungen

Nach dem Einsturz einer Textilfabrik erheben die Behörden schwere Vorwürfe gegen die Betreiber. Die Zahl der Toten stieg am Samstag auf 348. Im ganzen Land protestieren Arbeiter.

Noch finden sie Überlebende – und Tote: Rettungsarbeiter auf den Trümmern der Fabrik. Bild: reuters

DHAKA dpa | Schwere Vorwürfe gegen die Eigentümer der eingestürzten Textilfabrik in Bangladesch hat die dortige Polizei erhoben. Trotz Rissen in dem achtstöckigen Gebäude sollen sie ihre Angestellten vor drei Tagen zur Arbeit gezwungen zu haben, sagte Polizeichef Monirul Islam. Die Polizei nahm zunächst die Besitzer zweier Textilfabriken fest. Auch zwei Regierungsingenieure, die Verstöße gegen Bauvorschriften aufdecken sollen, wurden in Gewahrsam genommen. Zwei weitere, die mittlerweile im Ruhestand sind, wurden verhört.

Nach dem Eigentümer des eingestürzten Hauses wurde zunächst weiter gesucht. Die Polizei nahm vier Verwandte in ihre Gewalt, um den Flüchtigen unter Druck zu setzen. Nach Angaben des Staatsministers im Innenministerium, Shamsul Haque Tuku, wird der Besitzer verdächtigt, minderwertige Materialien für den Bau eingesetzt zu haben.

Unterdessen stieg am Samstag die Zahl der Opfer auf mindestens 348. Die Behörden veröffentlichten zudem eine Liste mit 591 Namen von Vermissten. In den Trümmern des Hauses fanden Helfer mindestens 29 Überlebende. Weitere wurden noch immer in den Gebäudeüberresten in Savar in der Nähe der Hauptstadt Dhaka vermutet.

„Wir werden über Nacht weiter in den Trümmern suchen. Unsere Priorität ist, Menschen lebend zu retten“, sagte Syed Hassan Suhrawardy, der den Einsatz leitet. Eine Lebende wurde am Samstag vor laufenden Kameras aus den Trümmern geborgen. Retter konnten bislang nahezu 2.500 Menschen lebend aus den Trümmern holen. Unter brennender Sonne suchten tausende Angehörige auf einem Schulhof nahe des Unglücksortes nach getöteten Verwandten. Auf den Hof bringen die Retter die geborgenen Leichen.

4.000 Fabriken bleiben zu

Rund 4.000 Textilfabriken in Bangladesch stellten ihre Produktion wegen der Proteste tausender Arbeiter ein. Sie sollen das ganze Wochenende über geschlossen bleiben. Die Demonstranten forderten die Festnahme der Verantwortlichen sowie sichere Arbeitsstandards. Sie blockierten Straßen, zerstörten Autos und beschädigten einige Unternehmen im Industrieviertel der Hauptstadt. Die Polizei setzte in und um Dhaka Tränengas und Gummigeschosse ein, um die Ansammlungen aufzulösen. Mindestens 20 Arbeiter wurden dabei verletzt.

Bangladeschs Verband der Textilproduzenten und -exporteure forderte von den Verantwortlichen der Textilfirmen, die in dem eingestürzten Gebäude angesiedelt waren, sich den Behörden zu stellen.

In dem zerstörten Gebäude soll Bangladeschs Textilproduktions- und Exportverband zufolge auch die Firma Ether-Tex nähen lassen haben, die unter anderem für C&A und Kik produzierte. C&A und Kik hatten erklärt, nichts aus der Unglücksfabrik bezogen zu haben. Die Geschäftsbeziehung mit Ether-Tex endete für C&A demnach im Oktober 2011. Kik teilte mit, dass zu der Firma keine Geschäftsbeziehung bestehe. „Letztmalig wurde hier im Jahr 2008 produziert“, hieß es.

Mango und Primark vom Einsturz betroffen

Der Geschäftsführer des Gesamtverbands Textil + Mode, Wolf-Rüdiger Baumann, sagte der Nachrichtenagentur dpa, vor allem Konzerne wie Mango aus Spanien und Primark aus Großbritannien seien betroffen. „In allen Fällen der vergangenen Jahre waren ausschließlich Versender und Ketten betroffen, die in keinem EU-Mitgliedsstaat in den Industrieverbänden organisiert sind.“ Diese Ketten arbeiteten mit Agenten, von denen man häufig nicht genau wisse, „wer dahinter steckt, also irgendwelche Zulieferbetriebe, die in der Tat zum Teil unter Bedingungen arbeiten, die einen erschauern lassen“.

Die Textilindustrie macht 79 Prozent der Ausfuhreinnahmen Bangladeschs aus. Fragen über die Sicherheitsstandards sind immer wieder aufgekommen. Im November kamen 112 Arbeiter bei einem Feuer in einer Fabrik bei Dhaka ums Leben. 64 starben als im Jahr 2005 eine Fabrik in Savar einstürzte. Mindestens 22 Menschen wurden getötet, als 2006 ein Haus in Dhaka zusammenbrach.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich nach der jüngsten Tragödie erschüttert. Den Menschen und der Regierung Bangladeschs ließ Ban über einen Sprecher sein tiefstes Beileid ausdrücken. Die Vereinten Nationen stünden bei Bedarf bereit, Hilfe zu leisten, teilte Bans Sprecher am Freitag in New York mit.

Papst Franziskus rief zum Gebet für die zahlreichen Toten und Verletzten auf. „Betet mit mir für die Opfer der Tragödie in Dhaka, dass Gott ihren Familien Trost und Kraft schenke“, so Franziskus am Samstag über seinen Twitter-Account.

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3 Kommentare

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  • W
    Wolfgang

    Objektive Realität im (weltweiten) Kapitalismus ist:

     

    Die bürgerliche politische Ökonomie, die die Idee von der "Sozialpartnerschaft" und "Harmonie zwischen Arbeit und Kapital" proklamiert, kennt in Wahrheit "den Arbeiter nur als Arbeitstier, als ein auf die striktesten Leibesbedürfnisse reduziertes Vieh" (Karl Marx).

     

    Wenn das Angebot von Arbeitskräften die Nachfrage bedeutend übersteigt, dann wird ein Teil der Arbeiter zu einem Bettlerdasein oder sogar zum Hungertode verurteilt!

  • D
    D.J.

    @Irmi,

     

    da werden die Inder ab begeistert sein von Ihrem Vorschlag! Und sie haben schon mitbekommen, dass Japan seit ca. 60 Jahren kein Billiglohnland mehr ist?

    Das Bedürfnis, an allem schuld zu sein, ist manchmal ewas bizarr.

  • I
    Irmi

    Es geht nur noch um Ausbeutung um sich eine goldene Nase zu verdienen, da sind auch die Firmen aus Europa beteiligt, welche die Herstellungspreise vorschreiben um ihre Gewinnspanne zu optimieren. Man erinnere sich an die Herstellung von billigen Jeans, erschütternd nicht nur die Arbeitsbedingungen, auch das viele Gift was dabei eingesetzt wird und Löhne die zum Leben nicht reichen. Selbst die Hersteller dort sagen sie werden von den Warenhausketten ausgebeutet.

     

    Der Endkunde hat es in der Hand Waren aus Indien, Japan wo auch immer Billigware hergestellt wird, nicht mehr zu kaufen.

     

    Das bezieht sich auch auf Kakao, Kaffee, Früchte aus der sog. dritten Welt, die auch nicht bezahlt bekommen für Schwerstarbeit, aber die Firmen aus dem Ausland damit Milliarden machen.