Falsche Hirntod-Diagnosen: Tödliche Organentnahmen
Die für Organentnahmen vorgeschriebene Hirntodfeststellung wird in deutschen Kliniken nicht immer korrekt durchgeführt. Die Ärztekammer wiegelt ab.
MÜNCHEN afp | In deutschen Kliniken gibt es nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung immer wieder Fälle, in denen Menschen fälschlicherweise für hirntot erklärt werden. Es komme immer wieder zur Ausstellung von Totenscheinen, ohne dass der Hirntod nach den dafür vorgesehenen Richtlinien diagnostiziert worden sei, berichtete die SZ am Dienstag unter Berufung auf ihr vorliegende Unterlagen. Ursache sei eine unzureichende Ausbildung der Ärzte, die den Hirntod feststellen.
Die SZ nannte unter anderem den Fall eines Kleinkindes, bei dem Organe für die Transplantationsmedizin entnommen worden seien, ohne dass der Hirntod richtig diagnostiziert worden sei. In acht weiteren Fällen aus den vergangenen drei Jahren wurden demnach die Fehler gerade noch rechtzeitig vor der Organentnahme entdeckt.
Der Hirntod wird dem Bericht zufolge in Deutschland pro Jahr bei etwa 2.000 Menschen diagnostiziert. Die unzweifelhafte Feststellung des Hirntodes ist nach dem deutschen Transplantationsgesetz die Voraussetzung für eine Organspende.
Für Laien ist der Hirntod oft schwer nachvollziehbar, weil der Verstorbene zumeist keines der allgemein bekannten Todeszeichen aufweist. Mittels Maschinen und Medikamenten schlägt sein Herz, er atmet nur vermeintlich.
Für die Diagnose des Hirntodes gelten umfangreiche Richtlinien der Bundesärztekammer. Unter anderem muss er von zwei dafür qualifizierten Ärzten unabhängig voneinander festgestellt werden. Alle Umstände, die das Gehirn nur betäuben wie Medikamente, eine zu niedrige Körpertemperatur, ein Koma oder eine Vergiftung, müssen ausgeschlossen werden.
In mehreren der Zeitung vorliegenden Fällen wurde der Hirntod festgestellt, obwohl die Patienten gerade erst mit starken Schmerzmitteln betäubt worden seien. Auch andere Fehler kamen demnach vor, etwa ein nicht korrekter Test auf Atemstillstand. Dabei seien die Fehler nicht nur in kleinen Krankenhäusern gemacht worden, sondern auch an Universitätskliniken und in Fachabteilungen.
Ärztekammer sieht kein Problem
Die Ärztekammer hält die Qualität der Hirntoddiagnostik für ausreichend. Diese sei „gesichert und hoch“, zitierte die Zeitung aus einer Stellungnahme der Vorsitzenden der drei bei der Bundesärztekammer angesiedelten Kontrollkommissionen des Transplantationswesens.
In den vergangenen Jahren sei es nur in zwei Fällen nach einer regelwidrigen Hirntodfeststellung auch zur Organentnahme gekommen, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), Rainer Hess, der SZ. Beide Male habe sich später gezeigt, dass die Spender bei der Organentnahme tatsächlich hirntot gewesen seien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Filmförderungsgesetz beschlossen
Der Film ist gesichert, die Vielfalt nicht