Erneuerung im Vatikan: Kreuz aus Eisen statt eiserne Hand
Papst Franziskus stellt die Grundpfeiler der katholischen Kirche in Frage. Die Konservativen sind aufgeschreckt, die Folgen nicht abzusehen.
Papst Franziskus mag Situationen, die seinen Sicherheitsleuten die Haare zu Berge stehen lassen. Für seine Tour über die Flüchtlingsinsel Lampedusa und durch Rio de Janeiro verschmähte er das gepanzerte Papamobil, er wählte stattdessen einen offenen Fiat. Und stieg immer wieder aus. Aber womöglich droht ihm eher Gefahr aus den Reihen derer, die ihn gerne weiter umstellen, „beschützen“, abschirmen würden: aus der Kurie.
Dieser Papst ist, wenigstens in der Inszenierung, das Gegenteil seines Vorgängers. Ratzinger, der dogmatisch sattelfeste „Theologenpapst“, liebte die prunkvolle Selbstzurschaustellung in prächtigen Gewändern, kramte längst in Vergessenheit geratene Mützchen mit Pelzbesatz wieder raus, die seit Jahrzehnten kein Papst mehr getragen hatte.
Zugleich gab sich der Hirte im Umgang mit seinen Schafen schüchtern, fast verklemmt, aber entschieden, wenn es um die Verteidigung der Dogmen ging. Ohne größere Gegenwehr ließ er zu, dass ihn diverse Vatikan-Seilschaften von der Welt abschirmten und ertrug still leidend deren Verschwörungen – bis er dann aus dem Käfig ausbrach. Sein einziger revolutionärer Akt, der ihm einen Platz in den Papstannalen sichern wird.
Unnormale Normalität
Und jetzt Franziskus. Statt „Tradition“ nimmt der ein in Kurienkreisen eher gefährliches Wort in den Mund: „Normalität“ – und stellt derweil, vatikanisch gesprochen, recht unnormale Sachen an. Der Mann wohnt im Gästehaus Santa Marta statt in den Papstgemächern – und erklärt, er würde halt „psychiatrische“ Probleme bekommen, wenn er nicht unter Menschen sei.
Machen iPads doof? Ein Forscher warnt und eine Familie mit drei Kindern und fünf iPads macht sich neuerdings Gedanken – die Ganze Geschichte „Wischiwischi“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 3./4. August 2013. Darin außerdem: Wie sich die NPD im äußersten Nordosten der Republik auf ein Verbot vorbereitet. Und: Die englische Schriftstellerin Jeannette Winterson über Liebe, Zusammenbrüche und die Gewalt der Sprache. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Er trägt ein Kreuz aus billigem Eisen auf der Brust, keines aus Gold oder Silber, er predigt nicht farbenfroh aufgebrezelt, sondern im schlichten weißen Talar. Seine schwarze Tasche (Inhalt: Rasierapparat und Gebetsbrevier) trägt er selbst ins Flugzeug. Und auf dem Rückflug der Brasilienreise redet er ungeschützt mehr als eine Stunde mit Journalisten, über Schwule, Frauen, Geschiedene – während Ratzinger auf seinen Reisen immer nur für ein paar Minuten zur Medienmeute fand, um dann drei, vier vorher eingereichte Fragen mit erwartbaren Sprachregelungen zu beantworten.
Das könnte man als geschicktes Marketing beiseitelegen, als gelungene Selbstinszenierung. Schließlich war auch Papst Johannes Paul II. ein begnadeter Kommunikator, der so manches neu machte, das fleißige Reisen, die Weltjugendtage, dabei der Kirche aber immer wieder eine Rolle rückwärts verordnete, wenn es um Schwule und Lesben ging, um Pille oder Kondom, und seinen Kurs mit eiserner Hand durchsetzte.
Und eines tat Papst Johannes Paul II. ganz gewiss nicht: aufräumen. Er unternahm nichts, um die skandalverdächtige Vatikanbank in Ordnung zu bringen. Und kaum etwas, um die in seiner Amtszeit aufkommenden Pädophilie-Skandale aufzuklären. Etwaige Affären wurden in der seit Jahrhunderten bewährten „diskreten“ Manier lieber vertuscht als verfolgt.
Rütteln an den Dogmen
Ausgerechnet an diesen beiden Grundpfeilern aber – überkommene Dogmatik und bewährte Diskretion im hausinternen Management – beginnt Franziskus zu rütteln, und das macht die Sache für ihn gefährlich.
Statt wie Johannes Paul II. oder Ratzinger ohne Unterlass gegen „Relativismus“ oder „Anpassung an die Moderne“ zu wettern, predigt er lieber von der „Armen Kirche im Dienst der Armen“, ruft die Katholiken dazu auf, sich in die „Peripherien“ aufzumachen, ärgert sich öffentlich über Priester, die dem Luxus frönen, sagt so merkwürdige Dinge wie „Jugendliche, die nicht protestieren, gefallen mir nicht“, oder klagt auf Lampedusa die politisch und ökonomisch Verantwortlichen an, „die mit ihren Entscheidungen auf globaler Ebene Situationen geschaffen haben, die zu diesen Dramen führen“.
Als wäre das noch nicht genug, hat er die Botschaft parat: „Wer wäre ich denn, um über einen Gay zu urteilen, der auf der Suche nach dem Herrn ist?“ Eine Klarstellung war das, zu einer Aussage, die Franziskus wenige Wochen vorher gemacht hatte, als er unumwunden vom Wirken der „Schwulenlobby“ im Vatikan gesprochen hatte. Dieser Tage stellte er klar, dass ihn an denen nicht das Schwulsein störte, sondern der Zusammenhalt als verschworener Verein, „so wie jede andere Lobby“.
Kein Papst zuvor hatte je von Lobbys in der Kurie gesprochen. Und keiner zuvor hatte zugleich erklärt, die Schwulen seien doch auch nur einfache Christenmenschen, womöglich mit der einen oder anderen Sünde behaftet – wie eigentlich alle. Überhaupt die Sünder: Denen werde ja schon von Gott vergeben, und damit sei die Sache gefälligst auch für die Menschen vergessen.
Erzürnte Konservative
Ein anderes Kaliber dagegen: die Verbrecher. Monsignore Nunzio Scarano zum Beispiel, von der italienischen Justiz wegen Geldwäsche, natürlich über die Vatikanbank, verhaftet, erfährt keinerlei Rückendeckung: Der sei nun mal „keine heilige Imelda“, bemerkt der Papst bloß trocken.
Als „Pop Franziskus“ muss er sich dafür vom rechtskatholischen Publizisten Marcello Veneziani schmähen lassen, „Pop wie populär, populistisch, pauperistisch“, ätzt Veneziani. Und der nicht einmal katholische, sondern bloß konservative Piero Ostellino beschwert sich, der Papst führe sich nicht als Jesuit, sondern als Franziskaner auf, unter ihm drohe sich die Sancta Romana Ecclesia glatt von einer theokratischen in eine demokratische Institution zu verwandeln, in der – oh Graus – der Papst auch noch seine Tasche selber trägt.
Für einen Papst völlig ungewohnter Beifall kommt dagegen von der Basisbewegung „Wir sind Kirche“ genauso wie von dem Befreiungstheologen Leonardo Boff, der von Johannes Paul II. und Ratzinger aus dem Franziskanerorden geekelt worden war.
Schlimmer noch: Der Heilige Vater sendet Signale aus, dass er mit seinen Ansagen – Reform? Revolution? – Ernst machen will. Gleich mehrere Kommissionen hat er eingesetzt, zur Neuausrichtung von Organisation und Arbeit der Kurie, vor allem aber zur Aufklärung des eher unseligen Wirkens der Vatikanbank. Ob sie überlebt, steht mittlerweile in Frage. Schließlich wünscht sich Franziskus für das Institut „Transparenz und Ehrlichkeit“, das Gegenteil der bisherigen Geschäftsprinzipien. Alteingesessene Machtkartelle in der Kurie dürften sich da bedroht fühlen.
Ein plötzlicher Tod
Bedroht wie vielleicht zum letzten Mal im Jahr 1978. Damals regierte, für bloß 33 Tage, Johannes Paul I. Der „lächelnde Papst“ war – ganz wie Franziskus – zunächst mit dem Abschneiden alter Zöpfe, mit einer damals ganz neuen Bescheidenheit aufgefallen. „Ich“ sagte er plötzlich, nicht „wir“ wie alle seine Vorgänger, er schaffte die Krönung mit der Tiara ab, genauso wie den Kniefall der Schweizer Garden, wenn er an ihnen vorüberschritt.
Er ging selbst ans Telefon. Und, es hieß, er wolle die mächtigsten Kurienkardinäle entmachten, er wollte in der Vatikanbank aufräumen, in den Jahren, als dort Paul Marcinkus alle Fäden in der Hand hielt und rege Geschäfte mit den Mafia-Bankiers Michele Sindona und Roberto Calvi tätigte. Doch am Ende blieb Marcinkus noch einige Jahre, Johannes Paul I. dagegen starb eines plötzlichen Todes. Herzversagen, hieß es, doch eine Autopsie erfolgte nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind