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Ende der "Parkwache" in StuttgartGrün-Rot lässt Wutbürger räumen

2.400 Polizisten holen Gegner des Bahnhofs aus Zelten und Bäumen im Stuttgarter Schlosspark. Ministerpräsident Kretschmann ist heilfroh.

Schluss mit dem Leben auf dem Baum. Bild: dapd

STUTTGART taz | Eberhard Lippek packt den Mülleimer auf die weißen Plastikstühle und hievt sie energisch zur Seite. Dabei schimpft er etwas von "freier Willkür" der Polizei. Es ist halb acht morgens. Ein "Parkschützer"-Button fällt von Lippeks Jacke in den matschigen Boden des Stuttgarter Schlossgartens. "Seit dem 7. 9. 2010 bin ich hier Leiter der Parkwache", sagt der 50-Jährige. In den vergangenen Tagen habe er kaum geschlafen – "mit der Gewissheit, dass doch noch was zu retten ist".

Lippek ist einer der letzten anwesenden Parkschützer. Ansonsten sind auf dem Gelände fast nur noch Polizisten und Pressevertreter zu sehen. Um drei Uhr waren in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch etwa 2.500 Einsatzkräfte in den Schlossgarten gedrungen. In den nächsten Tagen sollen hier für das Bahnprojekt Stuttgart 21 fast 180 Bäume gefällt oder verpflanzt werden. Was Lippek retten wollte, ist nicht mehr zu retten. "Man nimmt den Bürgern ein Stück Seele", sagt er.

Bereits seit September 2010 harrten Gegner des Tiefbahnhofs in der Zeltstadt aus. Zum Schutz vor dem Polizeieinsatz hatten sie eine gut einen Meter hohe Barrikade aus Paletten und Baumaterial gebaut. Zudem lebten mehrere Aktivisten in rund einem Dutzend Baumhäusern.

Was Parkschützer Lippek "freie Willkür" nennt, das ist für Thomas Züfle ein "reibungsloser Einsatz". Der Präsident der Stuttgarter Polizei steht am Mittwochmorgen, eingehüllt in einen langen, schwarzen Mantel, im Schlossgarten und raucht erst mal eine. Der Mann mit dem schwarzgrauen Schnäuzer wirkt gelassen. Auch in den letzten Nächten habe er gut geschlafen, sagt er. Und lächelt zufrieden.

Strategie ging auf

Seit seinem Amtsantritt im letzten Jahr hat er immer wieder eine Deeskalationsstrategie gepredigt. Am Mittwoch musste sich diese Strategie beweisen. Um halb acht weiß Züfle, dass sie weitgehend aufgegangen ist – auch wenn die Parkschützer sich teils geärgert haben. "Wir haben mit dem friedlichen Verlauf gerechnet. Trotzdem bin ich erleichtert", sagt Züfle.

Eine Stunde hatte die Polizei gebraucht, um die etwa 800 Meter lange Gitterabsperrung vollständig aufzustellen, die neue Besetzungen im Schlosspark verhüten soll. Danach forderte sie die Demonstranten immer wieder auf, den Park zu verlassen. Die meisten der nach Polizeiangaben etwa 1.300 Gegner von S 21 folgten dieser Aufforderung. Etwa 50 von ihnen seien weggetragen worden. SEK-Beamte mussten einige Aktivisten mit einer Hebebühne aus den Bäumen holen. Zwei andere junge Männer hatten sich in einem Zelt mit ihren Unterarmen einbetoniert und mussten mit Spezialwerkzeug losgemacht werden.

Der Sprecher der Parkschützer, Matthias von Herrmann, kritisiert das Vorgehen der Polizei. Der "massenhafte Aufmarsch der Polizei" entspreche nicht der propagierten Deeskalationsstrategie. Stattdessen sei der Einmarsch "aggressiv und provozierend" gewesen. Unmittelbar nach Betreten des Schlossgartens habe die Polizei grundlos die Schlagstöcke eingesetzt. Die Polizei sagt, dies sei "vereinzelt" wegen "massiven Widerstands" notwendig gewesen.

Unterdessen räumt Lippek weiter einsam die Parkwache auf. "Dies war ein Deeskalationspunkt", sagt er. S-21-Gegner hätten sich an dem Stand getroffen, ausgetauscht, Zeitungsartikel ausgelegt, Spenden gesammelt, sich gegenseitig Mut zugesprochen. Lippek will diesen Mut immer noch verbreiten. "Wir werden nicht schwächer, wir werden stärker", ruft er in den Park. Gehört wird er nur noch von einigen Polizisten, die in seiner Nähe stehen.

Tief durchatmen

Fünf Stunden später im Foyer des Landtags. In wenigen Minuten will Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) eine Erklärung abgeben. Innenminister Reinhold Gall (SPD) und sein Sprecher sind bereits da. Ein weiterer SPDler kommt auf die beiden zu und hält seine Daumen nach oben. "Super", sagt er.

Auch Kretschmann atmet einmal tief durch, als er vor die Kameras tritt. Vor einigen Tagen hatte er sich noch mit Vertretern der S-21-Bewegung zum Gespräch getroffen. Es sei eine "anstrengende und harte Diskussion" gewesen. Heute dankt er nicht nur den Polizeikräften, sondern auch den Demonstranten für ihr besonnenes Verhalten.

Innenminister Gall schien sich schon am Tag zuvor sicher gewesen zu sein, dass alles glattlaufen würde – und wagte es, auf einer Pressekonferenz von dem "am besten geplanten Einsatz des Landes" zu sprechen. Hätte er nicht recht behalten, hätte sich die grün-rote Koalition vermutlich scharfe Kritik anhören müssen.

Viele eingefleischte S-21-Gegner halten die Grünen ohnehin nicht mehr für glaubwürdig. "Wenn der Einsatz aus dem Ruder gelaufen wäre, wären wir in schweres Fahrwasser geraten", sagt Kretschmann. Doch jetzt kann er erst einmal durchatmen.

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13 Kommentare

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  • I
    Inge

    @ama.dablam

    Wenn sich die Mehrheit der Bevölkerung von Baden Württemberg und Stuttgart FÜR S 21 ausspricht, dann hat der MP Kretschmann meinen größten Respekt dafür, dass er die Sache durchzieht und weiterbauen lässt. Deswegen trifft dein Kommentar absolut zu. Es ist gut und richtig so. Nun sind da 2500 Menschen die der Meinung sind, dass sie sich der Mehrheit nicht beugen müssen und besetzen einfach weiter. Der Einsatz war richtig und das da ein paar Knüppelschläge verteilt wurden ist zwar traurig aber offensichtlich verständlich.

  • A
    ama.dablam

    @thstuttgart:

     

    Wenn Sie sich mal nicht irren. Gerade jetzt ist Kretschmann für mich und viele Freunde erst recht wählbar. Er hat bewiesen, dass er am Gemeinwohl Interesse hat und eben nicht nur Klientelpolitik betreibt.

  • RC
    Rimbert Chrobok

    Es ist erstaunlich, dass immer noch geglaubt wird, was von den Projektbetreibern verbreitet wird; der Park wird - zumindest zu unseren Lebzeiten - nicht größer; wertvolle Substanz der Stadt wird vernichtet und der teil des Parks, der nun geräumt ist, wird wohl nie wieder zu betreten sein.

  • GS
    Gernot-Peter Schulz

    Herr Kretschmann kann heilfroh sein, wenn seine Grünen bei der nächsten Landtagswahl die 5 % erreichen.

    Wer in Stuttgart will einen Grünen-Bürgermeister?

  • GS
    Gernot-Peter Schulz

    Herr Kretschmann kann heilfroh sein, wenn seine Grünen bei der nächsten Landtagswahl die 5 % erreichen.

    Wer in Stuttgart will einen Grünen-Bürgermeister?

  • UU
    uns - umo

    liebe taz, dass sogar ihr den abwertenden begriff wutbürger benutzt finde ich unmöglich.

    bei etwas besserer recherche hättet ihr auch darauf aufmerksam machen können dass herr züfle zumndest so getan hat als könne er sich des friedlichen verlaufs der räumung nicht sicher sein - und kurzerhand die wutbürger gar in hassbürger umdeklariert hat!

  • T
    thstuttgart

    Sie Herr Kretschmann haben nach nicht mal 1.Jahr Amstzeit jeden Kredit in weiten Teile der Bürgerschaft verloren !! Ziel der Aufkärungsarbeit muss jetzt sein Deutschlandweit auf das Lügenpack = grüne aufmerksam zu machen - Sie bekommen uns nicht los , aber wir Sie sehr bald !

    Herr Kretschmann : Das wars nicht ... Sie und Ihre Politik werden sich noch wundern was auf Sie aus Stuttgart zukommen wird ! und unser Park der heute zerstört wurde durch Ihre Politk wird nie wieder so sein auch nicht nach Ende der Baurabeiten in 20 Jahren ! zumal wir jetzt alle Live erleben werden in den nächsten Monaten und Jahren , wie Land Stadt die Bürgerschaft bzw. Steuerzahler von der Bahn erpressbar gemacht wird mit dem heutigen Tag . Sie Herr Kretschmann haben nach nicht mal 1.Jahr Amtszeit jeden Kredit in weiten Teile der Bürgerschaft verloren ! Wir alle haben am 27.03 alle das Häckchen bei der Partei die Grünen gemacht , mit der Hoffnung nach der kurzen Mappus Zeit auf einen wirklichen Neubeginn der Landespolitik Sie haben durch Ihre Politik alles kaputt gemacht und leider damit auch das Vertrauen vieler zerstört . Aber auch die Kostendeckel Frage wird von Ihnen Herrn Kretschmann auch bald zu den Akten gelegt ! Niemand will eine Bauloch in Mittte der Stadt haben ,deshalb kommt der Tag wo die Bahn endlich die wahren Kosten dem Steuerzahler mitteilen muss weil das Geld ausgeht ! Wie sagt ein Sprichwort :" Wer einmal lügt ,dem glaubt man nicht mehr " Ihnen kann nach einem Jahr niemand mehr was glauben . Ich denke der Protest wird jetzt wieder stark werden da viele Aufgaben vor uns liegen werden z. B. die Bürgerschaft vor einem 2. Wahlbetrug durch die Grünen bei der OB zu warnen und und und ... die Liste ist sehr lang . Sie Herr Kretschmann ( als ehmmaliger Stadtrat der Grünen) kenn ich Sie noch als einfaches Mitglied der Grünen im Kreisverband Esslingen haben für mich jeden Kredit verspielt und sind in Ihrer weiteren Arbeit nicht mehr glaubhaft ! Deshalb brauchen das Land nach nur einem Jahr einen Neuanfang mit einer wirklichen Persönlichkeit an der Spitze der Landesregierung ! Sie haben keinen Kredit mehr ! Das Spiel Herr Kretschmann ist aus ! Die Wählerinnen und Wähler im Saarland und Schleswig Holstein müssen vor dem Lügenpack =Grüne gewarnt werden !gerade die Erstwähler kehren der Partei Grüne massiv den Rücken und suchen sich eine neue polit.Heimat z.B. bei den Piraten Am kommenden Wocheende sind bereits zwie weitere größere Demos angesagt ! Herr Kretschmann an Sie : Sie bekommen uns nicht los , aber wir Sie sehr bald ! Restlaufzeit 1275 Tage seit Heute

  • HM
    Helmut Maier

    Wenn Parker meint, d i e s e r Teil des Parkes werde je einmal wieder frei zugänglich sein, dann hat er sich gewaltig getäuscht. An d e r Stelle wird das Dach des Tiefbahnhoftunnels verlaufen!

  • S
    Stuttgart-City

    Grün-Rot lässt keine "Wutbürger räumen",

     

    sondern lässt die Stuttgarter Innenstadt, einen einzigartigen Natur- und sozialen Raum für die Innenstadtbevölkerung,

     

    für ein kriminelles Projekt zerstören,

     

    obwohl das für die Baugrube, für die der Schlossgarten jetzt sinnlos massakriert wird, unabdingbar notwendige "Grundwassermanagement" noch nicht einmal geplant, planfestgestellt, geschweige denn genehmigt ist.

     

    Und obwohl von den Projektbeteiligten, unter den Augen von Millionen BürgerInnen, im Rahmen der so genannten Schlichtung vereinbart wurde, KEINE gesunden Bäume zu fällen!

     

    Die neoliberale Kriegspartei "Die Grünen" zeigt einmal mehr ihr wahres Gesicht, hat die Bewegung gegen Stuttgart 21 schamlos für Wahlkampfzwecke missbraucht und hinterher fallen lassen wie eine heiße Kartoffel.

     

    Die gesamte "Volksabstimmung", bei der die Grünen unter anderem gezielt verhindert haben, dass ein objektiver Vergleich zwischen der Leistungsfähigkeit des bestehenden Kopfbahnhofes und der Keller-Haltestelle Stuttgart 21 stattfindet, ist damit endgültig als bloße Inszenierung zur Ruhigstellung des Widerstandes verkommen und angesichts des schamlosen Betruges an der Öffentlichkeit null und nichtig.

     

    Wie schon bei Hartz IV, Agenda 2010, Afghanistan-Krieg etc. zeigt sich: Die Grünen sind mit ihrem verlogenen ökologischen Anstrich die viel effektiveren Neocons und Neoliberalen!

  • D
    Dude

    Das einzige Ziel Kretschmanns ist, bei der Bundestagswahl 2013 an die Macht zu kommen. Dafür hat er Stuttgart geopfert. Keinerlei kritische Fragen zu den Punkten Finanzierung des Projekts, Mischfinanzierung, gefakter Stresstest, fehlendes Brandschutzkonzept, zu kleine Fluchtwegbreite,...

    Die Rechnung wird wohl nicht aufgehen, denn das einzige 'Alleinstellungsmerkmal' Atomausstieg ist verloren. Weshalb sollte man also eine schlechte Kopie der CDU wählen? Kretschmann hat die Grünen konsequent eingereiht in die Garde der Wahlversprechenbrecher.

  • V
    vic

    Hey taz, "Wutbürger" muss nicht sein- S21 Gegner

    oder Parkschützer genügt.

  • P
    Parker

    Das "Stück Seele" wurde den Stuttgartern mit der willkürlichen Besetzung des Schlossgartens durch die selbsternannten "Parkschützer" sowie der Errichtung der Barrikade genommen und eben nicht durch die Räumung des Parks.

    Da Herr Lippek & Co. nun endlich weg sind, kann S21 nach dem Willen der Bürger gebaut und der Schlossgarten damit vergrößert werden. Dann steht der Park hoffentlich wieder allen Menschen frei zur Verfügung und nicht nur den Antidemokraten, die sich dort niedergelassen haben und den Park mal eben als ihr "Hoheitsgebiet" erklärten.

  • A
    axel

    Sehr geehrte Frau Michel, nicht nur "viele eingefleischte S21-Gegner" halten die Grünen für unglaubwürdig.

    In Hamburg und im Saarland und in der Atompolitik auf Bundesebene zeigten die Grünen beispielhaft und konsequent, daß Wahlprogramme und -aussagen nach der Wahl schnellstens ad acta gelegt, "modifiziert" und bis ins Gegenteil verdreht wurden.

    Wie schnell die Fahnen nach dem Wind gedreht werden und der "Tagespolitik" oder "politischen, wirtschaftlichen oder rechtlichen Zwängen" angepaßt werden, zeigt sich aktuell auch in Frankfurt a.M. - jahrelang ist von den Grünen im Kampf gegen den Flughafenausbau nichts zu vernehmen außer Funkstille, und plötzlich heftet man sich die Gegnerschaft wieder an die Bluse.

    Die Glaubwürdigkeit der Grünen ist futsch, und es merken zunehmend mehr WählerInnen.

    Aber Ministerpräsident Kretschmann ist wahrscheinlich "heilfroh", zeigen zu können, daß die Grünen Großprojekte mit durchzusetzen können (notfalls "friedlich" mit massivem Polizeieinsatz) und auch für die CDU verläßlicher Partner wären.