Einsatz von V-Leuten: Es wird weitergespitzelt
Das V-Leute-Wesen sollte „grundlegend“ reformiert werden. Passiert ist wenig. Der VS setzt weiter auf Szene-Insider.
BERLIN taz | Das Urteil war vernichtend. „Inakzeptable Umstände“ hätten in den Verfassungsschutzbehörden bezüglich des Einsatzes von V-Leuten geherrscht, resümierte der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags im vergangenen Sommer einhellig. Schwere Gewalttäter seien angeworben worden, deren Aussagen wurden kaum überprüft – und wenn relevant, nicht weitergegeben. Das Gremium kam nur zu einem Schluss: Halte man am V-Mann-Wesen fest, brauche es eine „grundlegende Neuordnung“.
Tatsächlich reagierte der Verfassungsschutz. Das Amt und die Innenminister verabredeten gemeinsame Standards für den Einsatz der V-Leute: Informanten, die zuvor Kapitalverbrechen verübten, sind jetzt tabu. Die Amtsleitung muss jeder Anwerbung zustimmen, die Spitzelführer müssen rotieren.
Die zweite Neuerung: eine „zentrale V-Leute-Datei“, um Erkenntnisse aller Spitzel zu bündeln. Die aber ist heute, mehr als ein Jahr später, noch immer nicht in Kraft. Eine Sprecherin des Innenministeriums räumte ein, dass die Verfassungsschutzbehörden noch „fachliche Details der technischen Umsetzung abstimmen“.
Dieses Reformtempo trifft im Bundestag auf Unverständnis, auch unter Koalitionsabgeordneten. CDU-Innenexperte Clemens Binninger appellierte kürzlich, das V-Mann-Wesen müsse sich weiter „dringend ändern“. „Aufwand und Risiko“ hätten zu NSU-Zeiten „in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn“ gestanden.
„Bezahlte Täter“
Noch schärfer fällt die Kritik der Opposition aus: „An der Mentalität der Verfassungsschutzämter hat sich nichts geändert“, so die Linke Petra Pau. Das habe der Fall des verstorbenen V-Manns Thomas „Corelli“ R. gezeigt. Auch der bewegte sich im NSU-Umfeld. Über seine Hinweise und seinen Tod informierte die Regierung aber weitgehend vertraulich.
„Quellenschutz geht noch immer vor Aufklärung“, kritisiert Pau. Das V-Mann-Wesen sei „nicht reformierbar“, Spitzel blieben am Ende immer „bezahlte Täter“. Daher sei die Praxis „umgehend einzustellen“.
Davon aber sind Bund und Länder weit entfernt. Selbst sozialdemokratische Innenminister halten V-Leute als „Frühwarnsystem“ für „unverzichtbar“. „Extremisten kommunizieren und koordinieren nicht in der Öffentlichkeit, sondern im Verborgenen“, bekräftigte NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD).
Am weitesten wollte Schwarz-Rot in Thüringen gehen. Dort sollten V-Leute gar keine Straftaten mehr begehen dürfen und Übertritte der Polizei gemeldet werden. Der Verfassungsschutz rebellierte: So sei keine Tarnung möglich, man könne die „Arbeit einstellen“. Das Bundesamt drohte mit einem Ausschluss der Thüringer aus dem Geheimdienstverbund. Die Koalition knickte ein: Bis zu einer Schwelle sollen Straftaten weiter geduldet werden. Aber V-Leute sollen nicht mehr von ihrem Salär leben können und stärker parlamentarisch kontrolliert werden.
Die NSU-Opfer verfolgen die Entwicklung mit Frust. Die „Durchsetzung der Szene mit V-Leuten“ sei bis heute überhaupt nicht aufgearbeitet, kritisiert Opferanwalt Alexander Hoffmann. Auch nicht, „inwieweit die Geheimdienste eigene Interessen durch ihre Informanten umsetzen und damit Einfluss auf die Szene nehmen“.
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