Diskussion in der Berliner Volksbühne: Applaus für linke Masturbation
Gianis Varoufakis im Disput unter Linken: Gut gelaunt und kämpferisch berichtet der Exfinanzminister Griechenlands von politischen Plänen.
Der Wirtschaftswissenschaftler fiel aus dem Kabinett Alexis Tsipras‘, aber er reist nun durch Europa, hält Vorträge, sammelt Eindrücke – und dass er kommen würde, zog in Berlin diese leichte Zuschauerpanik nach sich, typisch für heiße Diskursware, ob man in den Großen Saal noch hineinkommen würde.
Varoufakis jedenfalls bekam, kaum hinter dem Vorhang hervorgetreten, mächtigen Applaus. Mit ihm disputierten der in linken Kreisen wohlbekannte italienische Philosoph Franco Bifo Berardi, sein kroatischer Kollege Srecko Horvath und Gastgeber Guillaume Paoli. Letzterer als Moderator, das heißt in seinem Fall als Stichwortgeber.
Der Grieche, ausgesprochen gut gelaunt, konnte ausladend berichten, was das Publikum ohnehin wissen musste, flüchtiger Medienkonsum reichte für die goldenen Vokabeln, die Varoufakis aufzusagen hatte. Wie desinteressiert an wirklich politischen Lösungen die EU-Spitzenpolitiker waren, wie sehr die Eurogruppe das Machtzentrum der EU ist und wie enttäuschend war, dass selbst der Sozialdemokraten nahestehende oder angehörende Kader der EU die Linke im Stich ließ: Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi etwa.
Erst Syriza, dann Corbyn
Bifo Berardi sekundierte mit bewundernswerter Routine. Für die Linke habe das alles keinen Sinn, es bestehe kein Anlass für Optimismus, gleichwohl er auch nicht in Pessismismus verfallen wolle, aber man denke nur an TTIP und andere schlimme politische Projekte auf der europäische Agenda, dann erkenne man, wie übel es um eine gute Politik bestellt ist.
Srecko Horvath hingegen, der in gut zwei Stunden zu kaum mehr als vierprozentigem Redeanteil kam, landete anfangs einen hübschen Treffer mit der Beobachtung, er habe es satt, dass man immer den gleichen, gestrigen Modi anhänge als Linke – überschäumender Jubel über Syriza, jetzt die gleiche Begeisterung über den britischen Labour-Chef Jeremy Corbyn.
Für ihn, den Mann aus Kroatien, sei das linke Masturbation – die Begeisterung über die eigene Begeisterung und dass sie absehbar nicht mehrheits- geschweige denn im europäischen Rahmen politikfähig sei.
Varoufakis, weitschweifend, ging nicht weiter drauf ein. Für ihn hat sich bei den Verhandlungen mit Griechenland die Maschine, das Räderwerk schlechthin durchgesetzt – andere wollten ihm bei den Finanzministertreffen auf EU-Ebene kaum zuhören. Und dann auch wieder sein altes Lied, neoliberale Ökonomen hätten doch seinen Vorschlägen zugestimmt, auch IWF-Chefin Christine Lagarde…
Der linke 3D-Drucker
Der Grieche kam, neben den Anekdoten aus frisch vergangenen Zeiten auch mit Vorschlägen. Man müsse ein Netz aufbauen, der Kommunikation, mit Veranstaltungen wie solche in der Volksbühne – das sei jetzt alles mit Internet, mit Livestreaming möglich. Man müsse sehr viel miteinander reden, auf diese moderne Weise, man brauche keine Partei, keine Beitritte zu Organisationen, denn in Europa kündigten sich große Veränderungen an, auf Digitalisierung fußende. Worte wie 3D-Drucker fielen – und Berardi deutete sie im Sinne der Zwiespältigkeit: Die neue Techniken könnten Gutes bewirken, aber wahrscheinlich führten auch sie in die Irre, in die Machtlosigkeit.
Man fragte sich unwillkürlich: Da schlägt ein politischer has been wie Yanis Varoufakis etwas von europäischer Vernetzung vor – aber wo ist die Basis für eine europäische Zusammenarbeit, die über Alles-wird-immer-schlimmer-Mittelschichtsmilieus hinaus geht? Ist das der selige Multitude-Glaube? Oder will er demokratische Verfahren einführen, an denen schon die Piraten mit ihren Dauerplena in punkto Einfluss zerbröselt sind? Es war nicht einmal zu erahnen.
Sprechend blieb das Unausgesprochene: Weshalb waren die eisigsten Kritiker der griechischen Linken von Syriza gar nicht Merkel & Co., sondern die ökonomiebewussten EU-Mitglieder des Ostens? Weshalb ist Warschau mit neoliberalen Werkzeugen ein Hot Spot geworden – und Athen ist immer noch eine oligarchische Trümmerlandschaft? Und wenn das Europa der EU wirklich nichts anders als ein antidemokratisches Konstrukt ist – warum so viele hierher gelangen?
Baden in den Niederlagen
Anders notiert: Warum hat die Erbauungsrhetorik der linken Linken immer noch so eine Resonanz? Ist es die typische Melancholie (Walter Benjamin), wie Horvath anmerkte? Man badet in den eigenen Niederlagen, um zwar nichts für eine gute Welt mitrealisiert zu haben – aber Recht hat man immer, weil die anderen immer so gemein sind.
Varoufakis bekam nach seinem letzten Statement eine Spur weniger zufrieden stimmenden Beifall. Sein „Plan B“ für Europa ist kaum kenntlich geworden: Oder kann es ihn gar nicht geben? Immerhin: Er plädiert nicht für Resignation, er will weiter kämpfen.
Die Volksbühne war also die Tribüne „im Zentrum des Übels“ (wie auf dem Veranstaltungszettel stand). Alles offenbar Weltanschauung. Nebenan, im Karl-Liebknecht-Haus, brannte längst kein Licht mehr.
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