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Die WahrheitDie Maske des Söldners

Ralf Sotscheck
Kolumne
von Ralf Sotscheck

In knapp zwei Wochen ist es wieder so weit: Die Engländer feiern den Guy Fawkes Day mit Fackelzügen, Feuerwerk und viel Alkohol...

..Schließlich sagt man in England in Anbetracht der Politikermischpoke zu recht, dass Fawkes der einzige Mensch sei, der jemals ein Parlament mit ehrlichen Absichten betreten habe. Er wollte das House of Lords in die Luft sprengen. Das ist allerdings fast 406 Jahre her, doch neuerdings hat der gescheiterte Attentäter Hochkonjunktur. Überall, wo gegen das Bankensystem und gegen soziale Ungleichheit demonstriert wird, tragen Menschen Guy-Fawkes-Masken.

Eigentlich hieß er Guido Fawkes. Er kam 1570 in Nordengland auf die Welt. Im Alter von 16 Jahren konvertierte er zum Katholizismus, was ihn im England jener Zeit umgehend zum Bürger zweiter Klasse machte. So verließ er die Insel, wurde Söldner und kämpfte für das katholische Spanien gegen die protestantischen Holländer. Nach seiner Rückkehr lernte er einen Robert Catesby kennen, der mit ein paar Verschwörern König Jakob I. umbringen und durch einen katholischen Monarchen ersetzen wollte. Zu diesem Zweck mietete die Gruppe ein Gewölbe unter dem House of Lords und lagerte dort 36 Fässer Schwarzpulver. Fawkes sollte die Ladung am Tag der Parlamentseröffnung am 5. November 1605 zünden. Doch der Plan wurde verraten. Die Verschwörer wurden geschnappt und zum Tode verurteilt.

Damals war eine Hinrichtung eine langwierige und durchaus einfallsreiche Angelegenheit: Die Verurteilten wurden aufgehängt, gevierteilt und ausgeweidet. Fawkes gelang es, die Prozedur zu verkürzen: Als die Schlinge am Galgen ihn langsam hochziehen sollte, sprang er vom Podest und brach sich das Genick. Er hinterließ einen solch bleibenden Eindruck, dass die Leibgarde der Queen heute noch das Kellergewölbe nach Schwarzpulver durchsucht, bevor die Queen das Parlament eröffnet. Ob die Engländer am Guy Fawkes Day den gescheiterten Attentäter oder die Tatsache feiern, dass er gescheitert ist, lässt sich nicht eindeutig bestimmen.

Ein Söldner und katholisch-fundamentalistischer Attentäter taugt eigentlich nicht so recht als Vorbild für eine Protestbewegung. So hat die Maske ihren Ursprung auch nicht in den Ereignissen des Jahres 1605, sondern in einem Comic aus den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts. In Alan Moores "V wie Vendetta" führt ein anonymer Einzelkämpfer einen Bombenkrieg gegen den totalitären Staat, zu dem England geworden ist. Er trägt dabei eine Guy-Fawkes-Maske. Am Ende gelingt ihm der Umsturz.

Als die Wachowski-Brüder die Comics 2006 verfilmten, wurde die Maske weltberühmt. Zunächst bediente sich die Hackergruppe Anonymous der Maske, als sie gegen Zensurbestrebungen im Internet demonstrierte. Inzwischen werden 100.000 Stück im Jahr verkauft, hergestellt von Rubies Costume Company. Das Unternehmen zahlt für jede Maske eine Lizenzgebühr an die Rechteinhaber des Films: an Time Warner, den Widersacher von Anonymous im Kampf um Internetpiraterie.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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