Die Wahrheit: Der homosexuelle Mann …
… vergibt gern Preise. Jetzt will das „Schwule Netzwerk“ ausgerechnet den nicht gerade schwulenfreundlichen „Spiegel“ auszeichnen.
würdigt gern Menschen, Gruppen oder Institutionen, die freundlich sind zu ihm und ihn solidarisch begleiten in eine bessere Welt. Da gibt es den „Bund Lesbischer und Schwuler JournalistInnen“, der jedes Jahr ein besonders gelungenes Medienerzeugnis auszeichnet. Der Berliner CSD vergibt den „Zivilcouragepreis“, der 2010 auch schon von Judith Butler abgelehnt wurde. Zur Berlinale gibt es seit 1987 alljährlich den Teddy Award, und in Schweden wird gar alle Jahre wieder der Årets Homo, der „Homo des Jahres“, gekürt.
Trotz allem guten Willen bei diesen Ehrungen geht immer wieder mal was daneben. So zeichnete der konservative „Völklinger Kreis“ wiederholt Firmen aus, denen sich nichts Gutes nachsagen lässt, außer dass sie nett sind zu Lesben und Schwulen. Und in Berlin wollte im vergangenen Jahr das „Bündnis gegen Homophobie“ sogar Erzbischof Woelki mit einem „Respektpreis“ ehren. So viel Homo-Nähe war selbst dem Kirchenmann zu viel, er lehnte ab.
In diesem Jahr gerät wieder eine geplante Auszeichnung in die Kritik, das „Schwule Netzwerk“ in Nordrhein-Westfalen will im Sommer seine „Kompassnadel“ an den Spiegel verleihen, sowohl an die Print- als auch an die Online-Ausgabe. Gelobt wird die „menschenbejahende Berichterstattung zu Homosexualität“ des Spiegels: „Seit vielen Jahrzehnten prägt er den gesellschaftlichen und politischen Diskurs zum Umgang mit homosexuellen Menschen maßgeblich mit.“
Bei so viel Geschichtsvergessenheit sträuben sich bei all denen die Nackenhaare, die sich noch an die besonderen „Verdienste“ des Magazins über die letzten zwei Wochen hinaus erinnern. Vor allem in den achtziger Jahren, mit dem Aufkommen von Aids, war der Spiegel ein Garant für besondere Schwulenhetze und -denunziation. Erinnert sei nur an einen Artikel über den „Aids-Patienten Nummer Null“ vom November 1987, der überschrieben ist mit einem Bibelzitat zur Apokalypse: „Und ich sah ein fahles Pferd / und der darauf saß, / des Name hieß Tod, / und die Hölle folgte ihm nach.“
Diese und andere Spiegel-Entgleisungen haben neben vielen anderen Kritikern auch die Deutsche Aids-Hilfe auf den Plan gerufen, um die „Netzwerk“-Entscheidung zu zerpflücken: „Die DAH … erinnert an die unsägliche Berichterstattung des Spiegel zu Zeiten des Höhepunktes der Aids-Krise, womit der Grundstein für die Stigmatisierung der Menschen mit HIV gelegt wurde. Betroffene haben bis heute unter den Folgen dieser Skandalisierung zu leiden.“ Dafür hätten sich die Verantwortlichen nicht entschuldigt, die Intention des Preises werde mit seiner Vergabe an den Spiegel ad absurdum geführt.
Für das „Schwule Netzwerk“ wird es eng, aber es will und kann nicht mehr von der Preisverleihung abrücken. Statt einzugestehen, dass der Spiegel vor allem ausgewählt wurde, um mehr Publizität für den Verein zu bekommen, wehrt man sich mit hohlen Phrasen. „In der differenzierten LSBT-Berichterstattung des Spiegel in den letzten 20 Jahren“ sehe man „auch einen Versuch der Wiedergutmachung“.
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