Der zeozwei Wochenüberblick #5: Das Versagen der Klimaschützer

Die Fünf-Minuten-Lektüre für Ökos und solche, die das eigentlich nie werden wollten.

Die Entwicklung der Fahrzeugflotte ist aus der Perspektive eines Drei-Literfahrers deprimierend. Bild: dpa

Heute: Ein Kommentar von Martin Unfried

Die Klimakonferenz von Paris kommt näher und damit die Enttäuschung. Da heißt es, ehrlich Bilanz ziehen, um reflektiert und besonnen der anstehenden Depression entgegentreten zu können. Keine Angst, ich will nicht aufzählen, wie trostlos die internationale Gemeinschaft die Fünf-Grad-Temperaturbereinigung anpeilt.

„Wie lebendig ist die Klimakultur wirklich im Energiewende-Deutschland?“

Auch nicht, wie wählergerecht nationale Regierungen jegliche Art von Dringlichkeit verdrängen. Hier geht es um eine Bilanz der ganz persönlichen Art.

Inwieweit haben Sie und ich und andere Freunde der ökologischen Autoliste die Mainstreamgesellschaft für das klimafreundliche Leben begeistern können?

Als Politologe weiß ich, dass zum Klimaschutz immer zwei gehören. Eine Politik, die sich traut, und eine Gesellschaft, die Mut und Weitsicht belohnt. Deshalb heute mal keine Gedanken zum Elektrorad, sondern zum Elektorat. Auch kein Politik-Bashing. Es geht um Sie und mich.

Unfried, Jahrgang 1966, ist Politologe und arbeitet seit 16 Jahren am European Institut of Public Administration in Maastricht. Mehr Unfried und mehr Öko auf: oekotainment.eu

 

Dieser Text ist eine leicht gekürzte Version von Martin Unfrieds Kolumne in fairkehr 5/2015, dem VCD-Magazin.

Wie lebendig ist die Klimakultur wirklich im Energiewende-Deutschland, wo noch vor Kurzem die Photovoltaikmodule blühten? Zunächst ungeschminkt zu unserer größten Niederlage: Obwohl dem Klimaschutz in Umfragen theoretisch die Herzen gehören, wird eine Partei vom Mainstream eher nicht gewählt, wenn sie so richtig Klimaschutz macht oder dies auch nur ankündigt.

Wir, die Klimaschutzliebhaber, haben also Freunde, Verwandte, Nachbarn, Bekannte und die Jungs vom Sportverein nicht wirklich rumgekriegt. Echter Klimaschutz? Das wäre eine klitzekleine ökologische Steuerreform beispielsweise mit Sprit-, Öl- und Gasverteuerung, eben die existenzielle Internalisierung der externen Kosten, weil es eh Sinn macht und der Emissionshandel versagt.

Damit gewinnt man nicht die Herzen des Medien-Boulevards. Die von FAZ und Handelsblatt auch nicht. Setzt man als Partei noch eine Selbstverständlichkeit drauf, nämlich echtes Klimaschutz-Ordnungsrecht, dann ist der Absturz an der Wahlurne sicher: Wer wählt eine Partei, die das Verbot von Kohlekraftwerken fordert, wenn dann die Energiekonzerne toben, die Strompreise für die Industrie steigen und diese mit Abwanderung droht?

Und wer belohnt ein Abgraben der Braunkohlearbeitsplätze, wenn in NRW die SPD und die Gewerkschaften heulen? Wer wählt eine Partei, die ein eiskaltes Verbot von fossilen Heizungen und Isolationshaft für Altbauten fordert, wenn womöglich die Mieten steigen? Und wer wählt eine Partei, die unser Menschenrecht auf billiges Fliegen bedroht und dem Auto eine Spur zu viel abnimmt?

„Jedenfalls reicht es nicht für eine Klimaschutz-Mehrheit im Bundestag. Ergo bedeutet das Klimaschutz mit Handbremse.“

Jedenfalls reicht es nicht für eine Klimaschutz-Mehrheit im Bundestag. Ergo bedeutet das Klimaschutz mit Handbremse: Erneuerbare plus mehr Braunkohle, ein paar neue Fahrradwege plus staatliche Spritschlucker-Subventionen, Energielabel plus fehlende Sanierungsvorschriften, hüh mit ganz viel hott.

Ganz ehrlich: Das entspricht dem Gemütszustand der Mehrheitsgesellschaft und ist wahrscheinlich recht demokratisch. Heißt aber leider: Wir haben versagt. Insbesondere ich, weil ich an die Kraft der Überzeugung glaube.

Jetzt zu den großen Erfolgen unserer Bemühungen um Klimakultur: die Auto-Umweltliste vom VCD. Damit habe ich vor Jahren meine Mutter überzeugt, ein Spritsparauto zu kaufen. Das durfte ich diesen Sommer ausleihen. Ich fuhr nach Kroatien runter und rauf mit einem Schnitt von 3,1 Litern, vier Leuten und Gepäck. Das ist Vorsprung durch Technik mit einem Oldtimer. Der Wagen wurde vor mehr als zehn Jahren gebaut. Vor mehr als 15 Jahren entwickelt.

Jetzt lese ich in der Liste, dass es nach all den Jahren zum ersten Mal wieder einen Neuwagen gibt, der auf dem Papier 3,0 Liter verbraucht. Womit sich die Auto-Umweltliste als unsere zweite Niederlage in Sachen Klimaschutz herausstellt. Die wirkliche Entwicklung der Fahrzeugflotte ist aus der Perspektive eines Drei-Liter-Autofahrers deprimierend.

Autos haben Bluetooth, können selbstständig einparken und haben den Verbrauch im Testzyklus optimiert. Aber würde man sie an der Entwicklung im Computerbereich der letzten 30 Jahre messen, dann wären sie leider auf niedrigem Niveau stehengeblieben – irgendwo zwischen elektrischer Schreibmaschine und Atari.

MARTIN UNFRIED

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zeozwei in Paris: Im Pariser Goethe-Institut stellte zeozwei-Chefredakteur Peter Unfried vor wenigen Tagen das Konzept des taz-Magazins und die soeben erschienene Ausgabe zur UN-Klimakonferenz „Uns bleibt immer Paris“ vor. Das Thema der deutsch-französischen Diskussion war „Media and transition“, die Rolle der Medien bei der Entwicklung der individuellen und gesellschaftlichen Entwicklung von Klimakultur, also der Praxis eines sozialökologischen Wirtschaftens und Lebens. Das Goethe-Institut ist europäischer Partner der Berliner Stiftung Futurzwei, die international „Future Perfect“ heißt, was nicht nur die grammatische Zeitform der abgeschlossenen Zukunft ist, sondern pointierterweise auch „perfekte Zukunft“ heisst. Denn es geht ja um „Geschichten des Gelingens“, also Geschichten von Menschen, Projekten, Firmen, die an einer sozialökologischen Zukunft arbeiten. Auf der Plattform www.futureperfectproject.org finden sich die Geschichten auf Englisch und Deutsch, auf den Länderportalen des Goethe-Instituts jeweils in den Originalsprachen.

Klimakonferenz in Paris: Der wöchentliche Überblick, welche Länder welche Klimaschutzversprechen für Paris eingereicht haben. Jetzt mit Bolivien und Afghanistan.

 

Die Demonstration gegen die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta in Berlin war ein spektakulärer Erfolg. 150.000 bis 250.000 Bürger waren zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule auf der Straße. „Sogar die Anti-Atom-Bewegung, die am Ende die Politik in die Knie gezwungen hat, konnte nie so viele Menschen an einem Ort mobilisieren“, schreibt taz-Redakteur Malte Kreutzfeldt in seinem Kommentar.

Die nächste Eiszeit fällt aus. Das sagte der Potsdamer Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber beim Münchner Klimaherbst. Grund: Klimawandel. Eine gute Nachricht? Im Gegenteil. Die Eiszeit steht frühestens in 60.000 Jahren an. Falls die Gesellschaften so weitermachten wie derzeit werde sich die Erde im 21. Jahrhundert um vier bis fünf Grad erwärmen. Folgen: Katastrophal.

„Allgemein wird es als negative Entwicklung betrachtet, sich mit dem Älterwerden zu verändern. Aber die Welt ist schon dumm genug, so wie sie ist. Wenn die Jungen sie regieren würden, dann würde es richtig bescheuert.“John Lennon, der in diesem Oktober 75 geworden wäre – kurz vor seiner Ermordung. Da war er 40.

» 121 « | In Baden-Württemberg ist der Durchbruch beim Ausbau der Windenergie geschafft. Behauptet zumindest Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Die Grünen) im Gespräch mit der taz.am Wochenende an diesem Samstag. Aktuell meldet Umweltminister Franz Untersteller 121 Windkraftanlagen im Bau. 2014 waren gerade mal netto vier neue Windanlagen dazugekommen. Kretschmanns Erklärung: Die Vorgängerregierung CDU mit ihrer radikalen Windphobie sei schuld. Nun aber sei „der Knoten geplatzt“.

Dirk C. Fleck: Die Maeva-Trilogie. Nach „Das Tahiti-Projekt“ und „MAEVA!“ kommt nun der dritte Roman dieser Öko-Trilogie: „Feuer am Fuss“ (p.machinery Verlag), der im Jahr 2035 spielt. Fleck, einst Reporter bei Tempo, erzählt von Südseeinseln auf denen im Angesicht des fortschreitenden Klimawandels radikale sozialökologische Gesellschaftsentwürfe gelebt werden. Über „MAEVA!“ schrieb ich in der taz: „Gut, die polynesische Utopie kommt ein bisschen utopisch daher und die Rettung der Welt durch das weibliche Prinzip („Politik des Herzens) duftet nach dem spirituellen Frauenkreis Tübingen. Dennoch ist „MAEVA! kein folkloristisches Klimarührstück, sondern ein Steinbruch der Inspiration.“ Man nimmt wirklich sehr viel mit.

Bis 17. Oktober, Brüssel, Camp No TTIP : meetings, actions, blockade.

Bis 29. Oktober, München, 9. Münchner Klimaherbst: Politik. Macht. Klima. - und wir?

23. Oktober, Bochum, „Religionsfrei im Revier“. Konfessionsfreien-Treffen, 19 Uhr, Kulturzentrum Langendreer.

 

That wraps it up for today. Until next week: Keep your feet on the ground and keep reaching for the stars.