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Debatte US-WahlenEine katastrophale Bilanz

Kommentar von Chris Townsend

Die Gewerkschaften sind in Schockstarre, die Ungerechtigkeit schreit zum Himmel. Schuld ist Obama. Wählen muss man ihn trotzdem.

Barack Obama uns seine WählerInnen. Ob sie es bleiben? Bild: dpa

B arack Obamas Wahlsieg 2008 hatte viele aufregende Elemente, und er kam keinen Moment zu früh. Die US-Wirtschaft war auf dem Absturz in eine totale Rezession, wenn nicht Depression. Viele Millionen Beschäftigte – insbesondere Gewerkschaftsaktivisten, Afroamerikaner und Studenten – unterstützten Obama enthusiastisch.

Als ich 2008 zur Wahl ging – und ich wählte Obama – war eine riesige Menschenmenge vor meinem Wahllokal in Virginia. Schon vor fünf Uhr morgens kamen die Menschen zusammen. Es war wie eine Feier. Nie zuvor hatte ich mehr als ein paar Dutzend Leute vor dem Wahllokal Schlange stehen sehen. Ungläubig gingen meine Frau und ich herum.

War das das Ende des kriminellen Regimes von Bush und Cheney? Wir kamen an die Spitze der Schlange, wo wir auf eine Gruppe von Wählern trafen, die die ganze Nacht dort verbracht hatten, um die ersten zu sein, die ihre Stimme für Obama abgaben. Nach der Stimmabgabe gingen die Leute nur dann weg, wenn sie unbedingt zur Arbeit mussten – Chefs in den USA sanktionieren Verspätungen harsch, auch am Wahltag.

Wandel leichtfertig verspielt

Chris Townsend

50, vertritt seit zwei Jahrzehnten die United Electrical Workers Union (UE) in Washington. Die Gewerkschaft haz 35.000 Mitglieder und ist in 20 Bundesstaaten vertreten.

In diesem Jahr wird es weder Menschenmengen noch Jubelfeiern geben, da bin ich mir sicher. Was ein in jeder Hinsicht historischer Moment war und ein authentisches Mandat für progressiven Wandel, ist von der Obama-Regierung leichtfertig verspielt worden. Obamas Unterstützer und freiwillige Wahlhelfer von 2008 sind fast ausnahmslos demoralisiert, schlimmstenfalls in Schockstarre.

Unter Aktivisten und Mitgliedern der Gewerkschaft – bei denen ich seit den 1970er Jahren aktiv bin – herrscht Verzweiflung über Obamas Scheitern und Nichthandeln. Gewerkschaftsveteranen haben die Erfahrung enttäuschter Hoffnungen schon öfter machen müssen, aber diesmal war es schlimmer. Für viele erschien Obama als Messias. Das ist er nicht, das wissen nun alle. Diese Stimmung bei den Gewerkschaften ist potenziell desaströs für Obama und die Demokraten, denn selbst in unserer geschwächten Lage stellen die Gewerkschaften doch noch immer einen Großteil der Wahlhelfer, der Wähler und der Spender.

Die politische Krise in Obamas Wiederwahlkampagne hängt direkt mit seiner gescheiterten politischen Agenda und Regierungsstrategie der letzten drei Jahre zusammen. Während er einen neuen Rekord im Redenhalten und bei Weltreisen aufstellte, hat er eine Wirtschaftspolitik verfolgt, die Unternehmensprofite und Vermögensanhäufung auf neue Höchststände trieb – auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung. Er hat sich geweigert, die schamlosen Unternehmens-, Banken-, Kredit- und Finanzverbrechen strafrechtlich zu verfolgen, die direkt in die Wirtschaftskrise geführt haben.

Schlimmer noch, er hat viele Posten in seiner eigenen Regierung an Leute aus völlig diskreditierten Unternehmen vergeben. Und er hat ohne jede Erklärung alle Anstrengungen fahren lassen, die Fähigkeit der Gewerkschaften zu Mitgliederrekrutierung und Wiederaufbau nach Jahren harter Angriffe vonseiten der Unternehmer wiederherzustellen.

Keine Jobs, keine Gerechtigkeit

Die Arbeitsbeschaffungsprogramme der Regierung sind nach 2009 abgelaufen und ließen Millionen Arbeitsloser im Nichts zurück. Obamas vielbeschworene Programme zum Wiederaufbau unserer angeschlagenen Industrieproduktion waren wenig mehr als die Zustimmung für die Lohnkürzungsvorhaben der Unternehmer. Obama hat nichts unternommen, unser unfaires und korruptes Steuersystem zu reparieren. Noch immer tragen Beschäftigte und Rentner die größte Bürde. Sein bewusster Angriff auf das öffentliche Schulsystem fördert massive Privatisierung und die Entlassung von erfahrenen Lehrkräften.

Obamas Gesundheits„reform“ – „Obamacare“ – lässt die astronomisch hohen Kosten der Gesundheitsversorgung unangetastet, private Versicherungsmonopole behalten das US-Gesundheitssystem fest im Griff. Obama hat mehrmals – zuletzt in der ersten TV-Debatte mit Konkurrent Mitt Romney – deutlich gemacht, dass er den zerstörerischen Angriffen auf das Rentensystem („Social Security“) und die Gesundheitsversorgung für Alte („Medicare“) nichts entgegensetzen wird.

In der Außenpolitik hat Obama unsere beispiellosen und lähmend hohen Militärausgaben beibehalten, er ist mit dem vollständigen Rückzug aus dem Irak gescheitert, hat das Engagement im afghanischen Morast sogar gesteigert. Er verteilt Waffen und Militärberater überall auf der Welt. Seine Bilanz im Bereich bürgerlicher Freiheiten, Folter und Kriegsverbrechen ist schrecklich.

Wir als Gewerkschaften können mit dieser Bilanz im Rücken den Wählern nur versuchen klarzumachen, dass es unter Romney noch viel schlimmer wäre. Schwächung ist besser als vollkommene Zerstörung.

Romney hat seine Absicht kundgetan, die Gewerkschaften komplett abzuschaffen, und kaum verschleiert ist seine Absicht, Gehälter zu reduzieren und Beschäftigte in einem Umfang der Verarmung anheimzugeben, wie wir das seit der Great Depression nicht mehr gesehen haben.

Einer von allen Seiten bedrohten Gewerkschaftsbewegung gibt eine Wiederwahl Obamas zumindest ein bisschen Zeit und Spielraum, sich neu zu formieren und zu entscheiden, wie wir aus der Belagerung herauskommen. Das ist nicht sehr inspirierend. Aber so ist die Lage.

Obamas Vorteil? Romney

Obamas Entscheidung, die Beschäftigten und die Gewerkschaften aufzugeben, hat ihn einen Schlüsselvorteil im Wahlkampf gekostet – hochmotivierte Freiwillige, vor allem Gewerkschaftsaktivsten. Alle anderen Vorteile liegen bei Romney: Er hat mehr Geld, er hat die Medienmaschine der Unternehmer, und er hat die republikanische Parteiorganisation, die am Wahltag versuchen wird, Millionen von Obama-Wählern am Wählen zu hindern. Der einzige Vorteil, den wir beim Versuch haben, Obama wiederzuwählen, ist Romney selbst.

Romney und Ryan müssen aufgehalten werden. Dann wird die organisierte Arbeiterschaft hoffentlich eine Lösung finden, wie wir aus dieser politischen Falle wieder herauskommen – bevor wir endgültig kaputt sind.

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21 Kommentare

 / 
  • DR
    Dr. rer. Nat. Harald Wenk

    Sicher, die Logik der Erpressung mit dem kleineren Übel. Die fruchtet seit der traumatisierenden Bush-Gore Wahl 2000 doch recht viel. Vergessen wir jedoch nicht, dass die Mehrheit im Repräsentantenhaus schnell verlorenging. Ansonsten sind die Affinitäten zu Schröder schon da (@vic). Da die Brutalität des US Systems enorm ist, ist auch die Verteidigung der Bruatlität des US-Systems tief gestaffelt.

     

    Ee gibt sogar linkere Bewerber - siehe oben.

  • M
    Mike
  • TW
    true west

    Obama war von Anfang an "Die Wiederkehr der Mutter Teresa" - eine Puppe in der Hand von Rahm Emanuel und Larry Summers. Aber er brach das Rassen-Tabu in USA und damit machte er Geschichte. Von innen wird sich die USA nicht aendern in userer Zeit. Deshalb ist es jetzt wichtig das alle Nationen welche "unabhaengig" gegen USA&NATO stehen, weltweit die Herrschaft der USA "begrenzen"...(Lese zwischen den Zeilen!)

  • C
    Clementowitsch

    Mich nervt es gewaltig, dieses "lieber das kleinere Übel". Das kleinere Übel ist immer noch übel! Wer so denkt, wie der Autor muss halt Jill Stein von den Greens wählen. Sonst belibt es für immer nur beim Alten...

  • H
    Holger.Waldenberger

    Mir leuchtet es nicht ein, warum man einen notorischen Lügner mit einer verheerenden Bilanz wählen soll, weil die Alternative angeblich (unbelegt) schlimmer ist. Ich persönlich mag beide Kandidaten überhaupt nicht, aber Obama ist der extremere Scharlatan.

  • AL
    Andre Lange

    Es ist besser wenn Obama verliert damit der/die naechste

    "progressive" President/in Bescheid weisst was es heisst

    progressive Kraefte zu verprellen ...

    ... genauso wie es besser ist, wenn die FDP im Wahljahr

    2013 nicht in den Bundestag kommt, damit die wissen, dass

    man im Bundestag nicht in 1.Linie fuer Knete sitzt sondern

    fuer den Waehler (kann ja nicht sein dass 2009 14% der FDP-Waehler alles nur Hoteliers waren!-)

     

    Ja Leute, Romney ist schlimm, aber ein Verraeter ist

    noch schlimmer ... nennen wir es doch mal beim Wort!

  • PA
    Peter A. Weber

    Marionette Obama

     

    Wenn Markus meint, der Artikel von Mr. Townsend enthalte "eine unbelegte Behauptung nach der nächsten", dann muß ich mich fragen, woher denn Markus seine Informationen bezieht und wie blind er gegenüber der Realität ist. Die im Beitrag vorgebrachte Bestandsaufnahme zur Politik Obamas kann man anhand von Statistiken, persönlicher Erfahrungen und unzähliger unabhängiger Berichte in sämtlichen Medien nachweisen. Selbst jeder halbwegs helle Schüler besitzt eine Vorstellung über die desaströsen US-amerikanischen Verhältnisse.

     

    Tatsache ist, daß bisher jeder amerikanische Präsident - ein wenig mehr oder weniger - nichts anderes als eine Marionette des militärisch-industriellen Komplexes der USA war und ist. Wer noch nicht völlig vernebelt ist, müßte dies auch trotz der abstrusen Personalityshow und des gigantischen Propagandaaufwandes anläßlich der Wahlen erkennen können.

  • M
    Markus

    Eine unbelegte Behauptung nach der nächsten in diesem Beitrag (mit Obama geht so, mit Romney - ausnahmslos - alles doof, wahrscheinlich auch das Wetter). Das ganze gipfelt dann noch in der Aussage, Romney würde "Millionen Obama-Wähler" am wählen hindern?! Dieser Artikel mit einer derartigen "schwarz-weiß-denke" würde es ansonsten nicht einmal in eine Schülerzeitschrift schaffen.

  • MM
    Markus Müller

    Warum hat Obama sich so verhalten?

    Der Widerstand und die Blockadehaltung der Republikaner sind,wie Sie auch in Ihrer Auflistung des Versagens von Obama gezeigt haben,nicht immer dafür verantwortlich,dass Obama nicht das tat,was er versprochen hatte.Ist der Druck der Banken und Konzerne zu übermächtig,oder woran liegt Obamas Versagen Ihrer Meinung nach?

  • T
    tommy

    Interessanter, wenn auch deprimierender Artikel. Danke.

  • A
    Ardeche

    I live in Wisconsin and under Governor Walker, the unions were destroyed in out state. We had demonstrations in Madison of over 100,000 people at a time. We fought hard against the demise of unions and organized recall efforts (to unseat Walker).

     

    Mr. Townsend, I share your frustration. At no point in our long fight for workers' rights was President Obama on our side. He did hardly comment on the sad state of affairs in Wisconsin and he refused to come to the state to support Union workers! Even though, we were the ones that supported him and elected him.

     

    And, yes, you are right about our choice this time around. We vote for Obama not because we believe in him. We vote for him because Romney/Ryan would be disastrous for the future of this country.

  • D
    dasdutchen

    Fehlt nur noch, dass Romney und Obama über zwei Ecken bekannt sind...

  • L1
    Lobo 100

    Hmmm, sehr interessanter Kommentar. Ist es Absicht oder Unwissen nicht auch nur ein einziges mal auf die Blockade eigentlich aller groesseren Vorhaben Obamas schon ab dem ersten Tag nach seiner Wahl (Fillibuster) durch die Republikaner einzugehen?

     

    Gruss

     

    Lobo

  • U
    utrecht

    Schuld ist Obama? Ich könnte schwören, dass die Reps schuld sind, mit denen er die Kompromisse machen muss. Und - vor allem - deren Wählerschaft, und wahrscheinlich dazu noch 50% der demokratischen Wähler, die allesamt geradezu wahnhaft der primitiven Markt-regelt-alles-Religion verfallen sind, und nix anderes wählen würden. Wo dann eine verpflichtende Krankenversicherung schon "Socialism" ist und die Leute lieber den Reichen wieder Steuern senken wollen, obwohl sie selbst arm sind. Was kann denn der Obama dafür, der ist doch unter diesen Umständen, mit diesen Wählern/Bürgern, mit das "linkeste", was in diesen USA gerade noch so geht. Was sind das für komische Erwartungen an den? Überzeugt doch lieber mal eure Kollegen von der Teaparty oder eure bigott-religiösen Calvinisten.

  • T
    T.V.

    Tolles Bild

     

    "Hey guys! I'm this awesome rockstar called Obama. Sorry for forgetting the guitars n stuff, i'll just make music with my voice, ok? And as my black brothers would say: Put your hands up in the air and wave em around like you just don't care!"

  • C
    Corvin

    Romney wird trotzdem gewinnen, da viele Obama Wähler von einst zu Nichtwählern werden. So einfach ist die Rechnung.

  • M
    Mareike

    der Autor hatte eine unrealistisch hohe Erwartung an die Möglichkeiten Obamas. So konnte er nur enttäuscht werden. Auch Obama ist kein Zauberer und muss sich mit den Gegebenheiten auseinandersetzen. So gesehen hat er es allemal besser gemacht, als jeder erzkonservative Präsidentschaftgegner es getan haben würde. Auch diesmal darf man keine Wunder erwarten. Bitte erspart uns diesen Romney!!

  • O
    Odinus

    Stellt sich nur die Frage nach dem kleineren Übel.

    In einem Staat, in dem fast alles aus dem Ruder gelaufen ist was aus dem Ruder kaufen kann?

    Ständig auf den Rest der Welt zeigen und selbst meterhoch im Morast stecken. In diesem Staat kann keiner mehr regieren; es sei denn er gehört zu den Republikaner.

    Die können die Menschen am besten an dem Ring in der Nase durch den "Zirkus Amerika" ziehen.

    Viel Spaß dabei in den USA.

  • FT
    farmer tom

    Ich lehne die klassenkämpferische Diktion ab, das ist was für das Europa der 20-er des letzten Jahrhunderts oder die aktuelle Zeit der Ukraine o.ä... anyway. Natürlich gibt es nach und auch vor Obama Ungerechtigkeiten in der Verteilung von Vermögen und Ertrag. Dies auf Gewerkschaft vs. Unternehmern zu reduzieren halte ich für fatal und ist schlicht falsch. Wenn, wie heute von einem Kopf an Kopf Rennen der Kandidaten gesprochen wird, sind dann die ca. 47 % Romney Wähler alles diese ungerechten Unternehmer? Wer wählt Romney.... eine Analyse dieser Frage wäre aufschlussreicher über das was Obama falsch gemacht hat.

  • V
    viccy

    Obama hat also den Schröder gemacht?!

  • B
    Biks

    Mich würde sehr interessieren, auf welche Weise die republikanische Parteiorganisation versucht, Obama-Wähler am Wählen zu hindern. Steht das vielleicht irgendwie im Zusammenhang mit dem Verbieten der OSZE-Wahlbeobachter in Texas, über das die taz kürzlich berichtet hat?