Das Terrortrio NSU und Blood-and-Honour: Blut-und-Ehre-Mörder aus Jena
Der NSU hatte nicht nur Kontakt zur Blood-&-Honour-Bewegung, sondern war womöglich Teil des militanten Netzes. 1998 rechneten Fahnder sie zum „harten Kern“.
BERLIN taz | Es ist nur ein kurzer Satz in dem internen Schreiben des Thüringer Landeskriminalamts, doch er wirft ein neues Licht auf die erfolglose Suche nach den Neonazis des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Im September 1998, ein Dreivierteljahr nach dem Abtauchen des Trios, schrieb das für die Zielfahndung zuständige Dezernat 12 des LKA: die drei gehörten „zum harten Kern der Blood-&-Honour-Bewegung“ in Jena.
Das hätte auch die Bundesbehörden aufhorchen lassen müssen, die in die Suche eingebunden waren. Denn in dem militanten, internationalen Neonazinetzwerk wurde genau zu dieser Zeit der Untergrundkampf propagiert. „Die Patrioten von heute müssen sich auf den größten aller Kriege, den Rassenkrieg, vorbereiten“, hieß es schon 1996 in einem Heft der „Blood & Honour Division Deutschland“. Fast zeitgleich zum ersten NSU-Mord im September 2000 wurde der deutsche Ableger von „Blood & Honour“ verboten.
An diesem Dienstag wird in Erfurt der ehemalige Bundesrichter Gerhard Schäfer die Ergebnisse seiner vom Thüringer Innenminister einberufenen Expertenkommission vorstellen. Er wird sich mit der verpatzten Festnahme des Neonazi-Trios 1998, dessen Untertauchen und den Fehlern bei der Suche nach Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe befassen. Schäfers Bericht wird mit Spannung erwartet, ist er doch der erste Bericht von inzwischen sechs Gremien zum NSU; seine Deutung wird die weitere Aufklärung stark beeinflussen.
Schon jetzt ist das Versagen der Behörden an vielen Stellen deutlich geworden. Dazu gehört auch die unterschätzte Bedeutung des Blood-&-Honour-Netzes. Unter den zwölf Männern und Frauen, die heute als NSU-Helfer beschuldigt werden, sind zwei frühere Blood-&-Honour-Männer aus Sachsen. Einen von ihnen, den heute 44-jährigen Thomas S., kannten die drei seit mindestens 1996, mit ihm marschierten sie damals in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald auf. Als Thomas S. im Gefängnis saß, unterstützten sie ihn, eine Zeit lang soll er mit Zschäpe eine Beziehung gehabt haben.
Nach dem Abtauchen abgefangen
Kein Wunder also, dass das Blood-&-Honour-Netz die drei auch nach dem Abtauchen aufgefangen haben soll. Laut Zeugen organisierten Thomas S. und dessen Chemnitzer Skinheadkameraden die erste Wohnung im Untergrund für das NSU-Trio.
Die Fahnder des Thüringer LKA kamen nicht dahinter, dass die Untergetauchten sich nur 100 Kilometer östlich von Jena versteckten. Dabei hatte die Polizei in einer Garage der Neonazis neben Rohrbomben und einem Text namens „Alidrecksau wir hassen dich“ auch eine Liste mit Adressen und Telefonnummern sichergestellt.
Mehrere Blood-&-Honour-Leute waren unter den drei Dutzend Einträgen, darunter auch Thomas S. aus Chemnitz. Wären die Fahnder der Spur konsequent gefolgt, hätten sie die drei womöglich noch vor dem ersten Mord gefasst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis