Cotton made in Africa: Detox für Baumwolle

Um den Rohstoff für Jeans, Shirts oder Unterwäsche zu produzieren, wird so viel Chemie verspritzt wie sonst selten. In Afrika denken Bauern nun radikal um.

„Der Neembaum ersetzt den Agrarkonzern“ – Projekt von Cotton made in Africa in Benin Bild: Paul Hahn

von Carolin Wahnbaeck

Loft Mpili hat keine Kopfschmerzen mehr. Der 22-jährige Bauer aus Sambia sprüht jetzt biologische statt chemische Pestizide auf seine Baumwollfelder. Seither geht es ihm besser – und dem Baumwollkapselbohrer schlechter.

Dieser Schmetterling mit seinen gefräßigen Raupen macht sich gerne über den Großteil der Ernte der Baumwollfarmer her, nicht nur in Sambia, sondern weltweit. Farmer versuchen, ihn allein mit Chemie zu vertreiben. Loft Mpili nicht.

Für ihn ersetzt der Neembaum den Händler von Agrarchemie. Dieser Baum wächst in Ostafrika überall und liefert das natürliche Mittel gegen die Insekten. Mpili sammelt die Blätter, zerstößt sie zu Pulver, gießt sie mit Wasser auf und lässt alles 24 Stunden lang ziehen. Auch aus reifen Stechäpfeln oder dem Wandelröschen stellt er Schädlingsvernichter selbst her.

Schädlingsbekämpfung mit Neem

Es hört sich fast zu simpel an. Doch es funktioniert, wenn die Bauern Pflanzen und Feld anders in der Blick nehmen, die Samen mit Pflanzendünger päppeln, Insektenfallen aufstellen, genau beobachten, ob und wie sich Schädlinge breitmachen. Denn Mpili erntet nicht weniger Baumwolle als früher. Er spart zudem das Geld für die Chemie.

Große Dosis: Es gibt heute kaum eine Pflanze, die mit mehr Pestiziden behandelt wird als die Baumwolle: Der Anteil am weltweiten Verbrauch liegt bei 16 Prozent, obwohl die Faser nur auf 2,4 Prozent der Agrarfläche angebaut wird.

Industrielle Strategie: Schädlinge können die gesamte Baumwollernte vernichten. Dagegen hat die Industrie sehr potente Pestizide erfunden, die zusammen mit genmanipulierten Baumwollpflanzen hohe Erträge liefern sollen. 65 Prozent der angebauten Baumwollpflanzen sind inzwischen genetisch verändert. Nur: Die Weiße Fliege, der Baumwollkapselkäfer oder der Rote Baumwollkapselwurm werden in Brasilien, China, Indien oder in den USA zunehmend resistent gegen die chemische Behandlung.

Folge: Die Baumwollerträge stagnieren weltweit trotzdem. Die Bauern reagieren mit noch mehr oder anderen Pestiziden. Auf dem afrikanischen Markt verkaufen alle großen Chemiefirmen wie Syngenta, Bayer, BASF, DuPont. Aber auch weniger bekannte Firmen wie Adana, Arysta oder Wynca Chemicals machen dort Geschäfte. Der Umsatz liegt allein in Afrika bei 2,1 Milliarden US-Dollar im Jahr und soll sich bis 2030 auf 7,5 Milliarden Dollar mehr als verdreifachen. (cw)

Unterstützt wird Mpili vom Hamburger Unternehmer Michael Otto. Dessen Vater hat einst den Otto-Versand gegründet und damit den größten Textilhändler Deutschlands. Michael Otto war dann viele Jahre Vorstandsvorsitzender der Otto Group, heute ist er der Aufsichtsratsvorsitzende. Schon vor Jahren rief er nach dem Prinzip Hilfe durch Handel die Aid by Trade Foundation ins Leben, die im Jahr 2005 die Initiative Cotton made in Africa gründete und seither mehr als eine Million Bauern in Subsahara-Afrika in nachhaltigem Baumwollanbau geschult hat.

Mpili ist einer von etwa 43.500 Bauern in Sambia und Tansania, die über drei Jahre von der Cotton-Initiative gelernt haben, mit Bio-Pestiziden zu arbeiten. Alexandra Perschau, früher Textilexpertin bei Greenpeace, heute Mitarbeiterin von Cotton made in Africa, sagt: »Jahrzehntelang wurde den Bauern gepredigt: Die Pestizide gehören zum Geschäft. – Wir haben in nur drei Jahren geschafft, sie von den biologischen Mitteln zu überzeugen. Und die große Mehrheit hat sofort mitgemacht.« Es ist ein radikales Umdenken.

Gift spritzen im 2-Wochen-Takt

Bislang verkauften die globalen Agrarkonzerne den Bauern Saatgut und Pestizide – und die passenden Anbaumethoden gleich mit. So sprühen die meisten das Gift heute nicht abhängig davon, ob ein Feld von Fressfeinden befallen ist, sondern grundsätzlich alle zwei Wochen. »Kalenderspritzen« nennt sich das.

Die Mittel entfalten ihre tödliche Wirkung jedoch nicht nur gegen Schädlinge, sie machen auch Bienen und anderen nützlichen Insekten zu schaffen. Die Chemie im Übermaß belastet zudem die Böden, landet in Flüssen, sickert ins Grundwasser. Die Bauern unterschätzen oft die Risiken – auch für sich selbst. Selten tragen sie Schutzkleidung, dabei kann der Gifteinsatz Atemprobleme und Übelkeit hervorrufen, das Nerven- und das Hormonsystem angreifen.

Zugleich reicht das Geld, das die Bauern am Ende verdienen, häufig nicht einmal für das Nötigste. Sie bekommen die Spritzmittel, auch Samen und Dünger von den Agrarhändlern immer auf Kredit – gegen den späteren Ertrag. Doch der bleibt immer öfter aus, seit die Schädlinge resistenter werden und gegen die Chemie besser gewappnet sind.

Kaum Subventionen für afrikanische Baumwolle

Heute ist es einfacher für Mpili, auch wenn ein Problem nur schwer zu lösen ist: Baumwolle wird auf dem Weltmarkt gehandelt, dort werden die Preise bestimmt. Das große Geschäft wird noch immer in Brasilien, China, Indien oder den USA gemacht, oftmals mit Hightech-Feldmaschinen und riesigen Spritzgeräten. Dort werden die Farmer stark subventioniert. Die Baumwollbauern in Afrika bekommen kaum eine finanzielle Unterstützung vom Staat. Afrika steuert höchstens neun Prozent zum globalen Baumwollmarkt bei. Mpili und die anderen Bauern in Subsahara-Afrika erledigen noch alles von Hand.

Cotton made in Africa versucht, den Absatz der afrikanischen Baumwolle zu verbessern. Sie hat so etwas wie ein Nachfragenetzwerk geknüpft, nimmt Firmen unter Vertrag. Darunter die Otto-Gruppe, Tchibo oder auch Aldi-Süd. Sie alle garantieren, jeweils eine bestimmte Menge an Baumwolle etwa für Jeans, Shirts oder Unterwäsche aus Ostafrika zu beziehen. Sie können dann das Label »Cotton Made in Africa« in die Kleidung einnähen, müssen dafür aber eine Lizenzgebühr zahlen.

Diese Einnahmen fließen in weitere Projekte vor Ort. Die Bauern werden zum Beispiel auch darin geschult, die künstliche Bewässerung zu mindern. »Wir sparen pro T-Shirt gegenüber bewässerter Baumwolle fünfhundert Liter Wasser«, sagt Perschau. Bio oder fair ist die Cotton-Made-in-Africa-Kleidung darum noch nicht. Die grobe Faustregel heißt: keine Läuse – kein Spritzen, geringer Befall – pflanzliche Pestizide. Doch bei starkem Befall ist Chemie erlaubt.

Stoff für die Zukunft

Weniger Input, mehr Ertrag – daraus entsteht Stoff für die Zukunft. Dies überzeuge viele Bauern und lasse sich ausbauen, sagt Cotton-Made-in-Africa-Mitarbeiterin Perschau: »Wenn man genug Neembäume anpflanzt und das mühsame Zerstoßen der Neemblätter Maschinen überlässt, könnte man jedenfalls viel Chemie sparen.« Darum seien bereits 27.000 Neembäume an Bauern verteilt worden und derzeit werde an maschinellen Helfern gefeilt.

Auch in anderen Regionen zeigt sich, dass der biologische Pflanzenschutz Zukunft hat. In Mali ist der Einsatz chemischer Pestizide bei Baumwollkleinbauern seit einigen Jahren um 92 Prozent zurückgegangen. Die Türkei hat sich als einer der weltweit größten Baumwollproduzenten gegen genetisch veränderte Baumwolle und für eine schonendere, sogenannte integrierte Schädlingsbekämpfung entschieden und erzielt etwa doppelt so hohe Erträge wie der globale Durchschnitt.

Nur die großen Agrarkonzerne sehen darin noch kein Geschäft. »Im Bereich biologische Pflanzenschutzmittel bieten wir aktuell keine Produkte für die Anwendung bei Baumwolle in Afrika an«, erklärt BASF-Sprecherin Birgit Lau. Der Konzern forsche aber zur biologischen Schädlingsbekämpfung, etwa zu Nematoden-Würmern, die Schnecken aus dem Gemüsebeet vertreiben sollen. Auch Bayer hat für Afrikas Baumwolle nur Chemie im Angebot. Sein biologisches Pestizid mit dem Namen »Requiem« werde gerade auf dem afrikanischen Markt getestet, allerdings nur für Blumen und Gemüse.

Mpili und seine Kollegen können auf sie nicht zählen. Auf Verbraucher schon eher: Allein im vergangenen Jahr sind neunzig Millionen Textilien mit dem Label »Cotton Made in Africa« über die Ladentheken gegangen – und damit knapp achtzig Prozent mehr als im Jahr zuvor.

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