Computerspielkritiker über den Gamer Breivik: "Man funktioniert wie eine Maschine"
Anders Behring Breivik schreibt in seinem Manifest, er habe mit einem Ego-Shooter für seine Tat geübt. Geht das überhaupt? Psychiater und Computerspielekritiker Bert te Wildt meint: ja.
taz: Herr te Wildt, der Attentäter Anders Breivik behauptet, er habe sich mit einem Ego-Shooter auf das Massaker in der Nähe von Oslo vorbereitet. Inwiefern kann man sich mit einem Spiel auf so eine Tat vorbereiten?
Bert te Wildt: Man kann sich mit so einem Spiel, wenn man es denn ein Spiel nennen möchte, ganz gut vorbereiten. Es wird natürlich niemals die einzige Art und Weise sein, wie sich jemand auf so eine Tat vorbereitet und es wird auch nicht der einzige Grund sein, warum jemand eine solche Tat begeht.
Also ist es nur ein vernachlässigbarer Faktor unter vielen?
Nein, das wissen wir aus der militärischen und militärpsychologischen Praxis beispielsweise in den USA. Soldaten lassen sich mit Kampfsimulationen wirkungsvoll auf Kriegsszenarien einstimmen, die dem Szenario recht ähnlich sind, das Anders Breivik geschaffen hat. Solche Simulationen tragen einerseits dazu bei, die Hemmschwelle gegen das Töten zu senken, und anderseits verinnerlicht man die Abläufe eines Kampfgeschehens so sehr, dass man im Falle des Falles funktioniert wie eine Maschine.
Breivik schreibt in seinem "Manifest" konkret über das Spiel "Modern Warfare 2". Dort spielt man als Soldat aus der Ich-Perspektive gegen eine andere bewaffnete Gruppe, die Ultranationalisten. Was hat eine solche Situation mit dem Abschlachten wehrloser Kinder zu tun?
Diese Jugendlichen waren ganz klar Gegner für Breivik und er wollte möglichst große Wirkung erzielen. Und bei diesen Spielen geht es darum, möglichst schnell und ohne Nachzudenken – also ohne das eigene Handeln zu reflektieren – die Feinde auszuschalten. Diese Parallele lässt sich nicht leugnen. Aber es gibt natürlich Unterschiede, na klar.
Aber was lässt sich durch ein solches Spiel wirklich trainieren, was ändert sich im Hirn des Täters? Es ist doch ein Unterschied, ob ich gegen Bewaffnete vorgehe, Deckung suche, einen gleichwertigen Gegner bekämpfe oder ob ich hilflose, schreiende Menschen niedermetzle. Die westlichen Gesellschaften machen doch im realen Leben auch einen gewichtigen Unterschied zwischen Krieg und dem Töten von Soldaten und dem Abschlachten von Zivilisten.
Der amerikanische Militärpsychologe David Grossmann und auch dessen KollegInnen haben in Untersuchungen festgestellt, dass amerikanische Soldaten anfangs noch systematisch danebenschießen. Die Kriegssimulationen unterstützen sie dabei, sich gegen das durch das Töten entstehende Leid zu wappnen und es irgendwann zu ignorieren. Ich merke das doch bei mir selbst, wenn ich spiele. Am Anfang stößt es mich noch ab aber recht bald dann nicht mehr. Und wie gesagt: Spielen trainiert das reflexhafte Handeln.
Der Mann war Schütze, spielt das nicht eventuell eine größere Rolle als sein Spielekonsum?
Natürlich. Man darf das Spielen auch nicht überbewerten. Die Fähigkeit eine reale Waffe zu bedienen spielte in diesem Fall eine viel größere Rolle als das Spiel. Der Zugang zu Waffen und die Fähigkeit, sie zu bedienen, sind wichtige Faktoren für Amokläufe. Das weiß man durch kriminologische Studien.
Wenn man sich die Forschungen dazu anschaut, wie Medien wirken, so lässt sich zum Beispiel für das Fernsehen nur schwer sagen, ob brutale Filme einen Zuschauer gewalttätiger machen oder ob zur Gewalt neigende Menschen sich lieber brutale Filme ansehen. Warum zieht die spielekritische Forschung solche direkten Schlüsse?
Ich würde Ihnen widersprechen, es gibt durchaus Metaanalysen, die auch für das Fernsehen solche Schlüsse zulassen. Aber es gibt natürlich das Problem – und ich fürchte, das werde ich hier auch nicht lösen können – dass Medienpädagogen, Psychologen, die klinische Psychiatrie und Kriminologen hier zu recht verschiedenen Ergebnissen kommen. Nun ist die Welt jedoch nicht schwarz-weiß, es gibt nun mal Widersprüche. Und es ärgert mich, dass viele Medien heute schreiben, kausale Zusammenhänge zwischen Spielen und Gewalt seien nie nachgewiesen worden.
41, ist Psychiater und Psychotherapeut und forscht unter anderem zu Auswirkungen von Computerspielen an der Medizinischen Hochschule Hannover.
Und wie sehen diese Ihrer Meinung nach aus?
Spiele sind interaktiv. Ich kann mich nicht davorsetzen und einfach zuschauen, wie bei einem Film, sondern ich muss handeln, um das Spiel voranzutreiben. Außerdem sind zunehmend körperliche Aspekte beteiligt. Es gibt Spiele, wo man mit dem Gewehr vor dem Bildschirm steht. Spielekonsolen arbeiten zunehmend mit Bewegungsteuerung, so dass man zum Beispiel den Controller wie einen Säbel schwingen muss, um zu kämpfen. Das führt zu stärkeren Rückwirkungen auf das Gehirn. Hinzu kommt, dass Filme zumeist Geschichten erzählen, die ihr Geschehen auch moralisch einordnen. Viele Spiele, zumal die meisten First-Person-Shooter haben solche Narrative noch nicht.
Es gibt mit dem Rollenspiel ein sehr altes Games-Genre, das ohne Erzählung gar nicht auskäme. Und auch gepriesene Shooter wie "Homefront" setzen zunehmend aufs Geschichtenerzählen.
Das nimmt zu, klar, aber gerade bei den Shootern ist die Rahmenhandlung, ähnlich wie bei einem Pornofilm, nur Dekoration. Eigentlich geht es um die Kampfszenen, Reiz und Reaktion, Gegner sehen und schießen. Und das in steter Wiederholung, das prägt sich schon mehr ein als bei einem Film.
Viele Computerspieler, das lässt sich in diversen Foren nachlesen, haben Angst, dass nun wieder Spielverbote gefordert werden, wie es nach Amokläufen öfter der Fall ist. Welchen Nutzen haben solche Diskussionen?
Die Reaktionen einiger konservativer Politiker sind nach solchen Taten ebenso überschießend wie die einiger leidenschaftlicher Computerspieler. Beide Seiten sind überhaupt nicht bereit, ihre Haltungen zu hinterfragen und schenken sich darin nichts. Es muss doch in einer offenen Gesellschaft, für die wir uns halten, möglich sein, über mögliche kritische Auswirkungen von Spielen zu reden.
In manchen Medien war auch jetzt wieder zu lesen, World of Warcraft, das Breivik ebenfalls spielte, sei ein Killerspiel – obwohl es sich dabei um ein Online-Rollenspiel handelt. Das trägt auch nicht gerade zu einer Versachlichung der Debatte bei, oder?
Nein, ich finde auch Begriffe wie "Killerspiel" ohnehin unnötig abwertend. Andererseits hat World of Warcraft inzwischen einen Grad an Gewalt erreicht, den ich angesichts der Altersfreigabe von 12 Jahren durchaus bedenklich finde.
Als die Zeitungen aufkamen, schrien vor allem Obrigkeit und Kirche auf, sie verführten die Menschen zum Müßiggang. Auch vor Romanen wurde gewarnt, und als die ersten Filme über die Leinwand flackerten, war es das Gleiche. Heute gehören diese Medien zu unserem Alltag. Werden wir uns in zehn Jahren über den derzeitigen Umgang mit Computerspielen lustig machen?
Lachen wir über die Auswirkungen von Koran und Bibel? Ich glaube nicht. Die Erfindung des Buchdrucks war für die Aufklärung wichtig, aber auch für schreckliche Dinge. Einem Medium Wirkungen zuzuschreiben, die man kritisch hinterfragen dürfen muss oder es für grundsätzlich böse zu halten, sind zwei sehr verschiedene Dinge. Wir müssen aus diesem Schwarz-Weiß-Denken raus. Selbst die positivsten Erfindungen hatten immer Nebenwirkungen, warum soll das beim Computerspiel anders sein?
Zugleich spielen immer mehr Menschen in Deutschland Computerspiele, aber die Zahl der Gewalttaten von Jugendlichen geht zurück. Wie lässt sich das erklären, bei den Nebenwirkungen, die Sie und andere Spielekritiker annehmen?
Es geht auch gar nicht darum, in Hysterie zu verfallen und eine Generation von Attentätern zu beschwören. Spiele sind für eine Tat wie die von Breivik einer von verschiedenen Faktoren und in der Regel nicht der entscheidende. Wir haben aber auch keine guten Zahlen, was die derzeitige Entwicklung betrifft, was unter anderem daran liegt, dass jetzt erst die erste Generation derjenigen erwachsen wird, die mit Shootern aufgewachsen sind. Gerade deswegen müssen wir solche Entwicklungen beobachten, denn es kann auch sein, dass da Gefahren lauern, die wir bisher nicht erkennen.
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