CO2-Reduzierung in Europa: Ein guter Tag für Dreckschleudern

Das EU-Parlament stimmt gegen eine Reform des Emmissionshandelssystems ETS. Alle Appelle der Klimaschützer blieben wirkungslos.

Niederlage in Brüssel: die heterogene Klimakoalition hat die entscheidende Abstimmung verloren. Bild: dpa

BRÜSSEL/BERLIN taz | Connie Heedegard sah aus, als wohne sie ihrer eigenen Beerdigung bei. Mit Leichenbittermiene beklagte die EU-Klimaschutzkommissarin die wohl härteste Abstimmungsniederlage ihrer politischen Karriere. „Wir bedauern das“, stammelte die Dänin, „wir werden über die nächsten Schritte nachdenken“. Es sei keine Zeit zu verlieren: „Die Märkte und unsere Partner warten schon.“

Gerade hatte das Europaparlament mit einer knappen schwarz-gelben Mehrheit gegen die Reform des Emissionshandelssystems ETS gestimmt. Alle Appelle der Klimaschützer waren nutzlos geblieben. Greenpeace, die katholische Kirche, kleine kommunale Verbände und große Konzerne wie etwa Shell hatten für die Reform geworben – vergebens.

Mit einer groß angelegten Kampagne wollten die ETS-Freunde verhindern, dass der umstrittene Handel mit Verschmutzungsrechten endgültig pervertiert wird. Eigentlich soll er dazu beitragen, den Klimaschutz zu fördern. Europa will sogar weltweit zum Vorreiter werden. Doch derzeit profitieren vor allem Dreckschleudern – Kohlekraftwerke, Stahlwerke und andere Altindustrien.

Der Preis für ein Verschmutzungszertifikat war zuletzt unter 5 Euro gefallen, weil in der Wirtschaftskrise weniger Energie verbraucht wird und daher weniger Zertifikate nötig sind. Nach Ansicht von Umweltverbänden bräuchte es jedoch mindestens 25 Euro pro Tonne CO2, damit Unternehmen in klimafreundliche Technik investieren. Die EU-Kommission wollte den Preis nun durch Verknappung der Rechte in die Höhe treiben: 900 Millionen Titel sollten aus dem Markt genommen werden.

Abstimmungsniederlag in Straßburg

Daraus wird nun nichts, Heedegard und ihre heterogene Klima-Koalition haben verloren. „Die Klimapolitik befindet sich in freiem Fall“, schimpfte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms nach der Abstimmungsniederlage in Straßburg. Besonders unwürdig sei die Rolle der Bundesregierung in Berlin. „Wirtschaftsminister Rösler blockiert die europäische Klimapolitik, und die ehemalige Klimakanzlerin Merkel schweigt dazu.“

Tatsächlich hat die Bundesregierung keine einheitliche Linie in dem Streit. Während Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) die EU-Parlamentarier in einem Brief mit Amtskollegen aus Frankreich, Italien, Großbritannien, Dänemark und Schweden dazu aufforderte, der Reform zuzustimmen, wettert sein Kollege Rösler seit Monaten dagegen. Damit übernimmt er die Position des Bundesverbandes der Deutschen Industrie.

Der fürchtet um die Wettbewerbsfähigkeit seiner Mitgliedsunternehmen. Für Industrien mit hohem Energieverbrauch gibt es allerdings großzügige Ausnahmeregelungen: Sie müssen ihren CO2-Ausstoß weniger senken und bekommen mehr kostenlose Zertifikate als andere. Entsprechend gespalten ist die Wirtschaft: Der Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft war dafür, einmalig CO2-Zertifikate vom Markt zu nehmen – und hofft nun auf eine grundlegende Systemreform.

Auch der Chef des Umweltausschusses im Europaparlament, Matthias Groote, sieht schwarz. „Nun droht eine Renationalisierung“, fürchtet der SPD-Politiker. An die Stelle des gemeinsamen Handels könnten 27 Systeme treten – für jeden Mitgliedstaat eins. Hintergrund ist, dass die Mitgliedstaaten der EU weiterhin verpflichtet sind, ihren CO2-Ausstoß zu senken, der Emissionshandel als Instrument dafür aber nun ausfällt. „Das ist kontraproduktiv und schadet dem Klima“, warnt Groote.

Irland kündigt neue Initiativen an

Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Denn das Europaparlament hat den Streit zurück an den Umweltausschuss verwiesen. Außerdem hat Irland, das derzeit den EU-Ministerrat leitet, neue Initiativen angekündigt. Die Iren halten offenbar an der Idee fest, den Markt trotz seines offensichtlichen Versagens in die „richtige“ Richtung zu lenken – wie genau, blieb offen.

Dabei werden Alternativen schon lange diskutiert. Die einfachste Lösung wäre ein ehrgeizigeres Klimaziel. „Wir sollten eine Reduzierung der Emissionen bis 2030 um 50 Prozent anstreben“, sagte Harms.

Derzeit sind nur 20 Prozent bis 2020 geplant. Denkbar wäre auch die endgültige Streichung von Zertifikaten aus dem Markt, eine stärkere jährliche Absenkung der CO2-Emissionen, die Aufnahme anderer Sektoren in den Emissionshandel oder eine Preisuntergrenze für CO2-Zertifikate. Einigen Experten schwebt sogar eine Art Zentralbank für den Emissionshandel vor, um die Verschmutzungsrechte ähnlich zu regulieren wie die Geldmenge.

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