Besuch bei einer Occupy-Asamblea: Technische Fragen am Reichstag
Was genau wollen eigentlich die AktivistInnen, die sich Tag für Tag im Regierungsviertel treffen? Und wo bleiben die Massen? Der Versuch eines Interviews
Die Stimmung der Asamblea ist angespannt am Dienstagabend. Die Polizei hat die knapp 40 zumeist jungen Occupy-Aktiven von der Reichstagswiese in die Nähe des Kanzleramts verscheucht. Ein Camp ist weiter verboten. Ein Bartträger wird aus der Gruppe heraus kritisiert, er inszeniere sich zu sehr in den Medien. Der Wind pfeift, es wird dunkel und kalt. An der Ecke stehen vier Polizeiwagen. In der Versammlung wird nun über Vertrauen diskutiert. Untereinander. Und zu den Medien.
Ausgerechnet jetzt kommen die Reporter und wollen ein Interview: Wir reihen uns in den Kreis ein, heben die Hand. Doch immer meint irgendwer, sich schon länger gemeldet zu haben. "Mic Check", ruft man, wenn der Wind zu laut wird. Dann sprechen die anderen alles nach.
Nach einer guten halben Stunde ziehen wir die Reißleine: Wir formen mit den Händen ein "T". Technische Frage, das hat Priorität. Tatsächlich: Wir dürfen sprechen. "Wir sind von der taz und wollen fragen, ob zwei oder drei von euch Lust auf ein Interview haben?" Die Gruppe wiederholt: "Wir sind von der taz …" Kritische Gesichter. Jetzt geht die Diskussion erst richtig los.
"Die taz hat einen Hetzartikel über uns geschrieben, ich bin dagegen", sagt eine junge Frau. Eine andere schlägt vor, dass wir unsere Fragen in der Asamblea stellen, jetzt sofort. Andere meinen, wir sollten morgen kommen. "Wir wollen doch Öffentlichkeit", wendet jemand ein. "Die beiden sind extra hergekommen, wir sollten mit ihnen reden." Viele wedelnde Hände. Das Zeichen für Zustimmung. "Dann legt los."
Plötzlich kreuzt eine Frau ihre Arme. Veto. Es gebe eine Mehrheit, aber keinen Konsens, sagt sie. "Wir sollten das noch mal bereden." Einige Teilnehmer nicken. Andere haben keine Lust mehr und stimmen demonstrativ ihren "Occupy Song" an. Eine junge Frau weint. Wir geben auf. "Okay, war ein Versuch", rufen wir. Und verabschieden uns.
Im Gehen folgt uns ein Dutzend Protestler. "Sorry, dass das heute so emotional war", sagt eine junge Frau. "Stellt uns doch einfach eure Fragen!" Also gut.
Wie geht die Bewegung weiter?
Mann 1: Wir brauchen endlich eine Plattform zum Versammeln, ein Camp, egal ob legal oder nicht. Die Polizei verbietet uns fast alles, das ist reine Schikane.
Frau 1: Wir könnten auch in einer Uni zelten, aber wir wollen an einen zentralen Platz.
Mann 2: Das ist hier kein passives Rumgehänge, wie manche sagen. Wir wollen etwas ändern, grundlegend.
Was sind denn eure Ziele?
Mann 3: Wir sind noch ganz am Anfang. Das Ziel ist, noch viel mehr Menschen zu inspirieren.
Mann 1: Wir machen hier echte Demokratie. Deshalb gibts noch keine Forderungen. Würden wir jetzt ein Programm aufstellen, würde das viele ausgrenzen.
Frau 2: Jeder hat Wünsche. Ich wünsche mir eine Welt ohne Kinderhandel. Aber das ist nur eine persönliche Meinung.
Mann 4: Wir wollen uns erst mal austauschen, jede Stimme wird angehört. Wenn sich hier irgendwann der Banker mit dem Anarchisten unterhält, dann kann etwas Neues entstehen.
Mann 5: Es geht nicht um Banken oder Geld. Sondern: Werden unsere Kinder noch ins Freie gehen können? Werden sie ohne Krieg leben können?
Frau 1: Die Bewegung ist die Lösung.
Warum nimmt der Protest schon wieder ab?
Frau 3: Vielleicht ist das auf den Demos so, aber auf den Asambleas haben wir einen festen Kreis an Menschen. Und online tut sich immer mehr.
Mann 6: Ich habe letzte Nacht vorm Bundestag übernachtet, mit 13 anderen. Zwei Stunden Schlaf, ohne Zelt, ohne Schlafsack. Aber ich habe so viel über Zusammenhalt gelernt wie in meinem ganzen Leben nicht. Ich habe eine Bitte: Schreibt doch mal keinen Artikel, sondern kommt die nächsten Tage zu uns.
Was werdet ihr am Ende mit eurer Bewegung erreicht haben?
Mann 4: Es gibt kein Ende.
Frau 3: Dass es weltweit Asambleas gibt.
Mann 1: Die Sprache. Wir sind es gar nicht mehr gewöhnt, dass man sich gegenseitig zuhört. Wer in der Asamblea spricht, reflektiert sofort, was er oder sie sagt, weil alle es nachsprechen. Und die anderen müssen auch mal Dinge nachsprechen, die ihnen vielleicht nicht so gefallen.
Mann 7: Die Bewegung endet, wenn die ganze Scheiße aufhört.
Mann 8: Und wenn wir uns endlich von Zwängen und Lobbyismen freimachen.
Mann 4: Alles wird anders sein.
Und was ist dann mit denen da drüben? (Wir zeigen auf den Reichstag.)
Mann 4: Die brauchen wir nicht mehr.
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