piwik no script img

Erneut Luftangriffe auf Tigrays Hauptstadt Mekelle

Bombardierung von Industriestätten fordert Tote und Verletzte unter der Bevölkerung. Äthiopien spricht von Schlägen gegen Waffenlager, Tigrays Rebellen von Verzweiflungstat

Dichter Rauch steigt am Mittwoch aus einem von Äthiopiens Luftwaffe bombardierten Gelände in Mekelle, unmittelbar neben einem Wohnviertel Foto: ap

Von Dominic Johnson

Zum zweiten Mal diese Woche hat Äthiopiens Luftwaffe die Hauptstadt Mekelle der aufständischen Region Tigray bombardiert. Fotos und Videos auf sozialen Netzwerken zeigten, wie dichter schwarzer Rauch aus offensichtlich bewohnten Gebieten aufsteigt. Augenzeugen berichteten, es handele sich um ein Gebiet im Zentrum von Mekelle in der Nähe des Ayder Hospital, das größte Krankenhaus der Stadt. In Mekelle leben aktuell rund eine Million Menschen, die Hälfte davon Kriegsflüchtlinge aus dem Umland – meist unter extrem schwierigen Versorgungsbedingungen, da Tigray seit der Rückeroberung Mekelles durch die Rebellenarmee TPLF (Tigray-Volksbefreiungsfront) am 28. Juni Opfer einer faktischen Blockade durch die äthiopische Zentralregierung ist.

Bereits am Montag hatten äthiopische Flugzeuge bei zwei getrennten Angriffen Bomben auf Mekelle geworfen. Nach Angaben der humanitären UN-Koordinierungsstelle OCHA wurden dabei drei Kinder getötet und zehn Menschen verletzt. Laut äthiopischen Staatsmedien galten alle Angriffe militärischen Zielen.

Lokalen Berichten zufolge trafen die Angriffe am Montag die Zementfabrik Messebo, am Mittwoch den Industriekomplex „Mesfin Industrial Engineering“, der laut äthiopischer Regierung als Rüstungsfabrik und militärische Reparaturwerkstatt dient. Man sei mit „chirurgischen Schlägen“ gegen „illegale Lagerstätten schwerer Waffen“ vorgegangen, erläuterte das Twitterkonto „Ethiopian Issues Fact Check“, das zur Verbreitung der Regierungsversion der Ereignisse in Äthiopien dient.

Bei beiden Angriffen wurden auch Hotels sowie andere zivile Gebäude schwer beschädigt. Die Nachrichtenagentur AFP zitierte am Mittwoch einen Augenzeugen: „Der Angriff war sehr schwer und das Flugzeug war sehr nahe. Das gesamte Gelände ist abgebrannt. Wir wissen nicht, ob es Opfer gab, aber das gesamte Unternehmen ist in Flammen aufgegangen.“ Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters nannte TPLF-Führer Debretsion Gebremichael die Luftangriffe eine „Verzweiflungstat“. Er sagte: „Sie bombardieren uns, weil sie am Boden verlieren, und das ist ihre Rache.“

Die Luftangriffe stellen eine klare Eskalation im Krieg um Tigray dar. Am Boden kann sich Äthiopiens Armee in Tigray gegen die TPLF nicht behaupten – bis zum Bruch zwischen Tigrays Regionalregierung und Äthiopiens Zentralregierung Anfang November 2020 war die TPLF der Tigray-Teil der äthiopischen Armee, die seitdem auf ortsfremde Kämpfer angewiesen ist. In Berichten aus der Nachbarregion Amhara, die teilweise inzwischen von der TPLF besetzt ist, ist von Massenrekrutierungen durch die Regionalregierung die Rede: Jugendliche würden mit nur rudimentärer Ausstattung und mit Macheten bewaffnet an die Front gegen die TPLF geschickt. Hunderte solcher Kämpfer sollen in den letzten Wochen gefallen sein.

Um das Blatt zu wenden, soll die äthiopische Regierung vor wenigen Monaten Kampfdrohnen aus der Türkei erworben haben, wie sie bereits in Libyen und Bergkarabach kriegsentscheidend gewesen sind, sowie aus Iran. Unbewaffnete Drohnen aus China und Israel werden ohnehin zu militärischen Überwachungszwecken und Informationsgewinnung eingesetzt – weite Teile Äthiopiens sind nur auf dem Luftweg schnell erreichbar. Deutschland lieferte im Oktober 2020 die erste von drei zugesagten zivilen Überwachungsdrohnen an Äthiopiens Landwirtschaftsministerium zum Erfassen von Bodenerosion; sie wird in der Somali-Region weit weg vom Konfliktgebiet eingesetzt. Die Lieferung der anderen beiden liegt seit Kriegsbeginn auf Eis.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen