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Arbeitszeitverkürzung in FrankreichMehr Jobs für Geringqualifizierte

Weniger arbeiten ohne Lohnverlust, wie geht das? Gehen da nicht Arbeitsplätze verloren? Ein Blick nach Frankreich liefert Erklärungen.

Wie viele Stunden diese Dame wohl arbeitet, der Präsident Hollande über die Schulter guckt? Bild: ap

BERLIN taz | Weniger arbeiten wollen viele – doch wie kann es funktionieren, wenn dabei der Lohn nicht weniger werden soll? Hier erste Erklärungen.

Voller Lohnausgleich: Die Unterzeichner des offenen Briefs für eine 30-Stunden-Woche argumentieren, eine über Jahre gestreckte Arbeitszeitverkürzung wäre ohne Lohneinbußen möglich. Hier eine – vereinfachte – Rechnung: Beschäftigter X arbeitet 40 Stunden in der Woche bei einem Stundenlohn von 10 Euro brutto.

In der Woche verdient er 400 Euro brutto. Steigen nun Inflationsrate und Produktivität um jeweils 2 Prozent, sollte X einerseits 2 Prozent Lohnsteigerung erhalten (= 10,20 Euro). Eigentlich bekäme er nun für 40 Stunden 408 Euro brutto. Nun reduziert X aber die Arbeitszeit um 2 Prozent (= 39,2 Stunden). Sein Wochenlohn errechnet sich also so: 39,2 Stunden mal 10,20 Euro. Damit erreicht X weiterhin wie vorher ungefähr 400 Euro pro Woche (ungefähr, weil Rundungseffekte auftreten). Für die frei werdenden Arbeitszeitkontingente (die sich bei mehreren Beschäftigten aufsummieren) könnten neue Beschäftigte eingestellt werden. Für die Unternehmen wäre das wettbewerbsneutral, argumentieren die Verteidiger.

Die Kritik: Das Ganze koste Arbeitsplätze, sagen die Arbeitgeber. Vor allem Geringverdiener würden ihre Jobs verlieren, denn die Arbeitszeitverkürzung treibe doch die Kosten der Unternehmen nach oben und sei nicht wettbewerbsneutral. Beschäftigungsabbau für Niedrigqualifizierte befürchtet aber auch Karl Brenke, Arbeitsmarktexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Die Erfahrung: Das Beispiel Frankreich, wo die 35-Stunden-Woche landesweit ab 2000 eingeführt wurde, habe etwas anderes gezeigt, sagt hingegen der Arbeitszeitforscher Steffen Lehndorff: „Gerade bei den gering qualifizierten Arbeitern in der Industrie gab es die größten Beschäftigungszuwächse.“ Der Grund: Wird die individuelle Arbeitszeit am Band und im Schichtsystem gekürzt, ist offensichtlich, dass Arbeitskraft fehlt und es neue Beschäftigte braucht. „Je höher das Qualifikationsniveau, desto voraussetzungsvoller wird hingegen das Ganze“, so Lehndorff.

Der Effekt: In Frankreich reduzierten viele Hochqualifizierten ihre Arbeitszeit faktisch nicht. Zumal es dazu grundsätzlich möglich sein muss, Arbeit zu teilen. Ein Abbau der Arbeitslosigkeit funktioniere aber nur, wenn auch tatsächlich Arbeitszeit verkürzt werde. Doch trotz der teilweise ausgebliebenen Verkürzung seien in Frankreich insgesamt zwischen 300.000 und 400.000 neue Jobs entstanden, so Lehndorff.

Er weist auf eine weitere Erfahrung hin. Zwar hätte zur Einführung der 35-Stunden-Woche der Lohnausgleich funktioniert. „Aber die nächsten zwei bis drei Jahre blieben die Löhne in Frankreich praktisch eingefroren. Nur so konnten die Arbeitskosten stabil gehalten werden.“ Sein Fazit: „Arbeitszeitverkürzung ist möglich und sinnvoll. Aber es braucht dafür einen langwierigen, sozialen Umbauprozess der ganzen Gesellschaft.“

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17 Kommentare

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  • H
    H.Ewerth

    @von Ernst Lehmann

    Wenn Sie das wirklich glauben, dann gibt es in Deutschland unter 3,0 Mio. Arbeitslose, und es fehlen ja auch so viele Fachkräfte, und in Deutschland sind alle viel fleißiger und arbeiten mehr als in anderen Ländern? Aber wie heißt es doch so schön: „ Traue keiner Statistik, die man nicht selber gefälscht hat.“ Laut Statistik isst ja auch jeder Deutsche eine Bratwurst, tatsächlich aber isst der eine zwei und der andere gar keine. Und wenn Sie die Propaganda in Deutschland wirklich glauben, dann haben die Herrschenden ganze Arbeit geleistet. Was aber ist mit den vielen Jugendlichen in Warteschleifen? usw. nur eine Fata Morgana in Deutschland?

  • T
    TLambracht

    Warum bezeichnen Sie Dr. Lehndorff weiter als Forscher, wenn er doch bereits im Juni 2012 von der Universität Essen-Düsseldorf verabschiedet wurde? Und seine intensive kommunistische Vergangenheit ist sicherlich für seine Bewertung der 30-Stunden-Woche nicht ohne Belang. Das sollte man als Leser mitgeteilt bekommen.

  • U
    Uschi

    Isch geh Froankreisch. Vive la France!

  • EL
    Ernst Lehmann

    @Lustig

    Sie wollen einen Vergleich mit den skandinavischen Ländern? Wo bitteschön gibt es dort die 30-Stunden-Woche? Allerdings gibt es (bei einer sehr hohen Beschäftigungsquote) ein Betreuungsgeld von 500 Euro, ohne dass dabei die Welt untergeht... Da könnten wir uns wirklich ein Beispiel nehmen! Es ist schon witzig, da regt man sich auf, dass das Betreuungsgeld "Unproduktivität" fördert und fordert gleichzeitig die 30-Stunden-Woche, um den Millionen von Arbeitslosen eine Chance zu geben, ich nenne das inkonsequent...

  • I
    ion

    Es handelt sich, folgte man dem teutschen (Online-) Duden, offenbar ohnehin nur um ein Frauenproblem ; )

    Exzerpt:

    "

    Ge­ring­qua­li­fi­zier­te

    Wortart: substantiviertes Adjektiv, feminin

    Worttrennung:

    Ge|ring|qua|li|fi|zier|te

    Bedeutung

    Arbeitnehmerin mit nur geringer beruflicher Qualifikation

    "

  • L
    Lustig

    Schon spannend, da wird sich laut aufgeregt, wie man (oder die dummen linken Gutmenschen) sich ein Vorbild an Frankreich nehmen kann.

     

    Ihr wollt Vorbilder? Dann schauen wir doch auf die skandinavischen Länder. Aber nein, denn dann kommt sicherlich der Einwand, dass die Länder nicht vergleichbar wären!

     

    Also konzentrieren wir uns wieder darauf, mit allen Mitteln die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Denn wir brauchen Wachstum! Aber eigentlich wissen wir ja seit Jahrzehnten, dass das mit dem Wachstum nicht immer so weiter gehen kann, aber wen interessiert das schon?

     

    Fortschritt und Wirtschaftwachstum sollte ja eigentlich mal den Menschen dienen. Wir haben es umgedreht. Wir dienen dem Dogma des Wirtschaftswachstums!

  • K
    Karl-August

    Noch eine kleine Ergänzung:

     

    In dem Beispiel wird der Beschäftigte X einfach nur die selbe Leistung in kürzerer Zeit erarbeiten, ohne entsprechend der Produktivitätssteigerung höher entlohnt zu werden.

  • K
    Karl-August

    Ich möchte jetzt nicht den Spielverderber spielen, aber in dem Rechenbeispiel sinkt der Reallohn des Beschäftigten X, da er trotz zwei Prozent Inflation weiterhin nur 400 Euro pro Woche verdient. Seine Kaufkraft nimmt also ab.

  • D
    Demokratie-Troll

    @von Arbeitsschutz:

    Sie sind aber naiv. Wenn der Präsident weg ist, ist auch die Kette wieder weg.^^

    Gezeigt wird immer was Hübsches.

  • Z
    Zsolt

    Ich wäre eher für weniger Geringqualifizierte und gleichviel Jobs.

  • JM
    J. Murat

    Welcher Irre ist denn auf die Idee gekommen, die persönliche Produktivitätssteigerung an die Inflationsrate zu binden?

    Die Damen und Herren Journalisten werden als freie Mitarbeiter nach Zeilen bezahlt, egal ob sie den Text zwei Tage lang schrieben oder in einer halben Stunde hin geschmiert haben. Da kommt frau schon auf die seltsame Idee, Produktivität liesse sich beliebig steigern.

    Soll die Krankenschwester, die Friseurin, der KFZ-Mechaniker oder der Sanitäter auch im Akkord arbeiten?

    Schlimm genug dass es in sensiblen Berufen Leistungsvorgaben gibt, diese als Grundlage des Arbeitsmodelles zu setzen ist schlicht Idiotie!

  • C
    Chris

    Ja, Frankreich ist ein tolles Beispiel, wie man es wirtschaftlich richtig macht !

    Peugeot mach ja z.B. nur 5.000.000.000 Verlust !

     

    Uns fehlt halt leider der witschaftlich stärkere Nachbar mit 40 Stundenwoche und Überstunden, der uns in seiner Dummheit solche Spielchen finanziert.

  • G
    Gregor

    Frankreich als Vorbild in der Arbeitsmarktpolitik.

    Darauf muss man erstmal kommen.

     

    OECD: Frankreich: 22% Jugendarbeitslosigkeit, Deutschland: 8,5%

  • G
    Gerald

    Ausgerechnet Frankreich als Vorbild zu nennen scheint mir doch etwas gewagt.

    wenn ich die Nachrichten aus Frankreich anschaue (Peugeot macht hoechsten Verlust ueberhaupt, Industrie verringert Anteil kontinuierlich) dann muss doch mit der franzoesischen Wirtschaft eine ganze Menge nicht stimmen. Die deutsche Wirtschaft hingegen scheint zu funktionieren. Gering qualifizierte Arbeitskraefte am Band werden uebrigens doch wohl eher durch Maschinen ersetzt, das geht bei Hoeherqualifizierten nicht. Und Wertschoepfung in einer hochindustrialisierten gesellschaft wird nicht durch geringqualifizierte geschaffen.

  • G
    Gerald

    Ausgerechnet Frankreich als Vorbild zu nennen scheint mir doch etwas gewagt.

    wenn ich die Nachrichten aus Frankreich anschaue (Peugeot macht hoechsten Verlust ueberhaupt, Industrie verringert Anteil kontinuierlich) dann muss doch mit der franzoesischen Wirtschaft eine ganze Menge nicht stimmen. Die deutsche Wirtschaft hingegen scheint zu funktionieren. Gering qualifizierte Arbeitskraefte am Band werden uebrigens doch wohl eher durch Maschinen ersetzt, das geht bei Hoeherqualifizierten nicht. Und Wertschoepfung in einer hochindustrialisierten gesellschaft wird nicht durch geringqualifizierte geschaffen.

  • EL
    Ernst Lehmann

    Wer (ausser linke Gutmenschen) nimmt sich heute noch ein Beispiel an Frankreich? Sie haben eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit wie D, eine ausufernde Staatsverschuldung und ihre Wirtschaft ist nicht wettbewerbsfähig. In ganz Frankreich schaut man neidisch auf Deutschland, das es geschafft hat, durch die richtigen Reformen die Wirtschaft in Schwung zu bringen und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Nur die taz schaut ehrfürchtig zum Auslaufmodell Hollande... Übrigens: Heute hat Peugeot 5! Milliarden Euro Verlust verkündet. Natürlich hben die 35Stunden-Woche und weitere staatliche Einflussmassnahmen damit nichts zu tun, Leute, sogar GM macht wieder Gewinn! Bitte aufwachen taz und nicht mehr von sozialistischen Tagträumen leiten lassen!

  • A
    Arbeitsschutz

    Von Arbeitsschutz (Kette am Hals bei Arbeit an einer Maschine!) hat die Dame wohl noch nichts gehört?

     

    Um den Arbeitsschutz (genauer: den Schutz der Arbeiterin) ist es in der Firma schlecht bestellt.

     

    Frage: Ist das überall in Frankreich so?