DFB-Team vor Ghana-Spiel: Beschwören und Glauben
Bundestrainer Löw möchte am liebsten alle Erinnerungen an den "Ausrutscher" gegen Serbien löschen. Und seine Ballspielbande muss jetzt wieder irdische Aufgaben lösen.
ERASMIA taz | Alles halb so wild, sagt Joachim Löw. "Wir lassen uns nicht aus der Ruhe bringen oder nervös machen." Das entscheidende Spiel gegen Ghana am Mittwoch raube ihm keinesfalls den Schlaf, ach was, "ich bin heute mit einem guten Gefühl aufgewacht". Wer sich auch äußerte im Quartier des Deutschen Fußball-Bundes in Erasmia, von allen war das Gleiche zu hören: "Wir sind zu einer Trotzreaktion fähig." Die Mannschaft sei mutig und von der Psyche her keineswegs labil. Es sei weit und breit kein Anflug von Resignation zu sehen, "warum auch".
Der Bundestrainer ist sogar der Meinung, dass man aus der Niederlage gegen Serbien positive Schlüsse ziehen könne: "Man kann, so komisch das klingen mag, Selbstbewusstsein mitnehmen, denn die Mannschaft hatte ja den Mut, sich in Unterzahl kreativ gegen die Niederlage zu stemmen."
Das Kalkül des Bundestrainers ist klar: Er will einen Kokon aus Zuversicht um das junge Team bauen, eine Schutzhülle, in der es die Niederlage verarbeiten kann. Jeden Selbstzweifel will er im Keim ersticken. Am liebsten würde er die Erinnerung an das Serbien-Spiel tilgen und dort anknüpfen, wo das Team im Auftaktmatch gegen Australien aufgehört hatte. Der Trainerstab hat sich deswegen intern darauf geeinigt, die Partie vom Freitag als einmaligen Ausrutscher zu verbuchen. So was wird schon nicht wieder passieren, denn so viel Pech könne man nicht noch einmal haben und so einen pingeligen Schiedsrichter, der nach jedem Zweikampf die gelbe Karte zücke, auch nicht.
Die Niederlage hat freilich dazu geführt, dass die glorreiche Ballspielbande, deren Anführer wie von selbst zum WM-Titel zu schweben schienen, nun wieder irdische Aufgaben zu erledigen hat: drinbleiben im Turnier. Da darf dann auch mal gekämpft, gegrätscht und gebolzt werden. Jetzt gilt es, ein Alles-oder-nichts-Spiel zu überleben. Egal wie.
Auch wenn Joachim Löw Coolness demonstriert, dürften seine Gedanken auf einem Möbiusband hin und her kreisen, denn auf zwei Positionen sind Umbauten nötig. Die Rochade im Sturm ist noch halbwegs einfach zu bewerkstelligen. Da muss der nach seiner roten Karte gesperrte Miroslav Klose nur gegen Cacau ausgetauscht werden.
Das Wechselspiel in der Abwehr ist ungleich schwieriger. Der linke Außenverteidiger Holger Badstuber schien gegen Serbien schwer überfordert zu sein. Doch wagt der Bundestrainer den großen Umbau und schickt seinen Kapitän Philipp Lahm auf die linke Abwehrseite und stellt Jerome Boateng auf rechts, zumal der auf ein Bruderduell mit Kevin-Prince Boateng, dem Ballack-Tackler, brennen dürfte? Lässt er womöglich Boateng auf der Position Badstubers spielen, denn auch das kann der gebürtige Berliner? Oder aber bleibt der 20-jährige Badstuber in der Startelf? Fragen über Fragen, die Löw noch nicht beantworten will.
Badstuber habe zwar "den einen oder anderen Fehler gemacht", sagt Löw, aber das Tor sei "nach einer Kette von Fehlern passiert". Außerdem verbitte er sich eine vernichtende Kritik am Nationalspieler des FC Bayern: "Wir haben nicht so viele Talente dieser Art, Badstuber wird eine hervorragende Zukunft haben", prognostiziert er. Das könnte durchaus darauf hindeuten, dass der Bundestrainer an Badstuber festhält. Es würde auch zur Einschätzung des Gesamtlage passen, wonach ja eigentlich nichts passiert ist: Die Stimmung in der Truppe sei dufte und das trickreiche Fußballspiel habe man auch nicht verlernt.
Die Situation, in der sich das DFB-Team jetzt befindet, erinnert stark an die Gruppenphase der Europameisterschaft 2008 in der Schweiz und Österreich: Auch da gelang ein Sieg im ersten Spiel, doch in der zweiten Partie gegen Kroatien patzte die Auswahl. Da stand Jansen auf links, spielte aber derart schlecht, dass Lahm in Halbzeit zwei Jansens Posten bezog und Clemens Fritz den von Lahm. Löw musste damals in der Krise schnell intervenieren, doch jetzt gibt es ja, folgt man der DFB-Sprachregelung, keine Krise. "Außerdem waren wir damals gegen Kroatien ohne Chance und sind immer hinterhergelaufen", postuliert Löw.
"Ich mache mir überhaupt keine Sorgen", sagt Lahm und schlägt in dieselbe Kerbe wie Löw. "Wir müssen weiter an unserem offensiven Stil festhalten, denn wir haben ja gut gespielt." Noch immer ist er überzeugt davon, im besten deutschen Team der jüngeren Geschichte zu stehen. "Diese Mannschaft hat die meiste Qualität", sagt er. Es klingt wie eine Beschwörungsformel, ein Glaubenssatz, von dem er unter keinen Umständen abrücken will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!