piwik no script img

Paris für Friedensmission im KaukasusEU spricht mehrzüngig zu Moskau

Frankreich schlägt eine EU-Friedenstruppe für den Kaukasus vor. Dabei herrscht in Europa Uneinigkeit über Russlands Vorgehen in Südossetien. Paris äußert Verständnis. London verurteilt Moskau scharf.

Russlands Präsident Medwedjew darf sich freuen, Frankreichs Sarkozy eiert: Die EU kann sich nicht darauf verständigen, Russlands Vorgehen in Südossetien einhellig zu verurteilen. Bild: dpa

BRÜSSEL/TIFLIS/MOSKAU dpa/rtr Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner hat sich als amtierender EU-Ratsvorsitzender nach dem Blutvergießen im Südkaukasus für eine europäische Friedenstruppe in der Region stark gemacht. Dies sei eine "gute Idee", sie müsse aber auch akzeptiert werden, sagte Kouchner vor einem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen in Brüssel. Nach der Zustimmung Russlands und Georgiens zu einem "provisorischen Waffenstillstand" blieb die Lage im Südkaukasus am Mittwoch - abgesehen von vereinzelten Schusswechseln - weitgehend ruhig.

Kouchner fügte hinzu, er würde eine EU-Friedensmission in der Krisenregion allerdings anders bezeichnen: "Europäische Kontrolleure, Beobachter, Vermittler." Dies wäre die richtige Rolle für die Europäische Union im Kaukasus. In der Vergangenheit hatten die von Georgien abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien jegliche Pläne für einen Abzug der russischen Friedenssoldaten kategorisch abgelehnt.

Die russische Militärführung versicherte, sich an die Abmachungen des mit Hilfe Frankreichs am Dienstag erzielten Friedensplans zu halten. Der Generalstab in Moskau dementierte am Mittwoch georgische Berichte, wonach 50 russische Panzer in die Stadt Gori, 60 Kilometer vor Tiflis, eingerückt seien. Ein Großteil der Bevölkerung ist aus der durch Raketenbeschuss stark zerstörten Geburtsstadt des Sowjetdiktators Stalin geflüchtet. In der Krisenregion trafen ausländische Hilfslieferungen für die nach UN-Schätzungen 100 000 Flüchtlinge ein.

Innerhalb der NATO zeichnen sich unterschiedliche Bewertungen des Kriegsgeschehens um das von Georgien abtrünnige Gebiet Südossetien ab. In der Nacht zum Mittwoch unterstützten die Präsidenten der osteuropäischen NATO-Staaten Polen, Estland und Litauen bei einem Besuch in Tiflis demonstrativ die georgische Führung. "Georgien steht nicht allein da. Es hat die gesamte zivilisierte Welt auf seiner Seite", sagte der estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves auf einer Kundgebung vor zehntausenden Menschen in Tiflis.

Schützenhilfe erhielten die Osteuropäer auch von Großbritanniens Außenminister Miliband. Der brachte indirekt den Abbruch der Gespräche mit Russland über ein Partnerschaftsabkommen ins Gespräch. Darüber sollten die Minister im September beraten. "Der Anblick russischer Panzer, die in Teile eines Nachbarlandes einmarschieren, hat vielen einen kalten Schauer den Rücken heruntergejagt", sagte der Minister in der BBC. Auf diese Weise könnten internationale Beziehungen im 21. Jahrhundert nicht betrieben werden. Russland müsse klar gemacht werden, dass es nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten habe. "Und wenn Verantwortung nicht wahrgenommen wird, muss es Konsequenzen für Russland geben."

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hatte bei seinen Vermittlungsbemühungen in Moskau auch Verständnis für den Kriegseinsatz Russlands gezeigt. "Es ist völlig normal, dass Russland seine Interessen sowie diejenigen der Russen in Russland und der Russischsprachigen außerhalb Russlands verteidigen will", versicherte Sarkozy am Dienstag seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew in Moskau.

"Saakaschwili war verrückt loszuschlagen und mitten in der Nacht eine Stadt zu bombardieren", sagte ein Mitarbeiter Sarkozys. Georgiens Präsident sei den Russen in die Falle gegangen. "Er hat gezockt und verloren." Die Georgier hätten geglaubt, der russische Ministerpräsident Putin würde während der Olympischen Spiele keine Vergeltung üben. Allerdings hätten Putin und Präsident Dmitri Medwedew mit ihrer harten militärischen Reaktion überzogen und würden nun als Aggressoren hingestellt. "Putin sagt, er sei sich dessen voll bewusst", sagte der französische Regierungsvertreter.

Am Dienstagabend traf Sarkozy in Tiflis den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili, der dem von der EU vermittelten Friedensplan für den Südkaukasus in leicht abgeänderter Form zustimmte. Auf georgischen Wunsch wurde die Formulierung gestrichen, dass es eine internationale Diskussion über den "künftigen Status" von Südossetien und Abchasien geben solle. Dieser Plan sei die Basis für eine UN-Resolution, sagte Sarkozy in Tiflis. Beide von Moskau protegierten Gebiete gehören nach internationalem Recht zu Georgien.

Einen Tag nach der verkündeten Feuerpause begannen russische und georgische Truppen im Südkaukasus erste Gespräche über einen Austausch von gefangenen Soldaten. Moskauer Angaben zufolge starben bei den am Freitag ausgebrochenen Kriegshandlungen in Georgien 74 russische Soldaten. Die georgische Regierung sprach von 165 eigenen Kriegstoten im Land - mit Ausnahme des Gebietes Südossetien. Dort sollen nach russischen Angaben etwa 2.000 Menschen gestorben sein.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow wies Kritik der USA am Kriegseinsatz russischer Truppen im Südkaukasus zurück. Russlands Eingreifen in Georgien sei eine Friedensmission gewesen, was auch Frankreichs Präsident Sarkozy bei seinem Besuch in Moskau bestätigt habe, sagte Lawrow nach Angaben der Agentur Interfax in Moskau. Die US-Regierung hatte zuvor Russland vorgehalten, sich durch die "Invasion" als stabilisierender Faktor in der Region diskreditiert zu haben.

Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte vor einseitigen Schuldzuweisungen. "Ich halte nichts davon, dass wir uns heute in sehr langen Diskussionen über Verantwortung und Urheberschaft der Eskalation der letzten Tage verlieren." Die EU müsse sich fragen, welche Rolle sie in Zukunft spielen wolle, etwa bei der Absicherung des Waffenstillstands und der weiteren Stabilisierung. Statt "starke Statements mit einseitigen Verurteilungen zu verabschieden" solle die EU "mit Blick auf die Zukunft eine wirkliche Rolle bei der weiteren Stabilisierung übernehmen", forderte Steinmeier. Dafür müssten die Gesprächskanäle sowohl zur georgischen Regierung nach Tiflis als auch zur russischen in Moskau offenbleiben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • E
    espringer

    Wie es dazu kam....

     

    nachdem ich den Artikel gelesen hatte

    kamen Fragen über Fragen auf und bin über das hier gestolpert - eine gute Schilderung des Hergangs und auch wie es zu der Eskalation kam:

     

    http://www.spiegelfechter.com/wordpress/

  • U
    uthome

    Warum flohen die Separatisten

    eigentlich schon vor dem georgischen Angriff und warum waren die russischen Truppen zu diesem Zeitpunkt schon in Grenznähe? Wer hat die Seperatisten mit schweren Waffen wie Artillerie, Panzer und Panzerabwehrwaffen ausgerüstet?

    Fragen über Fragen die sich in diesem Konflikt auftun und wahrscheinlich nicht eindeutig beantwortet werden können. Hier muss die NATO und die EU rann, sie können nicht einfach den Russen das Feld überlassen denn sonst geht die SALAMITAKTIK weiter und die Ukraine ist das kommende Ziel. Die einzige nicht durch die Russen kontrollierte Öl- und Gasleitung in den Westen darf in Zeiten knapper Energie nicht aufgegeben werden. Hier sind nicht US-Amerikanische sondern europäische Interessen bedroht. Wenn Russland eine wichtige Rolle in der G8 spielen mööchte, in die WTO will und auch in die OECD, dann aber nicht mit den Mitteln der ehemaligen Sowjetunion. Hier kann der Westen klar Stellung beziehen, Putin´s Zarenmanieren passen nicht ins 21 Jahrhundert.

  • B
    Brickl

    Erschreckend ist bei solchen Eskalationen immer wieder, über welch ungesicherte und im Konjunktiv formulierte Informationen debatiert wird. Solange Informationen nicht als richtig gelten, sollte man bzgl. der Meinungsbildung und Meinungsmache vorsichtig sein.