Abschiebung: Die syrische Polizei wartet schon
Obwohl das Bundesinnenministerium davor gewarnt hat, schiebt Niedersachsen Flüchtlinge nach Damaskus ab. Dort sind die ersten schon verhaftet worden - sie hätten "das Ansehen Syriens beschädigt".
Neun Jahre ging Abrahim Bakro alle paar Monate denselben Gang. Von der Oldenburger Innenstadt zur Ausländerbehörde im Kloster Blankenburg, einige Kilometer weiter südlich. Hier bekam der 36-jährige Syrer den Stempel, der ihm bescheinigte, noch einige weitere Monate in Deutschland "geduldet" zu werden. Am vorletzten Dienstag ging Bakro zum letzten Mal dorthin: Statt seiner Sachbearbeiterin erwarteten ihn zwei Kripo-Beamte in Zivil, die ihn in das Abschiebegefängnis Langenhagen brachten.
Dort saßen schon drei weitere Syrer, unter ihnen der 21-jährige Yezide Faruk Issa, der seit sechs Jahren in Wilhelmshaven lebt. Auch er wurde zwei Tage zuvor auf der dortigen Ausländerbehörde festgenommen, als er seine Duldung verlängern lassen wollte.
Wärter drohten mit Arrest
Für die vier war klar: Nach Damaskus zurück wollten sie auf keinen Fall. Am Freitag, den 25. Juni traten sie in Hungerstreik. "So wollten sie sich gegen ihre Abschiebung wehren", sagt Karim Al Wasiti vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat, der Bakro und Issa betreut. Doch die Aktion währte nur kurz: Nach drei Tagen brachen die Gefangenen den Streik ab. "Die Wärter haben ihnen gedroht, sie in Arrestzellen zu sperren. Das hat ihnen Angst gemacht", sagt Al Wasiti. Diese seien im Kellergeschoss und "eigentlich für Leute gedacht, die durchdrehen und eine Gefahr darstellen". Dabei sei ein Hungerstreik in der verzweifelten Lage der vier "ihr gutes Recht".
Genutzt hat es zumindest Bakro nichts: Am letzten Montag flogen zwei Bundespolizisten mit ihm von Frankfurt nach Damaskus. Die anderen Syrer sollen in den nächsten Wochen abgeschoben werden. "Es ist ein Skandal, dass man mit solchen Zwangsmaßnahmen den passiven Widerstand brechen will", sagt eine Sprecherin der Medizinischen Flüchtlingssolidarität Hannover, die Issa im Gefängnis besucht hat. Die Leitung der JVA war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Viele Tausend Angehörige der yezidischen Minderheit flüchteten seit den 1990er Jahren vor dem Regime der Al-Assad Dynastie nach Deutschland. Als asylberechtigt anerkannt wurde kaum einer, doch lange nahm Syrien die Flüchtlinge nicht zurück. Seit dem letzten Jahr ist das anders: Da unterzeichnete Syrien ein "Rückübernahmeabkommen". Jetzt sollen rund 7.000 SyrerInnen, die teils seit vielen Jahren hier leben, dorthin zurück.
Die ersten Abschiebungen nach Damaskus endeten damit, dass Flüchtlinge verhaftet wurden, weil sie mit ihrem Asylantrag das "Ansehen Syriens beschädigt" hätten. Amnesy International weist seit Jahren daraufhin, dass Syrien systematisch foltert. Allein 2008 seien fünf Menschen dort im Gefängnis gestorben. Selbst das Bundesinnenministerium, das das Abkommen ausgehandelt hatte, forderte daraufhin die Länder auf, mit Abschiebungen nach Syrien vorsichtig zu sein.
Wie im Schockzustand
Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann beeindruckte das offenbar nicht. Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass er darauf verzichten will, die schätzungsweise 1.500 geduldeten Syrer in Niedersachsen so schnell wie möglich abzuschieben.
"Wir sind wie in einem Schockzustand", sagt derweil Bakros Bruder Issam. Auch er lebt in Oldenburg, hat dort studiert. Gemeinsam mit Bakros deutscher Freundin habe er die Wohnung seines Bruders ausgeräumt. Mit den Abschiebungen abfinden wollen sie sich nicht: Bakros Freundin habe in den letzten Tagen ihren ersten Reisepass beantragt. Mit ihm will sie nach Damaskus reisen und ihren Freund dort heiraten, damit er nach Oldenburg zurückkommen kann. Auch der Bruder von Faruk Issa hat noch Hoffnung: Für Donnerstag hat er eine Demonstration vor dem Rathaus in Wilhelmshaven organisiert. "Da werden alle seine Freunde und Bekannten kommen und fordern, dass er hier bleiben darf."
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Bildungsforscher über Zukunft der Kinder
„Bitte nicht länger ignorieren“