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DebatteEin Platz für Heidi Kabel?

Der Hamburger Grüne Farid Müller fordert einen Heidi-Kabel-Platz im Stadtteil St. Georg, in dem bald das Ohnsorg-Theater ansässig ist. taz-Redakteur Benno Schirrmeister hält das für ebenso unabwendbar wie geschichtsvergessen.

Soll einen Platz bekommen: Die Volksschauspielerin Heidi Kabel, hier 1986 bei der Aufführung des Stücks "Froo Pieper levt gefährlich" im Ohnsorg-Theater. Bild: dpa

Ja

Über die Person Heidi Kabel braucht man, so glaube ich, nicht viele Worte zu verlieren - sie war eine Institution, ein patenter, feiner Mensch, eine Schauspielerin, die unzählbar vielen Menschen Freude gemacht hat.

Viele von uns verbinden mit ihr einmalige, bleibende Erinnerungen - der erste Theaterbesuch, das gemeinsame Fernseherlebnis mit den Eltern. Auch von ihrem sozialen Engagement muss nicht groß gesprochen werden, weil sie das selber auch nicht getan hat. Nicht verschwiegen werden darf, dass sie Mitläuferin im Dritten Reich war, doch hat sie damit nicht direkt geschadet, dafür bezahlt und diesen Teil ihres Lebens nicht verleugnet, sondern aufgearbeitet.

Warum also einen Platz nach Heidi Kabel benennen? Die Antwort ist, dass Hamburg einen solchen Platz braucht. Wir sind noch immer viel zu sehr die Stadt der Kaufleute und des Hafens. Unserer kreativen Potenziale sind wir uns viel zu wenig bewusst. Hamburg ist mehr als Handel und Hafen. Trotzdem sind deutlich mehr Straßen, Wege, Plätze und Alleen nach Kaufleuten, Reedern, Politikern und Senatoren benannt als nötig. Das gilt auch für den Hachmannplatz, den umzubenennen ich vorschlage. Hachmann war honoriger Hamburger, Senator, Bürgermeister. Als ehemaliger Vizepräsident der Bürgerschaft hat er natürlich meine ganze Sympathie - aber Hand aufs Herz: Einhundert Jahre sind eine hübsche Zeit der Ehrung und außer der Tatsache, dass der Platz praktisch immer so hieß, fällt mir nicht wirklich ein, warum er unbedingt weiter so heißen müsste.

Schauspieler, Opernsänger, Maler und noch ganz besonders Schauspielerinnen, Opernsängerinnen und Malerinnen sind dagegen im Hamburger Straßennamensverzeichnis unterrepräsentiert. Für eine Stadt, die eine Fülle an Theatern, der Oper, Galerien, aber auch kreativen Hinterhöfen hat, ist das nicht gut. Deswegen plädiere ich dafür, mehr Kreative für Umbenennungen zu berücksichtigen. Aus dem gleichen Grund habe ich übrigens die Benennung eines Weges nach dem im "Dritten Reich" wegen seiner Homosexualität verfolgten Tenor Hans Grahl vorangetrieben.

Ein weiterer Grund ist für mich, dass wir viel mehr Straßenbenennungen nach Frauen brauchen. Heidi Kabel hat sich als Frau behauptet - indem sie, wie das damals hieß, ihren Mann stand - und ist sich dennoch als Frau treu geblieben.

Für mich als direkt in Hamburg-Mitte gewähltem Wahlkreisabgeordneten ist auch von Bedeutung, dass bald das Ohnsorg-Theater in St. Georg eröffnen wird. Ich stehe für die Förderung der Kreativ-szene. Dazu zählt für mich das Ohnsorg-Theater ebenso wie das Gängeviertel. Auch deswegen sollte die neue Adresse dieses Theaters nach seiner berühmtesten Darstellerin benannt werden. St. Georg wird dann mit dem Schauspielhaus und dem Polittbüro seine dritte Bühne haben. Mit der Benennung würde das kulturelle Gewicht dieses Stadtteils, in dem schon Hans Albers geboren wurde und Gustav Gründgens arbeitete, weiter gestärkt.

Farid Müller, 48

ist direkt gewählter Abgeordneter der Bürgerschaft in Hamburg-Mitte und hat die Facebook-Gruppe "Hamburg braucht einen Heidi-Kabel-Platz" gegründet.

All diese Gründe - Institution, Künstlerin, Frau, Vorbild - können überzeugen oder auch nicht. Heidi Kabel ehren, bedeutet, etwas zurückgeben zu wollen. Dass dies offenbar von vielen Menschen geteilt wird, zeigt meine Facebook-Gruppe: "Hamburg braucht einen Heidi-Kabel-Platz". Am Mittwoch gegründet, sind ihr in 24 Stunden einige hundert Menschen beigetreten, Tendenz steigend. Das zeigt: Heidi Kabel hat einen Platz im Herzen vieler Hamburgerinnen und Hamburger. Da wäre es nur folgerichtig, wenn sie auch einen Platz im Herzen Hamburgs hätte. FARID MÜLLER

Nein

Selbstverständlich bekommt Hamburg bald eine Heidi-Kabel-Straße, einen Heidi-Kabel-Platz oder auch -Stieg. Schließlich war die ja man so beliebt, nöch.

Es ist ja auch längst Brauch, öffentlichen Raum dem Andenken von Nazi-MitläuferInnen zu widmen: Wenn Bremen eine Brücke nach SA-Mann Karl Carstens benennt und Oldenburg eine Straße nach dem Landesleiter der Reichsschrifttumskammer August "Blut und Boden" Hinrichs, dann ehrt Hamburg mit Heidi Kabel ja fast schon den Widerstand. Schließlich war die ja bloß Mitglied der NS-Frauenschaft und hat ihren Mann zum Beitritt in die NSDAP überredet, aus Karriere-Erwägungen. Hat ihm nichts genutzt, hat ihm auch nicht dolle geschadet - schon ab 1947 war Hans Mahler Intendant des Ohnsorg-Theaters.

Aber da Schwamm drüber! Wer wäre schon so geschichtsversessen? Schließlich will, wer jetzt die Kabel-Chaussee propagiert, nur ihre bundesrepublikanische kulturelle Leistung würdigen. Sie ist unbestreitbar. Sie besteht darin, niederdeutsche Theatertradition gepflegt, fortgeschrieben und popularisiert zu haben, vor allem durch die Missingsch-Fassungen fürs TV. Gerne griff sie dafür auf jene - wie sagt mans, ach ja: erdigen und saftigen Schwänke von Hinrichs zurück, dem erwähnten Oldenburger Dichter-Politiker, der laut einer Studie von Anke Finster "die Konsolidierung des totalitären Staates förderte und das NS-System stützte". Die Buernkomödi "Wenn der Hahn kräht" von 1933 etwa, oder "Für die Katz" von 1938. Gibts auch auf DVD!

Hinrichs ist ein herausragendes Beispiel, aber keine Ausnahme, sondern die Regel: Das Nazi-Regime förderte die niederdeutsche Text- und Theaterproduktion vielfältig, und umgekehrt: "Nicht erst nach 1933 und nicht erzwungen, sondern frühzeitig und freiwillig" war "die plattdeutsche Literatur auf Nazi-Kurs geschwenkt", so der Sprachhistoriker Kay Dohnke. Nahe liegend, denn die plattdeutsche Schriftkultur ist erst im 19. Jahrhundert als Tochter von Xenophobie und Nationalismus geboren. Sie steht nicht unter Ideologie-Verdacht. Sie ist erwiesenermaßen ideologisch verseucht.

Doch, Herr Müller, das ist schon aller Ehren wert: Heidi Kabel ist es gelungen, diese Tradition nach läppischen anderthalb Jahren Berufsverbot ohne jeden Bruch zu pflegen und fortzuschreiben. Genau diese Tradition hat sie, mit den Mitteln volkstümelnder Unterhaltungsindustrie in die Wohnzimmer der Bundesrepublik getragen: Kabel hat - nicht allein, aber an vorderster Front - genau diese Tradition popularisiert. Und damit hat die beliebte Ohnsorg-Prinzipalin alle zaghaften Versuche, Platt-Kultur kritisch zu befragen oder gar neu zu denken erheblich behindert. Erst Ende der 90er Jahre nimmt Kabel ihren Abschied von der Bühne. Erst Ende der 90er Jahre beginnt man, das Problemfeld "Niederdeutsch im Nationalsozialismus" zu umreißen.

Doch auch Verdrängung ist eine Kulturleistung, eine sehr entlastende, und wenn sie volle 50 Jahre währt, dann muss man sie wohl auch als groß bezeichnen. Sie zu ehren war zwar sonst immer das geschichtspolitische Anliegen der Union, und keines der Grünen. Aber man ist ja Partner in Hamburg, und vielleicht fehlt ein gemeinsames Projekt: Der Heidi-Kabel-Platz wird kommen. Alles spricht dafür. Außer, man einigt sich auf die ganz große Lösung. Welche? Na, auf Geschichtsfreie und Heidi-Kabelstadt Hamburg. BENNO SCHIRRMEISTER

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1 Kommentar

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  • MB
    Marcus Buck

    Herr Schirrmeister, Geschichtsvergessenheit ist in der Tat ein großes Problem. Ihre Kritik scheint sich ja weniger gegen die Person Heidi Kabel zu richten, denn der einzige Kritikpunkt, für den Heidi Kabel direkt verantwortlich ist, ist der, dass sie, - vor die Wahl gestellt "Kopf einziehen oder Widerstand leisten" - "Kopf einziehen" gewählt hat. Der größte Teil ihrer Kritik richtet sich vielmehr gegen die niederdeutsche Kultur allgemein, die von ihnen als Hort von Nationalismus und "Volkstümelei" angesehen wird. Heidi Kabels Vergehen war es also, diese Kultur gefördert zu haben.

     

    Die niederdeutsche Sprache war durch Jahrhunderte eine blühende Kultursprache, deren Ende als Literatursprache im 17. Jahrhundert kam, nachdem Luther und die süddeutschen Drucker eine nationale Einheitssprache etabliert hatten. Das Aufkommen der neuen niederdeutschen Literatur im 19. Jahrhundert war gerade eine _Gegenreaktion_ auf den deutschen Nationalismus, der für die eigenständige Sprache Niederdeutsch zunehmend existenzbedrohend wurde. So hat zum Beispiel der große Schriftsteller Klaus Groth seinen Quickborn in der Hoffnung geschrieben, dieser möge helfen, die Verachtung der Hochdeutschen gegenüber dem Niederdeutschen zu verringern und den Status der Sprache zu heben. Die ganze Geschichte der modernen niederdeutschen Kultuproduktion ist geprägt vom Topos der Sprachbedrohung durch das Hochdeutsche. Niederdeutsch hatte einst 20 Millionen Sprecher, deren Zahl bis heute auf weniger als 5 Millionen gesunken ist. Millionen Menschen wurde ihre Muttersprache ausgetrieben. Millionen Menschen wurden an ihrem ersten Schultag damit konfrontiert, nun eine Fremdsprache erlernen zu müssen, die sie nie zuvor gesprochen hatten. Die Medien als überwichtiger Sprachvektor in der Kommunikationsgesellschaft sind in ihrer Ablehnung gegenüber dem Plattdeutschen nahezu total. So weitgehend, dass selbst Ohnsorg nur hochdeutsch auf die Mattscheibe durfte (Obwohl es zur Zeit der ersten Ohnsorg-Übertragungen kaum einen Menschen in Norddeutschland gegeben hat, der die Sprache nicht zumindest verstanden hätte). Unter diesem Eindruck der ständigen kulturellen Bedrohung ist es wohl kein Wunder, dass die niederdeutsche Kultur vor allem bewahrend (sie würden es vermutlich rückwärtsgewandt nennen) und mit sich selbst beschäftigt (sie würden es volkstümelnd nennen) war. Für Progressivität bleibt nicht viel Raum, wenn man gegen ständige Zweifel an der eigenen Existenzberechtigung anschreiben muss.

     

    Xenophobie ist ein schönes Stichwort. Was ist mit der Ablehnung der "fremden" Sprache Plattdeutsch durch die Hochdeutschen? Wenn sie wirklich gegen den Geist von Nationalismus und Xenophobie sind, dann wäre es nur folgerichtig, die niederdeutsche Kultur zu fördern, anstatt sie noch weiter zu verdammen.