: „Nur wir ermitteln gegen die Banken“
ISLAND Die Banken wurden per Gesetz dazu gezwungen, den Ermittlern alle Beweise zu übergeben, freut sich der isländische Chefermittler in der Bankenkrise – und wundert sich, dass in anderen Ländern die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen werden
■ Anfang 2009 wurde Hauksson, 46, vom isländischen Parlament als Sonderermittler eingesetzt, um die Verbrechen im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der drei größten isländischen Banken aufzuklären. Zuvor war der Jurist in der Kleinstadt Arkanes für die Polizeiarbeit zuständig. Er war nie Teil des Politikbetriebs oder in der Privatwirtschaft tätig, was für seine Berufung sprach. Allerdings war er auch der einzige Bewerber um die Stelle. Er ließ hochrangige Banker in Untersuchungshaft nehmen, denen nun Gerichtsprozesse drohen. Bis 2014 will Hauksson seine Arbeit beendet haben.
INTERVIEW DANIELA ZINSER
taz: Herr Hauksson, wie fühlen Sie sich als derzeit vielleicht wichtigster Mann Islands? So mancher hat den Sektkorken knallen lassen, als die ersten Manager festgenommen wurden.
Ólafur Thór Hauksson: Es fühlt sich noch sehr seltsam an. Als wir im Februar 2009 begonnen haben, waren wir vier Leute und hatten null Ausstattung.
Warum waren Sie so schwach ausgestattet?
Anfangs war völlig unklar, wie viele Fälle es zu bearbeiten geben würde. Inzwischen wissen wir, dass die Zahl höher ist, als irgendjemand je gedacht hätte. Deshalb musste auch unser Team wachsen, damit wir den Anforderungen gerecht werden. Gegen Ende vergangenen Jahres waren wir dann in der Lage, größere Verfahren zu schultern. Und jetzt haben wir endlich positive Ergebnisse – und genießen hoffentlich ein größeres Vertrauen in der Bevölkerung.
Wie gehen Sie vor?
Die meisten Fälle kommen von der Financial Supervisory Authority, der Finanzaufsichtsbehörde, die schon vorermittelt hat. Wir haben auch Fälle, die von der Steueraufsicht oder direkt aus den Banken selbst kommen. Auch Privatpersonen können sich melden.
Haben das schon viele getan?
Rund 64 Fälle wurden bei uns eingesandt und 18 davon abgelehnt, weil sie entweder nicht unseren Aufgabenbereich betrafen oder weil von Anfang an klar war, dass sie vor Gericht keine Chance haben würden. Für die restlichen Fälle gibt es Ermittlerteams aus Polizisten, Anwälten und Wirtschaftsexperten. Es müssen viele Seiten gelesen werden, bevor wir entscheiden, wie wir weiter vorgehen. Danach geht’s los mit Befragungen und Hausdurchsuchungen.
Sehen Sie die Gefahr, dass in der Zwischenzeit Beweismaterial zerstört oder verheimlicht werden könnte?
Das ist ein Thema, das immer wieder aufkommt, weil wir erst ein halbes Jahr nach dem Bankenkollaps mit der Arbeit begonnen haben. Natürlich ist es besser, sofort anzufangen. Aber die Vergehen, die wir bearbeiten, hinterlassen meist eine ziemlich klare Spur. Selbst wenn einige Leute die Möglichkeit hatten, Papiere zu vernichten, gibt es meist irgendwo Kopien, auf die sie keinen Zugriff haben. Das gilt auch für elektronische Daten. Meistens kann man die Sachen also an anderer Stelle einsehen.
Da gibt es keine Schlupflöcher?
Sehr selten schafft es einer, alles zu vernichten. Die Banken haben da auch schon Vorarbeit geleistet, indem sie die Vorstände und Geschäftsführer rausgeworfen haben, bevor diese etwas beiseiteschaffen konnten. Bis jetzt haben wir fast alle Beweise bekommen, die wir für nötig hielten.
Waren die Banken kooperativ?
Sie wurden dazu genötigt. Anfangs hatten wir das gleiche Problem wie die Polizei: das Bankgeheimnis. Auch die Finanzaufsichtsbehörde war daran gebunden. Also mussten wir jedes Beweisstück, jedes Stück Papier aus den Banken mit einem Hausdurchsuchungsbefehl besorgen. Das hat uns sehr viel Zeit gekostet. Eine Gesetzesänderung hat die Banken dazu verpflichtet, uns alles zu geben, wonach wir fragen. Das erleichtert die Arbeit.
Wie funktioniert die internationale Zusammenarbeit etwa mit Luxemburg oder Großbritannien?
Wir haben sehr positive Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Luxemburg, Großbritannien und den skandinavischen Ländern gemacht. Aber natürlich sind wir in jedem Land an dort geltende Gesetze gebunden.
Was bedeutet das?
Nach einer Hausdurchsuchung in Luxemburg zum Beispiel müssen alle Dokumente bei der Polizei aufgelistet werden, dann kommen sie zum Ermittlungsrichter, der sie an einen Anwaltsausschuss übergibt; der entscheidet, ob diese Dokumente relevant sind, und derjenige, gegen den ermittelt wird, kann Einspruch erheben. Das führt manchmal zu erheblichen Verzögerungen. In Großbritannien ist es ähnlich. Wir können solche Dokumente innerhalb von zwei Wochen liefern. Obwohl die Leute hier finden, dass die Dinge langsam gehen, haben wir doch die Möglichkeit, ziemlich schnell zu handeln im Vergleich zu anderen Ländern.
Was sind die Hauptanklagepunkte, in denen Sie ermitteln?
Marktmanipulation, Kreditvergabe ohne ausreichende Absicherung, Verstöße gegen das Bankengesetz, Insiderhandel.
Betrifft das nur Banker oder auch Politiker?
Die Vergehen der Minister muss ein vom Parlament eingesetztes Sondergericht beurteilen. Alle anderen Fälle landen bei uns. Wir beschäftigen uns zum Beispiel mit dem Vorwurf des Insiderhandels gegen den ehemaligen Leiter des Finanzministeriums.
Sie ermitteln in höchsten Politik- und Finanzkreisen. Wurden Sie je eingeschüchtert oder bedroht?
Natürlich sorgen Ermittlungen dieser Art für Unruhe. Aber bis jetzt habe ich noch keine Einschüchterungen oder Bedrohungen erlebt. Aber wir fangen ja erst richtig an.
Welche Rolle spielt Ihre Arbeit dabei?
Es ist wichtig, dass diejenigen vor Gericht kommen, denen eine Verantwortung für all das nachgewiesen werden kann. Aber in manchen Fällen gibt es einfach nicht genug Beweise. Das ist für die Gesellschaft vielleicht am schwersten zu akzeptieren.
■ Crash: Im Herbst 2008 brachte der Kollaps der drei größten isländischen Banken, Kaupthing, Glitnir und Landsbankin, das Land an den Rande des Staatsbankrotts. Seine Schulden betrugen mehr als das Zehnfache des Bruttoinlandsprodukts.
■ Folgen: Die isländische Krone verlor zeitweise bis zu 80 Prozent ihres Wertes. Viele Isländer hatten in den Boomjahren Kredite in ausländischer Währung aufgenommen, die sie nun kaum zurückzahlen konnten. Die Arbeitslosenquote stieg auf einen Höchststand von fast 10 Prozent.
■ Aufarbeitung: Ein vom Parlament eingesetzter Untersuchungsausschuss legte im April einen mehr als 2.000 Seiten umfassenden Bericht vor, der vor allem die Verantwortlichen auf politischer Seite benennt. Für die Verfolgung der Straftaten im Bankensektor wurde der Sonderermittler Ólafur Thór Hauksson eingesetzt. Er wird von der Antikorruptionsspezialistin Eva Joly beraten.
■ Verfahren: Anfang Mai gab es die ersten Verhöre und Festnahmen. Vier Spitzenmanager der Kaupthing-Bank saßen zeitweise in Untersuchungshaft und erwarten nun ihren Prozess. (daz)
Welche Rolle spielt die erfahrene Antikorruptionsexpertin Eva Joly?
Eva hat seit März 2009 einen Vertrag als unsere Beraterin. Sie hat unseren Blick sehr erweitert mit ihrer Erfahrung – und ihren sehr guten Kontakten zu Ermittlern in ganz Europa. Zudem hat sie schnell öffentlich klargemacht, dass wir zu wenig Personal haben. Inzwischen sind wir 30 Leute, im Laufe des Jahres soll auf 80 bis 90 aufgestockt werden. Auch unser Budget wurde erhöht. Das ist ein wichtiges Signal der Regierung.
Was hat Sie an dem Job gereizt?
Seit meinem Jurastudium habe ich in der Verwaltung gearbeitet und immer in irgendeiner Art mit Polizeiarbeit zu tun gehabt, zuletzt als Polizeichef im Bezirk Arkanes. Als die Stelle zum ersten Mal ausgeschrieben wurde, hat sich niemand beworben. Beim zweiten Mal war ich der einzige Bewerber. Es gab also nicht so viel Interesse an dieser Arbeit. Aber für mich war klar, dass all das aufgeklärt werden musste. Es wäre mir paradox vorgekommen, zwar als Ermittler zu arbeiten, diese Aufgabe aber nicht anpacken zu wollen. Auch wenn mir klar war, dass das keine Arbeit ist, für die man viel Dank bekommt.
Welche Lehre ziehen Sie aus der Finanzkrise?
Wir wollten zu viel. Uns ist alles über den Kopf gewachsen. Vielen haben sich äußerst unmoralisch verhalten. Nach solchen Ereignissen denkt man schon darüber nach, wie es dazu kommen konnte. Wir müssen unsere Werte neu definieren und unsere Fehler zugeben – und daraus ein paar positive Schlüsse ziehen, wie wir uns in Zukunft verhalten wollen.
Bedarf es neuer Gesetze, mehr Regulierung?
In Island haben alle geglaubt, der Markt reguliere sich selbst. Offensichtlich funktioniert das nicht. Es bedarf einer starken Finanzüberwachung, einer effizienten Kontrolle dessen, was die Banken tun. Und diese Finanzkontrolle muss grenzübergreifend sein. Die isländischen Banken arbeiteten über Grenzen hinweg, aber die Finanzaufsicht war auf Island beschränkt. Wie sollte das funktionieren? Auch die Polizeizusammenarbeit zwischen den Ländern muss verbessert werden. Europol spielt dabei eine große Rolle.
Kann Island ein Vorbild für den Umgang mit der Finanzkrise und ihren Verursachern sein?
Wir arbeiten jetzt knapp anderthalb Jahre und haben einige Resultate erzielt, aber es ist vielleicht noch etwas früh, um uns zu loben. Was mir negativ auffällt: Es gibt nicht gerade viele Ermittlungen zu den Vorgängen innerhalb der Banken anderswo in Europa. Das wirft die Frage auf: Haben die Manager dort anders gehandelt? Waren die isländischen Banken so viel grotesker als andere? Ich glaube, der Bericht des Untersuchungsausschusses und unsere Arbeit, so sie denn vor Gericht erfolgreich ist, sind es wert, von außen genauer angeschaut zu werden.