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Kommentar PlebisziteDemokratie ist kein Wunschkonzert

Gereon Asmuth
Kommentar von Gereon Asmuth

Hamburg zeigt, dass der Bürger ein schwieriges Wesen sein kann. Wer die Form der Demokratie aber vom Ergebnis abhängig macht, hat sie nicht verstanden.

W as für eine Enttäuschung! Da haben sich progressive Kräfte jahrelang, nein, jahrzehntelang für mehr Basisdemokratie eingesetzt. Und was macht das Volk, jetzt, wo es die verkrusteten Strukturen des herkömmlichen Politikbetriebs aufbrechen könnte? Es stimmt, wie jetzt in Hamburg, rückwärtsgewandt und konservativ, gegen jede Neuerung. Man könnte glatt den Glauben verlieren - den Glauben daran, dass die direkte Demokratie eine gute Idee ist. Und dass das Volk schlau genug ist, in Volksentscheiden eine kluge Wahl zu treffen.

Aber: Sind Parlamentarier eigentlich schlauer? Die entscheiden zwar häufig im Sinne ihrer Wähler. Aber nicht immer. Gerade wenn es um Grundsätzliches geht, heißt es, könnten Politiker verantwortungsvoller entscheiden als eine zufällige Bevölkerungsmehrheit. Nicht so unreflektiert wie die breite Masse. Schließlich beschäftigen sie sich intensiv mit der jeweiligen Materie und lesen - hoffentlich - nicht nur die Boulevardpresse.

Nur: Ob einem gefällt, was Politiker so entscheiden, hängt vom jeweiligen Standpunkt ab. Wenn etwa, wie jetzt in Hamburg, selbst die CDU gegen die Mehrheit der Bevölkerung eine progressive Bildungspolitik vertritt, mag man das begrüßen und über das blöde Volk stöhnen. Wenn hingegen selbst die Grünen gegen die Mehrheit der Bevölkerung Bundeswehreinsätze mittragen, mag man das kritisch sehen - und sich einen Volksentscheid wünschen. Wer aber die Form der Demokratie von ihrem Ergebnis abhängig macht, hat ihren Sinn nicht verstanden.

Der Autor

Gereon Asmuth leitet den Berliner Lokalteil der taz.

Das Hamburger Ergebnis zeigt, dass der Bürger ein schwieriges Wesen sein kann. Und dennoch zeigt auch dieser Volksentscheid, wie notwendig Basisvoten sind. Schließlich trat hier eine Initiative erfolgreich gegen eine Allparteienkoalition an. Wenn es aber einem kompletten Parlament nicht gelingt, die Bürger von einem Schritt nach vorn zu überzeugen, dann ist das ein Problem der Politiker - und nicht eines der Bürger.

Anders als in einer rein repräsentativen Demokratie kann eine Regierung bei der direkten Demokratie nicht mehr allein auf ihre Mehrheit im Parlament vertrauen. Sie muss stets auch mit Stimmen aus der nörgelnden, uneinsichtigen Bevölkerung rechnen. Zum Glück, denn für diese macht sie ja schließlich ihre ganze Politik. Das ist zwar anstrengend, aber wer sagt denn, dass Demokratie immer ein reines Vergnügen ist?!

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters
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23 Kommentare

 / 
  • PE
    Peter Eberhard

    Zunächst ein Bravo an Gereon Asmuth für seinen Artikel. Als Schweizer, der die direkte Demokratie genetisch eingepflanzt hat, kommt man beim Lesen der Kommentare mitunter ins Kopfschütteln. Erstens: Direkte Demokratie schliesst die Freiheit ein, NICHT abzustimmen (durchschnittl. Stimmbeteiligung bei uns: 35-50%. Und bei uns stimmen nachgewiesenermassen auch "bildungsferne" Bürger ab - übrigens: was für ein schrecklicher Begriff). Zweitens: Langfristig entscheiden die Bürger mindestens so vernünftig wie die Politiker (das Schweizer Volk hat zum Beispiel schon x-mal Steuererhöhungen zugestimmt! Und ja, das mit dem Minarettverbot war nicht schön). Drittens: Man kann in Verfassung und Gesetz Rechte von Minderheiten verankern (bei uns z.B. jene der französisch- und italienischsprachigen Minderheiten). Viertens: Dass die Schweiz hinsichtlich Staatshaushalten, Verschuldung und generell Wohlstand zur Zeit europaweit klar am besten dasteht, hat nicht nur, aber sehr viel mit der direkten Demokratie auf allen Staatsebenen von Gemeinde über Gliedstaat (Kanton) bis zum Bund zu tun - sowie der Erkenntnis, dass die Schweiz als praktisch rohstoffloses Land eine intelligente Industrie- und Dienstleistungswirtschaft braucht (die in der Schweiz angelegten Gelder von Ausländern spielen dabei eine untergeordnete Rolle, ob man das nördlich des Rheins nun glauben mag oder nicht). Also, liebe Deutsche: Trotz der historischen Erfahrung im letzten Jahrhundert keine Angst vor etwas direkter Demokratie.

  • LF
    Luis Fernández Vidaud

    Auch das Volk kann und darf Fehler machen. "Nobody is perfect," sagt man auf Englisch. Das Volk ist -- ebensowenig wie der Papst -- nicht unfehlbar. Dartige Unfehlbarkeitsansprüche an das Volk zu stellen, scheitert an der Realität sowie von der Wesensart sämtlicher Regierender. Obwohl der Satz: "Alle Staatsgewalt geht vom Volks aus." (vgl. Art. 20(2) Satz 1 GG) stimmen soll, so heißt es nicht, daß alles, was das Volk als Souverän tut, richtig ist.

     

     

    Luis

  • S
    Schlirch

    Bevor ich mich auf das jeweilige Pro oder Contra einlasse, das die meisten der Kommentare beherrscht, muss ich feststellen, dass neben den pragmatischen Überlegungen eine grundsätzliche mit staatsrechtlichen Hintergrund ihre vorrangige Berechtigung hat: Jenes Pro und Contra haben 1948/49 die Väter des Grundgesetzes – auch in Kenntnis der Geschichte der Weimarer Republik – durchdiskutiert, aber sie haben sich dennoch dafür entschieden, in dem ersten Grundgesetzartikel, der auf die 19 Grundrechte-Artikel folgt, dem Artikel 20, in seinem zweiten Absatz die Ausübung der Staatsgewalt durch den Souverän, das Volk, ohne Einschränkung sowohl durch Wahlen als auch durch Abstimmungen festzulegen.

    Trotz mehrerer Petitionen aus der Zivilgesellschaft, spätestens seit 1983, denen sich schließlich einige Parteien gegenüber der hartnäckigen Ablehnung vonseiten der CDU/CSU mit eigenen parlamentarischen Initiativen anschlossen, hat es der Gesetzgeber bis zum heutigen Tage nicht geschafft, für die Abstimmungen das nötige Ausführungsgesetz zu verabschieden. Ohne gelegentliche „Interventionen“ des Souveräns in grundlegenden Sachfragen zu erleben oder befürchten zu müssen, war das Regieren – stimuliert durch Lobbyismus und abgesichert durch die Fünf-Prozent-Klausel – natürlich bequemer, aber es entsprach nicht dem Verfassungsauftrag.

    Das Bundesverfassungsgericht hat nun – ohne den offensichtlichen Verfassungsbruch explizit zu benennen – vor über einem Jahr, am 30. Juni, in seinem Urteil zu den Begleitgesetzen des Lissabon Vertrages jene Doppelheit von Wahlen und Abstimmungen im deutschen Grundgesetz bekräftigt unter Hinweis auf Artikel 1 (Menschenwürde) und Artikel 20 (Volkssouveränität). Es hat sie sogar als unveränderbar bezeichnet.

    Unter „Volksgesetzgebung jetzt“ ist im Internet nicht nur eine diesbezügliche Petition an den Bundestag vom November 2009 nachzulesen, sondern auch die Möglichkeit gegeben, sich hierzu an einer selbstorganisierten Abstimmung zu beteiligen.

  • WS
    Winfried Sobottka

    Demokratie kann nur in menschlichen Gemeinschaften funktionieren, die diesen Namen auch verdient haben. Dann sind nämlich stets Lösungen im Konsens möglich.

     

    In einer Gesellschaft sozial entwurzelter Egoisten kann Demokratie nicht funktionieren, da funktioniert nur die Herrschaft nach dem Prinzip Befehl und Gehorsam - in welcher Weise auch immer sie formal organisiert ist...

     

    Deshalb war und ist es Machtmenschen immer wichtig, die Gesellschaft sozial kaputt zu machen.

     

    Winfried Sobottka, United Anarchists

  • J
    jonasm

    @Jarama2, "Und noch was: Wieso reden eigentlich alle davon, dass DIE Bürger gegen die Reform gestimmt haben??? Es waren gut 20 % aller Wahlberechtigten!!! Ob das nun so deutlich zeigt, dass DIE Hamburger mit großer Mehrheit gegen die Reform waren...":

     

    Nun...

     

    Die Auszählung *aller* abgegebenen Stimmen *aller* Wahlberechtigten hat sich auf ein NEIN für die Reform summiert, also kann man sehr wohl sagen dass die Wahlberechtigten in ihrer Gesamtheit in einem fairen demokratischen Prozess gegen die Reform gestimmt haben.

     

    *Alle* Wahlberechtigten haben abgestimmt: Mit "ja", mit "nein", oder mit "was-immer-die-Mehrheit-der-anderen-wählt". Viele haben sich eben für letzteres Entschieden. Na und?

     

    Enthaltung ist auch eine Haltung. Auch wenn Politiker oft auf peinliche Weise - wie auch manche Kommentatoren hier - Enthaltungsstimmen gern pauschal dem eigenen Lager zurechnen.

  • BT
    Beat Thalmann

    @ marco:

     

    Ich bitte Sie höflichst, sich zu diesem Thema weiterzubilden! Auf den folgenden Seiten finden Sie, wie auch alle anderen, wichtige Fakten zu den Volkabstimmungen in der Schweiz. Ausgenommen sind die kommunalen und kantonalen Abstimmungen. Zusammenfassen kann man über 150 Jahre hinweg sagen, dass das Volk sehr gemässigt und intelligent abgestimmt hat - auch über Steuer- und anderen Finanzfragen! Zudem ist das System in der Schweiz viel komplexer als viele in Deutschland meinen. Schaut auch selbst mal über die Grenzen! Auch die EU als Staatenbund kann einiges von der Schweizer Geschichte und Politik lernen!

     

    Links:

     

    Allgemein:

    http://www.parlament.ch/d/wahlen-abstimmungen/volksabstimmungen/Seiten/default.aspx

     

    Alle Volksabstimmungen auf Bundesebene seit 1848:

    http://www.admin.ch/ch/d/pore/va/vab_2_2_4_1_gesamt.html

     

    @ Uwe Sak:

     

    Die parlamentarische Demokratie ist von Lobbies beherrscht, die ihre Interessen durchsetzen wollen! Und ins Parlament kommen Leute, die geld für den Wahlkampf haben und ihren Job für die Politik opfern.

    In der Schweiz gibt es noch Milizparlamentarier, welche die Politik noch nebenbei machen und dies zumeist besser als die Vollblutparlamentarier (meist Juristen). Hier gibt es eine parlamentarische Durchdringung ins Volk, was ich nur befürworte!

     

    Also, zur direkten Demokratie gehört:

    - Transparenz

    - ein Volk, welches ihre Aufgabe ernst nimmt

    - ein Parlament und eine Regierung, welche zusammen sich mehr um das Wohl des Landes, als um die Lobbies bemüht

    - Den Willen Entscheide zu akzeptieren und zur Konsensfindung!

     

    Viele Grüsse!

  • K
    Kinnal

    Wer das Wesen einer Volksabstimmung begreifen will, der sollte sich vorher darüber informieren.

     

    Hier gibt es harte Fakten aus jahrzehntelanger Forschung:

     

    Weitere Infos:

    http://wissen.mehr-demokratie.de/3729.html

  • D
    demokrat

    @jarama1&2:

     

    Demokratie= Herrschaft des Volkes!

     

    Auch die Bewohner der "Einkommensschwachen Viertel" hätten die Möglichkeit zur Abstimmung gehabt. Sie haben sie aber nicht genutzt = also Pech gehabt! War wohl zuviel einen Brief abzuschicken, wo man es sich doch in Jogginghose mit Bier und Chips beim Unterschichtenfernsehen gemütlich gemacht hat. Die vermeintlich "Unterprivilegierten" fühlen sich im Ist- Zustand also sehr zufrieden.

     

    Diejenigen, die keine Wahlberechtigung hatten, sind auch nicht Teil des Deutschen Volkes.

     

    Ich selbst habe, beruflich bedingt, 2 Jahre in Vancouver/Kanada gelebt - und wären es 20 Jahre gewesen, ohne Staatsbürgerschaft wäre ich auch nicht Wahlberechtigt gewesen, da nicht Teil des Volkes, sondern ausländischer Gast. Und das ist auch gut so!

  • C
    carolus

    @Jarama

     

    das heisst dass genau diejenigen die nicht zur wahl gegangen sind,eben diejenigen gewesen wären,deren kinder von der schulreform profitiert hätten.

    aber wenn ich mit dem alltagsüberlebenskampf zu tun habe,werde ich natürlich kein interesse oder besser kraft!haben,dass es meinen kindern in der schule gut geht.wahrscheinlich spielen da auch eigene schlechte erfahrungen eine rolle.

    nur die bildungsbürger versuchen schon von anfang an die chancen so zu verteilen,dass es ihrer brut besonders gut geht und sie sich nicht mit irgendwelchen schmuddelkindern um die immer weniger werdenden schlüsselpositionen in der wirtschaft konkurrieren müssen.

    zeitarbeit und tafel sind doch auch was wert.

  • P
    petronius

    "Das Hamburger Ergebnis zeigt, dass der Bürger ein schwieriges Wesen sein kann. Und dennoch zeigt auch dieser Volksentscheid, wie notwendig Basisvoten sind. Schließlich trat hier eine Initiative erfolgreich gegen eine Allparteienkoalition an. Wenn es aber einem kompletten Parlament nicht gelingt, die Bürger von einem Schritt nach vorn zu überzeugen, dann ist das ein Problem der Politiker - und nicht eines der Bürger"

     

    ich kann nicht sehen, wie dieser volksentscheid gezeigt haben soll, "wie notwendig Basisvoten sind". im gegenteil hat er ebenso wie die nichtraucher-abstimmung in bayern gezeigt, wie fragwürdig es ist, entscheidungen, die alle betreffen, einer engagierten (um nicht zu sagen: fanatischen) und gut organisierten minderheit zu überlassen, die damit die weniger interessierte bis indifferente mehrheit bevormundet

     

    nehmen politiker ihre aufgabe ernst, in verantwortung für alle (und nicht nur eine klientel von partikularisten) zu entscheiden, sind basisvoten (die in aller regel eben nur partikularinteressen bedienen), so sind basisvoten so unnötig wie ein kropf

  • W
    Winnfield

    Egal ob das Ergebnis des Plebiszits nun gefällt oder nicht, es ist zu respektieren! Auch wenn nur rund 20% der stimmberechtigten Bürger zugestimmt haben: Die Abstimmungsregeln waren vorher bekannt und wer sich nicht beteiligt, der hat kein Recht, anschliessend zu nörgeln. Die "Minderprivilegierten" hätten nur ihre Hintern lüften und zur Abstimmung gehen müssen, dann wäre die Sache in "ihrem Sinne" gelaufen; genug Werbung wurde für die Angelegenheit ja gemacht. Es wird wohl mangelndes Interesse gewesen sein.

    Übrigens: direkte Demokratie hin oder her, Bürgerinitiativen bilden sich immer wegen Klientelinteressen, warum auch sonst?? Wer für mehr direkte Demokratie eintritt, der muß sich auch damit abfinden, dass die Entscheidung mal anders ausfällt, als man das selbst vielleicht gewünscht hätte. Da hilft auch keine "andere Form der Bürgerbeteiligung". Es sei denn, man schliesst immer bestimmte Teile der Wählerschaft von vorn herein aus...

  • H
    HamburgerX

    "Es stimmt, wie jetzt in Hamburg, rückwärtsgewandt und konservativ, gegen jede Neuerung."

     

    Das ist falsch! Es wurde nur über 4 vs. 6 Jahre abgestimmt! Alle anderen Neuerungen kommen wie geplant. Bitte besser recherchieren, denn zur Kernthese "Volksentscheid nicht vom Ergebnis abhängig machen" fällt mir nichts als Zustimmung ein!

  • BT
    Beat Thalmann

    Als Schweizer (welcher gerade im Ausland lebt), bin ich ganz Ihrer Meinung. Ich bin froh, dass man endlich auch in Deutschalnd über direktdemokratische Mechanismen diskutiert!

    Auch wenn immer wieder dieser unsägliche Minarettentscheid in der Schweiz aufgegriffen wird, ist dies kein Argument gegen die Volksinitiative/den Volksentscheid. Es wurden hierbei alle Schweizer und internationalen Regeln befolgt.

    Zur direkten Demokratie - und hier ist ein leichtes Defizit im Schweizer System erkennbar - gehört auch die totale (!) Transparenz der Institutionen, Lobbies und Parteien, sprich Parteispenden. So kann der Stimmbürger/Souverän objektiv darüber entscheiden (was er in der Schweiz in den meisten Fällen macht). Ich könnte nicht mehr ohne diese reinste Art der Demokratie leben!

  • L
    Leander

    Demokratie ist `ne tolle Sache, wenn auch alle hingehen (die was verstehen). Allerdings trifft sie beim Klimawandel auf ihre Grenzen. Habe sich alle Erdenbürger demokratisch auf ein Gegensteuern geeinigt, hat die Natuer längst diktatorisch zurückgeschlagen.

  • KD
    Kurt David

    "Schließlich trat hier eine Initiative erfolgreich gegen eine Allparteienkoalition an."

    Eben darin liegt meiner Beobachtung aus der Ferne nach das Problem. Die Reformbefürworter haben die Initiative viel zu länge unterschätzt und sind erst in die Puschen gekommen, als sich die Wahrnehmung "hie die bevormundeten Bürger, dort die bevormundende Politik" längst verfestigt hatte.

  • US
    Uwe Sak

    So einfach ist das also, wer anderer Meinung ist und die populäre "direkt Demokratie" ablehnt, hat nicht verstanden. Das ist eine Anmaßung.

    Nein, selbstverständlich entscheiden auch die Qualität der Abstimmungen über die Sinnhaftigkeit des Verfahrens. Alles andere ist unpolitische Träumerei. Es wird jetzt wieder eine Beruhigungspille verteilt: Man hat die Bevölkerung nicht genug aufgeklärt. Aber der normale Arbeitnehmer hat in der Regel überhaupt nicht die Zeit, sich umfassend zu informieren und so kommt es, dass in Hamburg die Pfeffersäcke obsiegt haben und dem Ganzen jetzt auch noch ein demokratisches Mäntelchen gegeben haben.

    Es ist schon angesprochen worden: Was ist mit den Minderheitsrechten? Spätestens hier müßte eine Grenze eingebaut werden oder auch bei Volksabstimmungen mit 2/3 Mehrheiten o.ä. gearbeitet werden. Und spätestens dann fangen die Diskussionen an, wie weit direkte Demokratie gehen darf.

    Und dann werden die "Kopf-Ab-Anhänger" schnell die Lacher auf ihre Seite haben, wenn sie sich beklagen, dass ausgerechnet bei ihren Anliegen das Instrument der direkten Demokratie nicht gelten soll.

    Direkte Demokratie bedeutet kein Mehr an Demokratie, der Geldadel beinflußt die direkte Demokratie nicht weniger als die parlamentarische Demokratie.

    Die Erfahrungen mit direkter Demokratie in der Schweiz, als auch in den USA sind nicht besonders positiv. Es liegt also nicht an einem Lerneffekt der sich noch einstellen muß.

    Nein, es bleibt dabei, auch wenn es (und gerade bsonders hier) sehr unpopulär ist: Trotz aller Schwächen ist die parlamentarische Demokratie die beste Staatsform und sie verbietet auch nicht, außerparlamentarisch aktiv zu werden.

  • TK
    Tobi Knopp

    "Sie muss stets auch mit Stimmen aus der nörgelnden, uneinsichtigen Bevölkerung rechnen. Zum Glück, denn für diese macht sie ja schließlich ihre ganze Politik."

     

    Selten so gelacht.

  • M
    marco

    Das Volk, dass sich die Einkommenssteuer heraufsetzt muss trotzdem erst noch erfunden werden...

     

    Minarettverbote, rückwärtsgewandte Schulpolitik, extremistische Antirauchergesetze, Tempo Unendlich auf deutschen Autobahnen für immer...ich glaube dass die Meinung des Volkes nicht oft vernunftgeleitet sein würde. Das weiß ich vom Politiker natürlich auch nicht, aber den kann ich im Vergleich zum Nachbarn in 4 Jahren wenigstens wieder abwählen.

  • WT
    Walter Thälert

    Grundsätzlich richtig. Allerdings muss bei dieser Frage mitbedacht werden, inwiefern der Boden für direktdemokratische Entscheidungsverfahren im Sinne einer demokratischen Kultur bereits bereitet ist. In diesem Falle zeigt sich eine hohe sozioökonomische Selektivität bezüglich der politischen Partizipation. Sprich: die hohe Beteiligung in stärkeren Stadtteilen ergibt sich nicht aus einer besonderen Betroffenheit dieser Gruppen von der Reform. Vielmehr spiegelt sie das altbekannte Problem wider, dass es nicht gelingt, alle Bevölkerungsgruppen (insbesondere bildungsferne Schichten) an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Solange es keine demokratische Kultur gibt, die dies leisten kann, haben direktdemokratische Elemente diesen Namen auch nicht verdient.

  • J
    Jarama2

    Ich wollte gerade einen Kommentar schreiben, da wurde der Kommentar von Jarama veröffentlicht. Genau das gleiche wollte ich auch schreiben.

     

    Noch eine kurze Ergänzung: Demokratie heißt nicht, das Recht der Stärkeren durchzusetzen. Minderheitenschutz ist wichtig. Um diesen Aspekt muss man sich bei der direkten Demokratie kümmern. Es sind zum Beispiel auch mehr als die Hälfte der Deutschen für die Todesstrafe...

     

    Und noch was: Wieso reden eigentlich alle davon, dass DIE Bürger gegen die Reform gestimmt haben??? Es waren gut 20 % aller Wahlberechtigten!!! Ob das nun so deutlich zeigt, dass DIE Hamburger mit großer Mehrheit gegen die Reform waren...

  • P
    Peter

    Das ist der erste vernünftige Artikel zu diesem Thema.

     

    Denn wer die direkte Demokratie verteufelt nur weil seine Seite verloren hat, der hat den Begriff Demokratie nicht verstanden.

  • J
    Jarama

    Das Problem am Volksentscheid ist nicht so sehr das Ergebnis - obwohl es natürlich sehr schade ist - sondern die Bürgerinnen und Bürger, die daran teilgenommen haben. Es ist nämlich alles andere als ein Querschnitt der Bevölkerung, der sich beteiligt hat. Schauen Sie sich einmal die beiden Karten unten an. Auf der ersten Karte sieht man die Einkommensstärke der jeweiligen Hamburger Viertel. Auf der zweiten Karte die Wahlbeteiligung in den jeweilgen Hamburger Vierteln. Es ist schon beinahe grotesk, dass die Karten nahezu bis auf die letzte Farbabstufung identisch sind.

     

    Es zeigt: Die Entscheidung am Sonntag haben die Besserverdienenden getroffen. Genau das ist auch die Krux mit der direkten Demokratie. Bürgerinitiativen entstehen dann, wenn gebildeten und bessergestellten Bürgern und Bürgerinnen etwas nicht passt. Bürgerentscheide oder Volksentscheide werden häufig von hervorragend organisierten Kleingruppen, Juristen und Juristinnen, PR-Expertinnen und Experten getragen und vertreten die Interessen der Reichen. Aus einer Sozialbausiedlung hört man von Gewalt, Hoffnungslosigkeit und Arbeitslosigkeit - sicherlich nicht von Bürgerinitiativen, die diesen Problemen abhelfen wollen.

     

    Beleuchtet direkte Demokratie in der jetzigen Form deswegen einfach einmal kritisch. Setzt euch damit auseinander, dass sie aktuell ein Elitenprojekt ist. Und bitte liebe TAZ, stimmt nicht in das Horn derjenigen ein, die alles adeln, nur weil ein "Bürger-" davorsteht. Viel zu oft sind Bürgerinitiativen sarosant und ihnen wird das Mäntelchen des Gemeinwohls übergehängt, obwohl sie doch nur knallhart die Interessen ihrer Klientel durchzusetzen versuchen.

     

    Übrigens ist mehr Bürgerbeteiligung durchaus sinnvoll und erstrebenswert. Ob sie es in der jetzigen Form ist - dessen bin ich mir unsicher.

     

    Karte 1: http://hamburglinks.files.wordpress.com/2009/03/einkommen-2004.jpg

     

    Karte 2: http://statistik-nord.de/fileadmin/maps/referendum_hh_2010/atlas.html

  • M
    Martin

    Der beste Kommentar zu dem Thema in der taz. Endlich spricht einer aus, dass man die Frage, ob Volksbefragungen sinnvoll sind, nicht aufgrund eines Ergebnisses, das einem nicht passt, abhängig machen darf.