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Betriebsräte werden mehr und mutiger

ARBEITSKAMPF Mehr Betriebsräte, häufigere Streiks – bei prekär Beschäftigten ändert sich die Stimmung, zeigt eine Gewerkschaftstagung in Hannover. Vor allem unter Jungen wächst die Konfliktbereitschaft

HANNOVER taz | Unter ostdeutschen Beschäftigten dominierte lange Verzichtsbereitschaft, um ihren oft prekären Arbeitsplatz nicht zu gefährden. „Die Stimmung in den Betrieben hat sich in den letzten Jahren geändert – immer mehr Kollegen nehmen nicht mehr alles hin“, sagt Franziska Wolf, IG-Metall-Sekretärin aus Zwickau, der taz.

Wolf hat 2013 den ersten Warnstreik in der ostdeutschen Textilindustrie organisiert. „Die Beteiligung war überwältigend, auch von den Nichtorganisierten. Angesichts des schlechten Lohns und des steigenden Arbeitsdrucks sagen sich viele: ‚Ich habe nichts zu verlieren, schlimmer kann es nicht mehr kommen.‘“ Franziska Wolf sprach am Wochenende in Hannover auf einer Tagung des Ver.di-Bezirks Hannover/Leine-Weser und der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Mehr als 600 Gewerkschafter aus ganz Deutschland nahmen teil.

Zwickau ist kein Einzelfall. Martin Donat, IG-Metall-Sekretär für das Kfz-Gewerbe in Sachsen-Anhalt, berichtet von 25 neuen Betriebsräten seit 2013. „Es ist kein Problem, Kandidaten zu finden, die Anfragen bei uns wachsen angesichts von Stundenlöhnen von teilweise 6,50 Euro. Jüngere Kollegen haben keine Angst rauszufliegen, denn Fachkräfte sind gesucht“, sagt Donat.

Auch im Westen kämpfen Beschäftigte aus dem Niedriglohnsektor zunehmend für bessere Bedingungen. Sie arbeiten häufig nur befristet und sind selten gewerkschaftlich organisiert. Für Mitarbeiter im Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen, die in der untersten Lohngruppe bislang mit einer vollen Stelle 1.316,80 Euro brutto verdienten, konnte durch einen dreizehn Tage andauernden Streik ein Plus von 10 Prozent erreicht werden. Das ist fast so viel wie in den acht Jahren zuvor zusammen.

„Die Konfliktbereitschaft ist groß, ohne Überstunden können viele nicht leben“, sagt Ver.di-Landesfachbereichsleiterin Andrea Becker.

Laut einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) steigt die Zahl der Streiks in Deutschland unter anderem deshalb, weil immer mehr Firmen aus ihrem Arbeitgeberverband austreten und sich vom Flächentarifvertrag verabschieden. Beschäftigte können in diesem Fall oft nur durch Streik den Abschluss eines Haustarifvertrags erreichen. „Die meisten Streiks kriegt die Öffentlichkeit heute gar nicht mehr mit, weil sie nur noch lokal geführt werden“, sagt WSI-Forscher Heiner Dribbusch. JOACHIM GÖRES

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