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Willst du mit Bob spielen?Endlich eine Antwort, bitte!

COMEBACK „Twin Peaks“ geht weiter, 2016 soll eine dritte Staffel fertig sein. Wir versammeln Fans und Verächter der Kultserie von David Lynch und Mark Frost

Die letzte Szene der Serie „Twin Peaks“ endet wie folgt (Achtung Spoiler!): Special Agent Dale Cooper steht vor dem Spiegel. Sein Gesicht ist nur zur Hälfte sichtbar, in der nächsten Szene schlägt Cooper seinen Kopf gegen das Glas. Im zersplitterten Spiegel wird Bob sichtbar.

Bob ist vielleicht die furchteinflößendste Figur, die es je in einer TV-Serie gab. Er ist das personifizierte Böse, ein Geist, der sich einen Wirt aussucht. Dabei bewegt sich Bob das Böse in der Kleinstadt „Twin Peaks“, einem fiktiven, auf den ersten Blick idyllischen Ort. Agent Cooper wird hierhin befördert, um den Mord von Laura Palmer aufzuklären.

David Lynch war der Schöpfer dieser fantastischen Serie, die Genres vermischte (Soap Opera, Mystery, Horror), ein neuartiges Narrationsgeflecht spann und mit einer Ästhetik arbeitete, die an Aktualität nichts verloren hat: Ohne „Twin Peaks“ kein „Buffy“, kein „Akte X“ und auch keine „Sopranos“. David Lynchs „Twin Peaks“ ist eine düstere, überfordernde Welt voller Dichotomien – zwischen Realität und Fiktion, Traum und Wirklichkeit. Eine Welt voller Geheimnisse und eine Welt voller Charaktere – schon allein im Piloten werden Unmengen vorgestellt. Und neben der großen Frage: „Wer hat Laura getötet?“ steht eine andere ständig im Raum: „Wer ist eigentlich gut und wer böse?“

Lynch lanciert Fragen und erzählt in Ellipsen. Damit spielt er ständig mit den Erwartungen – das zeigt sich bereits im Vorspann, der auf die sonst typischen Schauspielgesichter verzichtet und stattdessen Naturaufnahmen zeigt, mit einer Musik, die Glas schneiden kann. Bei Lynch stimmt alles: Ton, Bild, Symbolik und Narration.

Die letzte Szene lässt einen fragend zurück, sie ist eine der frustrierendsten in der TV-Geschichte. „Was passiert mit Dale Cooper?“ 25 Jahre später gibt David Lynch vielleicht eine Antwort. ENRICO IPPOLITO

Hefte raus! Intelligenztest!

Es gibt den Cowboy und Betty und Rita und den Produzenten und den schwarz angemalten Mann und Mister Roque und die vielen Auftragskiller und den Psychiater und seinen Patienten. Und plötzlich ist das alte Ehepaar geschrumpft, krabbelt aus Tüten oder läuft unter der Tür durch. Ergibt bestimmt alles ganz viel Sinn bei „Mulholland Drive“. Zumindest wenn man sich ganz viele, ganz kluge Gedanken macht und sowieso unheimlich viele Gehirnzellen in Reihe geschaltet hat und deswegen super um die Ecke denken kann.

Über die Ergüsse von David Lynch kann man anschließend toll reden, sich beweisen und messen. David-Lynch-Filme sind das „Quizduell“ der Cineasten mit Hochschulabschluss. Die Diskussionen dienen zur Abgrenzung vom Proll, der über Leslie-Nielsen-Filme lacht, dessen Lieblingsserie „Alf“ ist und der so blöd ist zu denken, dass diese Serien neuen Typs („Sopranos“, „Breaking Bad“, „Mad Men“) tatsächlich etwas Neues seien. Hahaha, lacht der Kenner in sein Weinglas, wenn er so etwas hört.

Dabei lässt Lynch die Zuschauerinnen und Zuschauer einfach nur die Gedanken vollführen, die er sich nicht gemacht hat. Hahaha, lacht da der Proll in mir in sein Glas Bier.

Ja, „Mulholland Drive“ ist nicht „Twin Peaks“. Doch der intellektuelle Schwanzvergleich bei der Interpretation dieses „Surrealen“ (wichtiges Wort, muss bei der Diskussion über Lynch-Filme auftauchen) ist der gleiche. Für die vielen Rezensionen zum Start braucht es dringend ein David-Lynch-Kritik-Bullshit-Bingo. So macht der Quatsch zumindest ein bisschen Spaß. JÜRN KRUSE

Bibber – Oh Gott – Bööööse Bob

Am 10. September 1991 wurde „Twin Peaks“ zum ersten Mal in der deutschen Synchronfassung ausgestrahlt. Ich war 14 Jahre alt und noch von sehr kindlichem Gemüt, denn die Serie hat mich nachhaltig verstört. Was heißt verstört. Traumatisiert!

Diese so unschuldig wirkende High-School-Abschlussball-Schönheit, die auf einmal wie eine blau angelaufene Eisprinzessin in der Plastikfolie liegt. Wer hatte Laura Palmer umgebracht? Mit detektivischem Eifer wollte ich, wenn schon nicht mithelfen, so doch zumindest von der Wohnzimmercouch aus mitfiebern und dabei zusehen, wie sich ein solch bestialisches Verbrechen nach und nach entwirrt. Nur dass sich da nichts ent-, sondern mich nur alles immer mehr verwirrte. Wo kam dieser seltsame Riese mit den hohlen Wangen her, der Special Agent Cooper die Hinweise gab? „Die Eulen sind nicht was sie scheinen.“ Was? Aber diese Eulen, sie waren doch überall! Und was sollte diese bösartig-lolitaesquen Schneewittchen-Lookalike Audrey Horne, die im Schuluniform-Faltenröckchen alle kirre macht? Mit solch geheimnisvoller Verruchtheit kam ich nicht gut zurecht. Und dann diese Träume, in denen Cooper mit einem Zwerg im blutroten Anzug einen in der Tasse geronnen Kaffee trinkt, während der Zwerg rückwärts über die verstorbene Laura Palmer tratscht. Der zum Verständnis nötige Schuber für LSD-Erfahrungen war in meinem Gehirn noch nicht angelegt. Und schließlich B-O-B. Bibber – Oh Gott – Bööööse Bob. Nein. Hilfe! Ich will nicht noch mal an ihn denken müssen. Da verstecke ich mich lieber wie damals vor Angst hinter der Couch. MARLENE HALSER

Wenn es wirklich wird

Wenn man eine neue Freundin hat, bekommt man auch neue Bekannte. So geschah es, dass ich Mitte der 1990er Jahre an einer „Twin Peaks“-Nacht in Frankfurt teilnahm. Der alte Kumpel meiner neuen Freundin hatte extra eine kleine Halle samt Leinwand und Beamer gemietet, um eine ganze Nacht „Twin Peaks“ zu gucken. Er und seine Freundin waren Aficionados, wie man damals noch oder schon sagte. Der Kumpel meiner Freundin war ein netter, rationaler Mensch, politisch aktiv in der Flüchtlingshilfe und der SPD, man kannte sich aus Juso-Tagen.

Seine Freundin habe ich leider nie kennengelernt – und das kam so: Als wir nachmittags in Frankfurt ankamen und unsere Sachen in der schnuckeligen Pärchenwohnung deponieren wollten, fanden wir den Mann völlig desolat in der Küche sitzend vor – und allein. Er hatte in den Tagen zuvor das geheime Tagebuch seiner Freundin entdeckt und leider auch gelesen. In dem schilderte sie so akribisch wie drastisch ihre Sexkontakte mit Dutzenden von Männern, die sie auf der Straße ansprach und mit nach Hause ins Beziehungsbett nahm, mit Handwerkern, Schornsteinfegern und Gasablesern. Als wir in Frankfurt ankamen, war der erste große Sturm schon vorbei, seine Freundin war in der Psychiatrie. Der Kumpel, den ich nie wiedergesehen habe, machte den Eindruck eines Menschen, dem viel mehr als eine Liebe kaputtgegangen war: Die Trennung der Welt in böse Fiktion und traute, beherrschbare Wirklichkeit war ihm zerbröselt, den ganzen Mann hatte es sauber zerlegt. Auf die Frage, ob er die Sache mit der „Twin Peaks“-Nacht nicht doch absagen wolle, sagte er nur katatonisch nein, nein, es würden halt wenig Leute kommen, weil viele gemeinsame Bekannte abgesagt hätten. Die Donuts seien aber bestellt, das Bier auch, er werde das jetzt durchziehen. Und so war’s dann auch. AMBROS WAIBEL

Eher wirr als irr

Mit dieser Serie wurde das unselige, ja lügnerische Wort „Kult“ aus der Vokabelwelt des Kulturwissenschaftlichen in die des Marketings gehoben – und ward damit wertlos. Kult nämlich war „Twin Peaks“ vorsätzlich, als Behauptung von stark quoteninteressierten Serienproduzenten; dabei meint das Wörtchen vor allem einen Zauber, der in der Erinnerung sich hält. Kult aber sei diese zweistaffelige TV-Serie, weil es so geheimnisvoll und spannend zugegangen sei, ohne in den Modus der Falllösung überführt zu werden.

Tatsächlich waren die dräuenden Szenen, die in der Tat irritierenden Sounds, die bedeutungsgeblähten Handlungsebenen eher wirr als irr: „Twin Peaks“ war, als David Lynch und Mark Frost ihr Projekt (mangels über die Milieus von WerberInnen und FernsehfilmerInnen hinausgehenden öffentlichen Interesses) 1991 einstellten, auserzählt. Die Nachricht nun, „Twin Peaks“ werde fortgeführt, in eine dritte Staffel, ist in diesem Sinne keine: Es muss schon jemanden berühren, dass da etwas kommen wird, was vermisst werden musste. Nun ja, wie Mark Frost nun dem Branchendienst Variety gegenüber bekundete: „Die Fans, die sich beraubt fühlten, als die Serie damals endete, werden mögen, welche Richtung wir einschlagen.“ Verblichene Zeiten, nichts als werblicher Verführungsschaum. Was wirklich zählt, ist: Wie geht es bei „Homeland“ weiter, wie bei „The Good Wife“? Und: Wie wird sich die zweite Staffel von „True Detectives“ ausnehmen – so erschütternd wie die erste? Man hoffe auf das Richtige. Das Falsche verdient nur musealisiert zu bleiben. JAN FEDDERSEN

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