„Unsere Mütter, unsere Väter“ in Polen: Die haben Hochkultur, wir nur Eintopf
Nach der TV-Ausstrahlung des ZDF-Mehrteilers in Polen beruhigen sich die Zeitungskommentatoren. Doch im Netz ist von Propaganda im Goebbels’schen Stil die Rede.
![](https://taz.de/picture/155408/14/UMUV1zdf.jpg)
WARSCHAU taz | Die blutroten Plakate hängen noch immer in Polens Hauptstadt Warschau. Sie richten sich gegen den ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“. Eine knochige Nazi-Hand greift mit tödlichem Griff nach Polen, doch ein Soldat der 1939 noch regulären polnischen Armee durchbohrt sie mit seinem Bajonett. „Wara!“ steht auf den Plakaten: „Hände weg von den AK-Soldaten.“
Der deutsche Film, so lautet der Vorwurf, wälze durch seine antisemitischen Partisanenszenen einen Teil der Schuld am Holocaust auf die polnische Untergrundarmee Armia Krajowa ab. Die Deutschen würden sich selbst als Opfer des Krieges darstellen.
Die Kritik an dem „antipolnischen Film der Deutschen“ reicht in Polens Medien von ganz rechts bis ganz links. Den Ton gab schon im März der ehemalige Deutschlandkorrespondent der linksliberalen Tagezeitung Gazeta Wyborcza vor, als er in seinem Kommentar fragte: „Wer erklärt den Deutschen, dass die AK nicht die SS ist?“ Sicher habe es in der Partisanenarmee AK, die ihre Befehle von der konservativen Exilregierung in London erhielt, auch Antisemiten gegeben, so Bartosz Wielinski, aber Sätze wie „Juden ertränken wir wie Katzen“ oder „Besser tot als lebend“ stellten die polnischen Widerstandskämpfer mit den SS-Schergen gleich.
Die rechtsnationale Zeitschrift Uwazam Rze zeigte daraufhin Kanzlerin Angela Merkel auf der Titelseite im gestreiften KZ-Anzug hinter Stacheldraht und prangerte die Filmemacher und ihre wissenschaftlichen Berater an: „Geschichtsfälschung. Wie die Deutschen aus sich Opfer des Zweiten Weltkriegs machen.“ Es sei unbekannt, wer den Krieg und die Grausamkeiten begonnen habe, erläutert Jan Pinski im Leitartikel. „Aber die Polen waren schlimmer als die Deutschen. Als sie im Film gefangene Juden aus einem Transportzug in ein Vernichtungslager befreien können, tun sie es nicht.“
Nach der – ebenfalls umstrittenen – Ausstrahlung des Dreiteilers durch das polnische Fernsehen TVP1 in der letzten Woche änderte sich der Ton der Debatte. Zwar blieben die Journalisten bei ihren Bewertungen „skandalös“, „antipolnisch“ und „geschichtsverfälschend“, doch die meisten der mehr als 3 Millionen polnischen Zuschauer hatten kein Problem, in den Filmfreunden sowie den SS-Männern in Berlin und an der Front Deutsche zu erkennen.
Schwer beleidigt
Doch viele polnische Internet-User sahen sich durch „Unsere Mütter, unsere Väter“ schwer beleidigt: Die antisemitischen Partisanenszenen seien schon schlimm, insbesondere weil die deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager im nazibesetzten Polen nicht gezeigt würden, noch schlimmer aber sei die Darstellung der Polen als primitives Untermenschenvolk ohne jede Kultur. Das sei tatsächlich Propaganda im Goebbels’schen Stil.
Denn während die Deutschen im Film klassische Literatur mit an die Front nähmen und junge Wehrmachtsoldaten von einem Philosophiestudium in Heidelberg träumten, schwärmten die polnischen Partisanen in ihren dreckigen Klamotten lediglich von einer deftigen Wursteinlage im Bigos, dem polnischen Sauerkrauteintopf.
Die Deutschen, so der Vorwurf vieler Schreiber im Netz, würden sich noch immer als die den Slawen kulturell überlegenen Übermenschen begreifen. Hier hohe Literatur, dort Knoblauchwurst und Eintopf. In der Sonntagsausgabe der Gazeta Wyborcza plädierte der Journalist Pawel Wronski für mehr Gelassenheit.
Denn die Deutschen hätten in der Serie durchaus auch einiges über die Besetzung Polens durch Deutschland erfahren, über Alina, eine vergewaltigte Zwangsarbeiterin, über die polnische Untergrundarmee AK und über Massenexekutionen, bei denen Wehrmachtssoldaten nicht nur Juden, sondern auch polnische Partisanen ermordeten. Zudem verdanke Viktor, der einzige Jude unter den fünf Berliner Freunden, gleich mehreren Polen sein Leben. Es tue den Polen gut, von Zeit zu Zeit in den Spiegel zu schauen, so Wronski, auch dann, wenn es sich um einen Zerrspiegel handeln sollte.
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