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ARD-Drama "Kehrtwende""Es kommt nicht wieder vor"

Kann Gewalt in der Familie wirklich enden? Im Drama "Kehrtwende" veranschaulicht die herausragende Besetzung den Versuch eines tyrannischen Vaters.

Der Tatort-Kommissar mal anders: Dietmar Bär schlägt in der Rolle als Mathematiklehrer Thomas Schäfer seine Frau (Inka Friedrich). Bild: dpa

Dietmar Bär hat eine Statur, die man mit dem heute nur noch ironisch verwendeten Wort "vollschlank" beschreiben könnte. Der Schauspieler wird regelmäßig als knuffiges Riesenbaby besetzt. Selbst in Krimis, als Zuhälter mit angesengten Ohren in "Nachtschicht" oder als inzwischen ziemlich altgedienter "Tatort"-Kommissar strahlt er so gar nichts Bedrohliches aus. Insofern bedeutet die Rolle des Thomas Schäfer geradezu eine Umkehr.

Bär spielt einen Lehrer und Familienvater mit zwei Kindern, harmloser geht es eigentlich nicht. Gleich hinter der Eingangstür des Eigenheims heißt ein Schild Besucher "Willkommen", Thomas Schäfer liebt es ordentlich, trägt eine - etwas zu schicke - Brille, unters Sakko zieht er gerne einen Pullunder. Er ist als Gymnasiallehrer nicht gerade "Dr. Specht", eher autoritär als locker, wird von seinen Schülern aber respektiert und erwirbt sich Anerkennung als engagierter Leiter des "Multikulti"-Schulchors. Ein sehr authentischer Biedermann.

Ein Biedermann, der seinen Sohn, nachdem dieser ihn schachmatt gesetzt hat, schlägt, sehr heftig schlägt. Während die Mutter den Sohn ins Krankenhaus fährt, geht Schäfer scheinbar ungerührt zu seiner Chorprobe. Bei der Rückkehr stellt er fest, dass der Sohn Blutflecken auf dem Autositz hinterlassen hat. Er macht seine Frau dafür verantwortlich: "Das Auto ist nagelneu! Und du versaust es gleich am ersten Tag!" Schläge, Tritte in den Bauch, gegen den Rücken. Thomas Schäfer setzt sich neben seine versehrte Frau und spricht: "Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Vielleicht ein paar Dinge ändern."

Thomas Schäfer ist ein sehr kaputter Mensch, die Abneigung, die Abscheu des Zuschauers ist ihm erst einmal gewiss. Die Frau entschließt sich, ihn zu verlassen. Er glaubt, es sei mit einer neuen Halskette und einer Karte dazu getan: "Es kommt nicht wieder vor. Thomas". Nicht zu glauben.

Nicht zu glauben ist eigentlich auch, was dann passiert, Thomas Schäfer nennt es "180-Grad-Kehrtwende". Er offenbart sich dem Schulleiter, akzeptiert die beruflichen Konsequenzen, geht zum Antigewalttraining, ist bei den Wiederannäherungsversuchen an seine Familie die Behutsamkeit in Person. Er will seine Familie zurück - und es scheint ihm sogar zu gelingen. Nur den Sohn muss er noch überzeugen.

Immer neue Finten

Überzeugen kann auch, was in dieser Zusammenfassung nach hanebüchenem Drehbuchquatsch klingen muss. Das liegt an den brillanten Hauptdarstellern, an Dietmar Bär, Inka Friedrich ("Sommer vorm Balkon") und Natalia Rudziewicz. Auch die Nebenrollen sind mit Nina Petri, Götz Schubert und Jörg Hartmann sehr gut besetzt.

Das liegt an der Regie. Der an der Filmhochschule "Konrad Wolf" in Potsdam ausgebildete Israeli Dror Zahavi hat schon viel - auch Triviales - gemacht, mit Filmen wie "Zivilcourage" hat er sich jüngst als Mann für gesellschaftliche "Problemthemen" etabliert.

Neben dem furios gegen sein Image und gegen seine knuddelige Physiognomie anspielenden Dietmar Bär hat aber der Drehbuchautor Johannes Rotter die erstaunlichste Leistung vollbracht. Immer neue Finten lassen die unglaubliche Geschichte tatsächlich glaubhaft, den brutalen Schläger tatsächlich menschlich erscheinen - ohne dass seine Schläge dadurch irgendwie gerechtfertigt oder entschuldigt würden.

Die Stärke des Films liegt darin, dass er ein schwieriges Thema - Gewalt in der Familie - verhandelt, ohne es sich zu leicht zu machen. Leicht wäre eine bloße Monstergeschichte gewesen. Leicht wäre eine schlichte Emanzipationsgeschichte der misshandelten Frau gewesen. Die Unentschiedenheit dieses Films ist hingegen nur schwer zu ertragen. So schwer wie das merkwürdige Ende, das alles offenlässt.

Drama "Kehrtwende" (Mittwoch, 20.15 Uhr, ARD)

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1 Kommentar

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  • SB
    Siegfried Bosch

    Der gestrige ARD-Abend war mal wieder unterirdisch -- insbesondere die "Hart aber Unfair"-Runde danach. Dort ging es nicht wirklich um häusliche Gewalt, sondern nur m männliche Täter und weibliche Opfer. Dass in Berlin laut PKS 23% der Täter weiblich sind, wurde absolut ignoriert, ebenso wie der männliche Opferanteil. Dass Frauen übrigens auch gegen die eigenene Knider Gewalt ausüben (sogar gleich häufig wie Männer -- und das im Hellfeld!), wurde unter den Teppich gekehrt, ebenso die Benachteiligung von Männern durch den konsequenten Ausschluss aus der Opferinfrastruktur und die Stigmatisierung als alleinige Verursacher von Gewalt (eben durch Themenabende wie diesen).

    Das wirkliche Tabuthema ist übrigens nicht das Thema "Häusliche Gewalt von Männern gegen Frauen", sondern das Thema "Gewalt von Frauen" und "Häusliche Gewalt gegen Männer". Besonders schlimm ist auch, dass durch die feministische Konzentration auf "Männergewalt" gegen Frauen die Gewalt gegen Kinder in der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt wird (insbesondere die von Frauen gegen Kinder).