: „Knüppelharte Themen hätten der SPD geholfen“
FORSCHUNG Der Göttinger Politologe Franz Walter über das gelungene Huckepackverfahren von Schwarz-Gelb: Das altbürgerliche Lager steht
■ Der 56-Jährige ist seit dem Jahr 2000 Politikprofessor an der Universität Göttingen und seit März 2010 Leiter des dortigen Instituts für Demokratieforschung. Er ist vor allem durch seine Arbeiten zur Parteienforschung bekannt.
taz: Herr Walter, wie konnte das passieren – eine derartig erfolgreiche FDP?
Franz Walter: Das ist kein neues Phänomen. Wenn es darauf ankommt und es um die Existenz der FDP zu gehen scheint, dann kann man sich ziemlich sicher sein, das sie bei Wahlen drin ist. Das Huckepackverfahren hat in den 70er Jahren mit der SPD so gut funktioniert wie in den 90er Jahren mit der CDU. Ein beachtlicher Teil des deutschen Bürgertums will, dass diese Partei auch im Parlament vertreten ist – selbst wenn man um die geringe Substanz ihres Personals weiß. Aber die FDP vertritt nun einmal am stärksten die Interessen der gewerblichen Unternehmer.
Waren SPD und Grüne wieder einmal zu blöd für solch ein Huckepackverfahren – also eine Leihstimmenkampagne, bei der Erst- gegen Zweitstimmen gedealt werden?
CDU- und FDP-Milieus sind ja schon seit Jahrzehnten eng miteinander verknüpft. Da ist das leichter. Aber große Mühe hat man sich bei Sozialdemokraten und Grünen in der Tat nicht gegeben …
… obwohl die Grünen doch Schwarz-Grün so deutlich ausgeschlossen haben.
Hier gibt es kein Schwarz-Grün. Die Grünen haben tatsächlich einen harten Lagerwahlkampf geführt im Sinne einer linken Bürgerlichkeit. Deshalb waren sie erfolgreich. Das kann man nicht so lässig aufs Spiel setzen.
Und doch scheint der klassische Lagerwahlkampf die SPD- und Grünenwähler nicht ausreichend mobilisiert zu haben.
Es war ein Lagerwahlkampf ohne polarisierende Lagerthemen. Das war das Problem. Wäre die SPD knüppelhart gegen die Rente mit 67, gegen Zweiklassenmedizin, für mehr Kinderkrippen, gegen das Betreuungsgeld, für bessere Pflegeversorgung eingetreten, dann würde sie vielleicht dort besser dastehen, wo man kaum noch wählen geht. Einfach nur „Anpacken. Besser machen.“ – das ist schon ein wenig dünn.
Lässt sich der Steinbrück-Malus quantifizieren?
Erfahrene SPD-Wahlkämpfer hier in Niedersachsen sagen: 2 Prozent hat der Kerl uns gekostet. Sagen wir mal so: Die SPD ist insgesamt in keiner guten Verfassung. Aber der Spitzenkandidat Peer Steinbrück hat die Lage sogar noch verschlechtert. Diese Rolle war ihm eigentlich nicht zugedacht.
Hätte es ein Thema gegeben, mit dem sich die SPD stärker hätte profilieren können?
In historischer Perspektive hat es für höheren Spitzensteuersatz, Mindestlohn, Bürgerversicherung, Finanzmarktregulierung noch nie so hohe Zustimmungswerte gegeben. Es werden nur eben keine politischen Mehrheiten daraus gemacht.
Die Piraten sind raus. Verdiente Strafe für zu wenig Professionalität?
Das stark ländliche Niedersachsen ist sicherlich im Unterschied etwa zu Berlin kein fruchtbarer Humus für eine solche Partei. Wie soll so ein junger Verein aus Superindividualisten auch gleich Professionalität in die Organisation bekommen?
Waren die Piraten nur ein 2012er Hype?
Vermutlich. Es ist ja auch so: Wenn das alles richtig ist, was die Piraten sagen und fordern, welchen Sinn soll dann Delegation, Repräsentation, also Parlamentarismus haben? Dann muss man Politik in der Tat radikal anders angehen. INTERVIEW: UWI
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